Dynamik einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel bei Betriebsübergang
Verfasserin: Ingrid Heinlein, Rechtsanwältin
Ist zwischen einem Betriebsveräußerer (Arbeitgeber) und einem Arbeitnehmer arbeitsvertraglich vereinbart, dass ein Tarifvertrag „dynamische“ Anwendung im Arbeitsverhältnis findet, geht das Arbeitsverhältnis mit der Dynamik auf den Betriebserwerber über (§ 613 a Abs. 1 S. 1 BGB)
BAG, Urteil vom 30.8.2017 – 4 AZR 95/14 Pressemitteilung Nr. 35/17
(Leitsatz d. Verfasserin)
Diese Entscheidung und eine Parallelentscheidung des BAG (4 AZR 68/14) bilden einen Schlusspunkt in der Rechtsprechung zur Dynamik arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln. Als dynamische Bezugnahmeklauseln werden arbeitsvertragliche Vereinbarungen bezeichnet, in denen geregelt ist, dass ein Tarifvertrag (oder mehrere Tarifverträge) und seine späteren Änderungen im Arbeitsverhältnis Anwendung findet.
Im Ausgangsfall wurde die Klägerin als Stationshilfe von einem kommunalen Krankenhaus eingestellt. Im Arbeitsvertrag wurde vereinbart, dass der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter/Arbeiterinnen gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-GII) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung finden. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Betrieb privatisiert und veräußert. Die derzeitige Arbeitgeberin der Klägerin, die nicht Mitglied im KAV ist, weigerte sich, den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD-VKA) anzuwenden.
Immer wieder haben sich die Gerichte damit beschäftigt, was aus der Dynamik einer Bezugnahmeklausel wird, wenn diese von einem tarifgebundenen Arbeitgeber vereinbart wurde und die Tarifbindung des Arbeitgebers zu einem späteren Zeitpunkt endet. Dies ist insbesondere der Fall bei einer Veräußerung des Betriebs (oder eines Betriebsteils) an einen Arbeitgeber, der nicht tarifgebunden ist. Bei einer Betriebsveräußerung an einen nicht tarifgebundenen Erwerber sieht das Gesetz auch keine Bindung an spätere Änderungen von Tarifverträgen vor (§ 613 a Abs. 1 S. 2 und 3 BGB).
Deshalb ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von grundlegender Bedeutung, ob der nicht tarifgebundene Betriebserwerber auf Grund einer dynamischen Bezugnahmeklausel arbeitsvertraglich an die Dynamik gebunden bleibt.
Eine wenig überzeugende Theorie hierzu („Gleichstellungsabrede“) hat der zuständige Senat des BAG im Jahr 2005 aufgegeben. Ausgenommen sind allerdings Klauseln, die vor dem 1.1.2002 vereinbart wurden. Insoweit hat der Senat den betroffenen Arbeitgebern Vertrauensschutz zugebilligt.
Jedenfalls beim Austritt aus dem Arbeitgeberverband gilt daher für ab dem 1.1.2002 vereinbarte Bezugnahmeklauseln, dass ihre Dynamik durch den Austritt nicht beseitigt wird. Es bedarf dazu vielmehr einer Änderungsvereinbarung oder einer (wirksamen) Änderungskündigung. Unklar blieb, was aus der Dynamik im Fall eines Betriebsübergangs wird, weil sich auch der EuGH mit dieser Frage befasst hatte und dessen Entscheidungen mit der geänderten Rechtsprechung des BAG nicht in Einklang standen.
Art. 3 Abs. 1 S. 1 der europäischen Richtlinie 2001/23 (früher Richtlinie 77/187) bestimmt, dass die Rechte und Pflichten des Betriebsveräußerers aus einem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf den Erwerber übergehen. Nach einem Urteil des EuGH vom 9.3.2006 (Werhof) ist mit dieser Bestimmung vereinbar, dass die Dynamik einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, die ein tarifgebundener Veräußerer vereinbart hat, beim Übergang des Betriebs auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber nicht fortbesteht. In einem Urteil vom 18.7.2013 (Alemo-Herron) entschied der EuGH, Art. 3 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 2001/23 verwehre es den Mitgliedstaaten, vorzusehen, dass die Dynamik der Bezugnahmeklausel fortbesteht, wenn der Erwerber keine Möglichkeit habe, an den Tarifverhandlungen teilzunehmen. In Deutschland besteht diese Möglichkeit nicht für Arbeitgeber, die nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes sind.
Auch diese Rechtsprechung wurde aufgegeben. Nun ist klar: die Dynamik einer Bezugnahmeklausel wird durch einen Betriebsübergang nicht beseitigt. Der 4. Senat des BAG hat die Verfahren, die Gegenstand der Entscheidungen vom 30.8.2017 sind, dem EuGH vorlegt, der durch Urteil vom 27.4.2017 (Asklepios Kliniken) nun – erstmals am Wortlaut der Richtlinie orientiert – entschieden hat, Art. 3 Abs. 1 S. 1 Richtlinie 2001/23 verhindere nicht, dass eine dynamische Bezugnahmeklausel ihre Wirkungen nach dem Betriebsübergang nicht mehr entfalte. Dem folgt das BAG in seinen Entscheidungen vom 30.8.2017. Damit gilt auch für den Fall des Betriebsübergangs, dass es einer Änderungsvereinbarung oder einer (wirksamen) Änderungskündigung bedarf, um eine Änderung einer dynamischen Bezugnahmeklausel herbeizuführen.
Fazit:
Das BAG hat nun in einer langen Kette von Irrtümern und Korrekturen die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Dynamik arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln zu einem positiven und der Rechtsordnung entsprechenden Abschluss gebracht. Es bleibt abzuwarten, welche Möglichkeiten der betriebsbedingten Änderung dem Betriebserwerber in Zukunft eingeräumt werden.
Es ist weiterhin entscheidend, dass vom einem Betriebsübergang betroffenen AN mit dem neuen Arbeitgeber keine Änderungsverträge abschließen, die in der Regel nur zu Verschlechterungen des alten Arbeitsvertrages führen. Eine dahingehende Beratung der AN (und Betriebsräte) wird jetzt noch etwas wichtiger. Unsere Ausführungen im Mandanteninfo vom Februar 2014
http://www.fachanwaeltinnen.de/minfo/Bezugnahmeklauseln_bei_Betriebsuebergang.pdf sind damit jedenfalls überholt.
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