AOK schwimmt auf der Anti- Zucker-Welle
Von Detlef Brendel
Die Irreführung der Menschen treibt extreme Blüten. Auch die AOK will jetzt mit einer nationalen Kampagne zur Zuckerreduktion Attraktivität ausstrahlen. Dass sie dabei mit gezinkten Karten spielt und sowohl auf wissenschaftliche Fakten als auch seriöse Begründungen verzichtet, nimmt sie billigend in Kauf. Die Kampagne ist für das eigene Image gedacht und nicht für die Interessen der Mitglieder. Eindrucksvoller kann eine Krankenkasse nicht zeigen, dass der wirtschaftliche Erfolg Priorität in Relation zur Gesundheit der Menschen hat.
Die fadenscheinige Begründung zur Kampagne muss Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, liefern. Er biegt sich seine Argumente passend. Niveau und Ernsthaftigkeit bleiben dabei auf der Strecke. “Wenn ein Kind zu dick ist, bewegt es sich weniger.” Hier werden Ursache und Wirkung vertauscht. Wenn ein Kind sich zu wenig bewegt, weil es nur noch virtuell unterwegs ist, wird es zu dick. So wäre es richtig und sinnvoll. In seiner Praxis sieht er nach eigenem Bekunden bei den Kindern ständig schwarze, faule Zähne. Welche Patienten hat der Mann? Nach der im August 2016 von der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung publizierten Mundgesundheitsstudie sind 81,3 Prozent der 12-jährigen Kinder, die angeblich vor dem Zucker zu schützen sind, vollkommen kariesfrei. Während der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatten 12-jährige Kinder in Deutschland durchschnittlich sieben kariöse Zähne. Welche dramatischen Konsequenzen hatte seither der Zuckerverzehr? Heute sind es durchschnittlich 0,7 kariöse Zähne.
Dieser Realitätsverlust erinnert an die WHO, die für ihre im Jahr 2015 gegebene Empfehlung zum Zucker-Verzehr im Hinblick auf das Übergewicht Daten einer Karies-Studie in Japan aus dem Jahr 1946 verwendet hat. Ist das seriöse Wissenschaft? Aber wer sieht schon so genau hin, wenn es dem Zeitgeist entspricht?
Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands prangert an, dass Zucker von der Industrie versteckt wird und Eltern oft nicht wissen, wieviel Zucker in Essen und Getränke enthalten sei. Sie wissen aber auch nicht, wieviel Eiweiß im Quark enthalten ist. Beides könnte man nach einem Blick auf die Verpackung wissen. Dort steht es, wenn man es denn wissen will. Das ist Transparenz.
In populistischer Weise will die AOK auf der Anti-Zucker-Welle mitschwimmen. Das schafft Image. Die Nahrungsmittel, die einen höheren glykamischen Index als Zucker haben, interessieren nicht. Fakten werden ausgeblendet. Die komplexen Ursachen für Adipositas sind für eine platte Kampagne zu kompliziert. Und Diabetiker sind eigentlich willkommen. Warum sollte man als Kasse auf die Insulinkopfpauschale verzichten? Die AOK sollte sich fragen, ob es förderlich ist, mit “Alles ohne Kompetenz” übersetzt zu werden.
Detlef Brendel ist Autor des Buches ” Die Zucker-Lüge“, in dem er sich u.a. kritisch mit den Irrungen der so genannten Ernährungsaufklärung und der Bevormundung der Verbraucher beschäftigt (Ludwig-Verlag ISBN 978-3-453-28075-5).
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