Die Deutsche Kinderhilfe weist gemeinsam mit dem Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) auf einen Missstand in unserem Schulsystem hin, der Kinder mit einer Legasthenie und Dyskalkulie in ihren Bildungschancen deutlich einschränkt.
Zum zweiten Mal wird am 30.09.2017 der Tag der Legasthenie und Dyskalkulie ausgerufen, um deutlich zu machen, dass für die betroffenen Kinder in der Bildung noch viel getan werden muss. Die gemeinsame Kampagne der Deutschen Kinderhilfe und des BVL “Bessere Bildungschancen für Kinder mit Legasthenie und/oder Dyskalkulie!” soll helfen, die Chancen in unserem Bildungssystem zu verbessern, damit Kinder schulisch unterstützt und nicht “aussortiert” werden.
Nach der aktuellen Caritas-Studie haben 5,9 % der Schulabgänger keinen Schulabschluss. Viele Kinder mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie erreichen zwar einen Abschluss, aber in den meisten Fällen liegt dieser deutlich unter ihrem Begabungsniveau. “In der neuen Legislaturperiode müssen dringend mehr Anstrengungen in der Bildungs- und Schulpolitik unternommen werden, insbesondere im Hinblick auf individuelle Förderung und Inklusion. Hier bedarf es auch mehr Investitionen vom Bund. Das Kooperationsverbot muss für den Schulbereich gelockert werden, damit der Bund mehr Unterstützungs- und Finanzierungsmöglichkeiten für die Schulen anbieten kann”, fordert Rainer Becker, Vorstand der Deutschen Kinderhilfe.
Bis heute gelingt es den Schulen nicht ausreichend, die von einer Legasthenie oder Dyskalkulie betroffenen Kinder zu erkennen und zu fördern. Der Lehrermangel und die fehlende Förderqualifikation der Lehrkräfte macht es vielen Schulen schwer, individuelle Förderkonzepte auszuarbeiten und umzusetzen. In der OECD-Studie von 2017 zeigt sich deutlich, dass sich Lesekompetenz und alltagsmathematische Kompetenz durch Bildung steigern lassen. Hohe Kompetenzen in diesen Fertigkeiten spielen eine wichtige Rolle bei der Erreichung besserer gesamtgesellschaftlicher Ergebnisse. Die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Folgen der aktuell fehlenden Unterstützung sind immens, denn ca. 10 % aller Schülerinnen und Schüler sind von einer Legasthenie oder Dyskalkulie betroffen. Wertvolle Potenziale werden verschenkt, wenn man die Stärken der Kinder nicht erkennt, nicht fördert und sie seelisch krank macht.
“Es ist nicht nachvollziehbar, warum es in Deutschland immer noch möglich ist, die Schule ohne Schulabschluss oder als Analphabet zu verlassen. Das Armutsrisiko von Kindern mit keinem oder niedrigem Bildungsabschluss ist immer noch deutlich erhöht”, sagt Christine Sczygiel, Vorsitzende des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie. “Insbesondere sozial schwache Familien werden allein gelassen, weil sie außerschulische Therapien nicht finanzieren können. Der boomende Nachhilfemarkt ist ein Zeichen für das Versagen unseres Schulsystems. Pädagogen müssen schnellstmöglich besser qualifiziert werden, um Kinder bei Lernproblemen zu unterstützen. Es müssen neue Schulkonzepte her, die gut qualifizierte Lerntherapeuten in den Schulbetrieb einbinden. Kinder und Familien mit ihren Problemen allein zu lassen, ist nicht mehr länger hinnehmbar”, beklagt Sczygiel.
Der Bildungsmonitor 2017 zeigt, dass es bundesweit kaum Fortschritte in den Bildungssystemen gibt und bei wichtigen Indikatoren sogar Rückschritte zu verzeichnen sind. Der Anteil leseschwacher Schüler hat sogar zugenommen. Die Bildungsarmut unter jungen Erwachsenen dürfte in den kommenden Jahren steigen. Dies gibt Anlass zur Sorge, besonders in Bezug auf die Chancen- und Teilhabegerechtigkeit. Deutschland investiert 4,2 % seines Bruttoinlandsproduktes in Bildungsinstitutionen, das liegt deutlich unter dem OECD Mittel von 4,8 %. “Uns fehlen heute schon Fachkräfte und wir schöpfen das Potenzial von Kindern mit einer Legasthenie und Dyskalkulie nicht aus. Der Staat muss in die Zukunft investieren und betroffene Kinder bereits in der Schule frühzeitig und qualifiziert fördern”, sagt Rainer Becker von der Deutschen Kinderhilfe.
Der Tag der Legasthenie und Dyskalkulie am 30.09.2017 soll dabei helfen, mehr Bewusstsein für die Belange der betroffenen Kinder und Familien zu schaffen. Die Öffentlichkeit muss sich diesem Thema verstärkt annehmen, denn es hat eine hohe gesellschaftspolitische Bedeutung. Deutschland darf im Vergleich zu anderen OECD-Staaten nicht weiter abrutschen und darf sich kein Armutszeugnis ausstellen, indem es dabei zusieht, wie unser Schulsystem Analphabeten produziert und Kinder ohne Schulabschluss entlässt.
Die Deutsche Kinderhilfe plant gemeinsam mit dem Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) am 26.04.2018 eine Expertenrunde, um Lösungsstrategien zu erarbeiten, wie den betroffenen Kindern schnellstmöglich geholfen werden kann, damit der Missstand in unserem Bildungssystem nicht weiter aufgeschoben wird.
Weitere Informationen zum Thema Legasthenie und Dyskalkulie sind im Internet unter http://www.bvl-legasthenie.de abrufbar.
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Über den Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V.:
Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. besteht seit über 30 Jahren und ist eine Interessenvertretung von Betroffenen und deren Eltern sowie von Fachleuten (Pädagogen, Psychologen, Ärzten, Wissenschaftlern und im sozialen Bereich Tätigen), die sich in Theorie und Praxis mit der Legasthenie und Dyskalkulie auseinandersetzen. Er trägt dazu bei, dass gesetzliche Grundlagen und wissenschaftliche sowie praktische Möglichkeiten der Hilfe in allen Bundesländern geschaffen und verbessert werden. Durch persönliche Beratung, Informationsschriften und Hinweise auf geeignete Literatur sollen die Eltern die Schwierigkeiten ihrer betroffenen Kinder besser verstehen lernen.
Der BVL fördert durch wissenschaftliche Kongresse und Veröffentlichungen die Forschung und den wissenschaftlichen Dialog unter Fachleuten aller beteiligten Disziplinen. Durch Informationen und Zusammenarbeit mit den Medien macht der BVL die Probleme der Legastheniker und Dyskalkuliker bekannt.
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