mündliche Verhandlung zum Mehrwertsteuerrecht
-Pressemitteilung-
Am 22. Februar 2018 findet vor dem Finanzgericht Kassel ein sehr interessantes Verfahren statt, mit dem der Kläger klären lassen will, ob dieser als Unternehmer mit der Verbrauchssteuer, in Form der unionsrechtlich harmonisierten Mehrwertsteuer finanziell belastet werden darf.
Gemäß der unmittelbar anzuwenden Rechtsgrundlage, der MwStSystRL, ist der Unternehmer lediglich “Steuereinnehmer für Rechnung des Staates”
(vgl. EuGH-Urteile Di Maura, C-246/16 v. 23. November 2017; Netto Supermarkt (C-271/06, EU:C:2008:105, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung, zur Rolle des Steuerpflichtigen als bloßer “Steuereinnehmer für Rechnung des Staates”)
Mit Glücksspielen lässt sich das Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, die “steuerliche Neutralität” als typprägendes Steuermerkmal und die Vorgaben des “direkten, unmittelbaren” und “wertentsprechenden” nicht durch Unwägbarkeiten unterbrochenen Leistungsaustauschs nicht einhalten.
(BFH Urteil, XI R 37/14; Bastova v. 10.11.2016 – C-432/15; Tolsma v. 3.3.1994 – C-16/93, Rz 13 und 14; Gemeente Borsele v. 12. 5.2016 – C-520/14, Rz 24; Lajver v. 2.6.2016 C-263/15, Rz 26)
Weil sich Glücksspielumsätze nicht zu einer Mehrwertsteuererhebung eigenen, und um einen Steuermissbrauch zu verhindern, hat der Unionsgesetzgeber bereits mit der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr MwStSystRL 2006/112/EG. Art 131 i.V. mit Art. 135,1,i) beschlossen, Glücksspielumsätze grundsätzlich von einer Mehrwertsteuererhebung auszunehmen und mit Art. 137 die Mehrwertsteueroption verboten, wodurch ein Vorsteuerabzug gem. Art. 169 auch unzulässig ist.
(vgl. Bulletin vom Mai 1973 der Europäische Kommission)
Nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sind Umsätze durch sonstige Glücksspiele mit Geldeinsätzen unter den Bedingungen und den Beschränkungen steuerfrei, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden.
(vgl. EuGH Henfling (C-464/10) Rn 28ff, United Utilities, C-89/05, Rn 23, 26; Linneweber / Akritidis, EuGH C-453/02 und C-462/02, Leitsatz 2f, Rn 20ff, 33, 43ff)
Die Mitgliedstaaten sind bei der Umsetzung dieser Steuerbefreiung in nationales Recht nur befugt, die Bedingungen für diese Steuerbefreiung zu gestalten und dürfen sie lediglich gestalten, indem die Bedingungen für die grundsätzlich anzuerkennende Steuerbefreiung festgelegt und Beschränkungen einführt werden. Mit § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG wird aber eine ausnahmslose Steuerpflicht geregelt. Durch die vollständige Nichtberücksichtigung der für Umsätze durch sonstiges Glücksspiel angeordneten Steuerbefreiung werden weder Bedingungen noch Einschränkungen für die Steuerbefreiung vorgegeben. Sie dürfen aber die grundlegende Entscheidung über die Steuerbefreiung dieser Umsätze nicht in Frage stellen.
(vgl. in diesem Sinne u. a. EuGH-Urteile, Becker, 8/81, Rn 32, Kingscrest Associates und Montecello, Randnr. 24; VDP Dental Laboratory, C-401/05, Rn 26; Haderer, C-445/05, Rn 18 und die dort angeführte Rechtsprechung, Don Bosco Onroerend Goed, C-461/08, Rn 25 und die dort angeführte Rechtsprechung; CopyGene, C-262/08, Rn 26, Zimmermann C-174/11, Rn 22 und Rn 39)
Der Kläger beruft sich auf die in Art. 131 i.V. m. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL für Umsätze durch sonstige Glücksspiele angeordnete Steuerbefreiung. Dazu ist er berechtigt, weil diese Regelung unmittelbare Wirkung hat.
Gemäß dem BFH Urteil vom 24.10.2013 (V R 17/13) sind die Finanzgerichte zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung im Sinne des Gemeinschaftsrechts verpflichtet um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften “auszuschalten”, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden.
Das FG Kassel hat somit die unmittelbar anzuwendende MwStSystRL entsprechend den unionsrechtlichen Kriterien, vollständig umzusetzen, um dieser, uneingeschränkt Wirkung zu verleihen.
(vgl. BFH Urteil, XI R 37/14, EuGH-Urteile C-264/14, C-390/15; s.a.: BFH XI R 37/14, Rn 26, 27 / EuGH C-338/98 Rn. 55f; C-114/14, Rn 17, C-204/03, Rn. 28; C-264/14, Rn 33; C-540/09, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung)
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