Wenn der Staat tief in die fiskalische Trickkiste greift

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Experten kritisieren „unmoralische Steuern“ für private Wettanbieter –

Von Nicolaus Gläsner +++ Viele Kommunen in Deutschland pfeifen finanziell aus dem letzten Loch. Eine grundsätzliche Neuordnung der kommunalen Finanzen ist längst überfällig, lässt aber weiter auf sich warten. In ihrer Not greifen die Städte tief in die fiskalische Trickkiste. Um die klammen Kassen mit Kohle zu füllen, ufert die Fantasie von Politikern und Verwaltungen aus. Man denke nur an die Bettensteuer, die Solariumsteuer, die Sexsteuer, die Mobilfunkmastensteuer etc.

Nun hat die nordrhein-westfälische Stadt Hagen eine neue kommunale Sondersteuer auf den Weg gebracht: nämlich eine Steuer auf den Betrieb von Wettbüros. Die NRW-Landesregierung hat schon grünes Licht gegeben. Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass dieses Beispiel Schule machen wird.

Der Bund der Steuerzahler http://www.steuerzahler.de hält eine Wettbürosteuer für „scheinheilig“. Den Kommunen gehe es nicht darum, die Spielsucht zu bekämpfen, sondern nur darum, die Haushaltskassen zu füllen. „Wenn die Städte weniger Wettbüros haben wollen, sollten sie sie einfach verbieten“, so der Steuerzahlerbund. Zumal Wettbüros – wie jeder gewöhnliche Gewerbebetrieb auch – ohnehin bereits der Einkommens- bzw. Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer ausgesetzt sind.

Scharfe Kritik übt auch der Fraktionsvorsitzende des FDP in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki: „Ich halte von einer kommunalen Steuer auf Wettbüros überhaupt nichts, völlig unabhängig von der Frage, ob dies rechtlich überhaupt zulässig ist. Nur weil das Wetten wegen der angeblichen Spielsucht gebrandmarkt wird, trauen sich das klamme Kommunen überhaupt“, so der liberale Politiker http://www.fdp-sh.de/Abgeordnete/2358b674/ und Steuerexperte. „Niemand käme auf die Idee, Tankstellen oder Bäckereien mit einer Sondersteuer zu belegen, nur, weil sie da sind.“

Ob diese Steuer, die manche Experten als unmoralisch oder scheinheilig brandmarken, rechtlichen Bestand haben wird, muss sich noch zeigen. „Von der Sexsteuer bis zur Abgabe für den Solariumbesuch: Bei der Erhebung so genannter Aufwandssteuern waren Städte in NRW bislang durchaus kreativ. Nicht immer halten die Vorschläge Gesetzen und Vorgaben stand“, schreibt die Deutsche Presse-Agentur (dpa).

Die derzeitige Diskussion über die Wettbürosteuer ist nur ein Kapitel aus der schier unendlichen Geschichte über den „Kampf ums große Geld“, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) http://www.sueddeutsche.de/geld/gluecksspiel-kampf-um-den-jackpot-1.2069698 schreibt. Es geht dem Staat nicht um Moral oder den Kampf gegen die vermeintliche Spielsucht, sondern um Steuern. Nach SZ-Recherchen wird jährlich in Deutschland für weit mehr als zehn Milliarden Euro getippt und gezockt, in Spielhallen und Casinos, bei Lotto, Toto und anderswo. Der Staat, angeblich im Besitz der höheren Moral als private Anbieter, macht ordentlich Kasse. „Sieben Milliarden Euro setzen dabei allein die staatlichen Lottogesellschaften um“, so die Münchner Tageszeitung. Davon fließen „nur“ 1,6 Milliarden Euro in einen Topf für gemeinnützige Zwecke. „Weitere 1,2 Milliarden Euro gehen direkt an die Länder, denen die Lottogesellschaften in der Regel gehören, und die nun um diese Sondererlöse bangen“.

FDP-Politiker Wolfgang Kubicki: „Es gibt keine höhere staatliche Moral“

Doch während die Deutschen „offenbar Milliarden bei Sportwetten“ (SZ) und anderen Angeboten „verzocken“, lässt eine Liberalisierung und Regulierung des Glücksspielmarktes weiter auf sich warten. Wäre man dem wegweisenden Gesetz aus den Zeiten der schwarz-gelben Regierung in Schleswig-Holstein gefolgt, dann herrschte heute nicht mehr Wildwuchs. Dass die Politik und der Staat beim Kassieren offenbar sehr gern die Hände aufhalten, beim Festlegen eines auch EU-rechtskonformen gesetzlichen Rahmens aber einfach nicht zu Potte kommen, erbost den FDP-Politiker Kubicki, der das liberale Kieler Glücksspielgesetz damals selbst mit auf den Weg gebracht hatte: „Noch immer ist unter der Geltung des Glücksspielstaatsvertrages keine einzige Wettlizenz erteilt worden. Gerade erst musste die Sportlotterie verschoben werden. Das zeigt die Unfähigkeit oder die Borniertheit der handelnden Personen. Die Gleichung: staatliches Spiel ist gutes Spiel, privates ist schlecht, gehört in die Mottenkiste der sozialistischen Geschichte. Es gibt keine höhere staatliche Moral.“ Oder etwa doch? Immerhin kassiert der Staat seit Jahren Umsatz-Steuern von Wettanbietern, die er in Sachen Lizenzvergabe beständig hinhält …

Aufgrund der unübersichtlichen aktuellen Rechtslage in Deutschland „befindet sich jeder deutsche Bundesbürger in einer gesetzlichen Grauzone, für die es noch keine genauen rechtlichen Bestimmungen gibt“, so der Berater Christian Edler http://www.huffingtonpost.de/christian-edler/sportwetten-die-aktuelle-rechtslage-von-sportwetten-in-deutschland_b_5591429.html. Allein Schleswig-Holstein habe sich einst auf den „einsame(n) Weg des Fortschritts“ begeben, indem die dortige Landesregierung ein EU-rechtskonformes Konzept für die legale Lizenzierung von Online-Anbietern entwickelt habe: „Leider hatte nach Ablösung der Regierung die Vergabe der Lizenzen ein Ende genommen. Lediglich bereits bestätigte Anbieter mussten noch eine Lizenz erhalten, die aber nur in Schleswig-Holstein gilt“.

„Wir bräuchten keine einheitliche Glücksspielregelung auf Bundesebene, wenn endlich Vernunft und Sachlichkeit in die Debatte zurückkehren würden und es nicht mehr nur um die Sicherung von Pfründen in staatlichen Lottogesellschaften ginge“, fordert der FDP-Mann Kubicki in Anspielung auf die Tatsache, dass derzeit zahlreiche Ex-Politiker ohne fachliche Expertise und Ausschreibung an sehr gut dotierte Posten in den Lottogesellschaften kommen.

Der jetzige Glücksspielstaatsvertrag, der eine Abkehr vom schleswig-holsteinischen Modell darstellt, dämmt illegale Angebote nach einer Studie des Beratungsunternehmens Goldmedia http://www.goldmedia.com kaum ein. Demnach wurde 2012 hierzulande mit Sportwetten ein Umsatz von 6,8 Milliarden Euro erzielt. Nur 245 Millionen davon haben staatlich regulierte Angebote erwirtschaftet, so Tobias Kuske im Magazin Sponsors. Kuske wörtlich: „Damit würde der seit Juli 2012 geltende Glücksspielstaatsvertrag eines seiner Hauptziele, nämlich die Hinleitung der Spieler auf legale und kontrollierte Angebote, nicht erreichen. Dabei gebe es laut der Studie eine Alternative, um die Ziele zu erreichen: Das Glücksspielgesetz von Schleswig-Holstein, das jedoch Anfang dieses Jahres aufgehoben wurde. Goldmedia hat ein Szenario berechnet, in dem das schleswig-holsteinische Glücksspielgesetz in ganz Deutschland gilt. In diesem Gesetz, welches seit Anfang 2013 nicht mehr gilt, sind neben der Sportwette auch Online-Poker und -Casino möglich. Die Zahl der Lizenzen ist nicht wie im aktuell gültigen Glücksspielstaatsvertrag auf 20 begrenzt.“

In diesem Szenario ginge der Umsatzanteil von unregulierten Plattformen deutlich zurück, so Kuske unter Berufung auf die Studie. 93 Prozent der Wetteinsätze könnten demnach im Jahr 2017 von lizenzierten Sportwettenanbietern erwirtschaftet werden. Die Sportwettensteuer-Einnahmen hätten bei diesem Vergleichsszenario im Jahr 2017 ein Volumen von 395 Millionen Euro. Bei legalisiertem Online-Casino und -Poker könnten die Steuereinnahmen aus Glücksspiel im Jahr 2017 sogar auf rund 560 Millionen Euro steigen, schätzt die Studie.

In diesem Fall würde der Staat also nicht nur die Hand aufmachen, sondern zugleich auch einen sicheren Rechtsrahmen für private Glücksspielanbieter und die privaten Kunden solcher Angebote bieten.

Der Staat nimmt Steuern, verweigert aber die Lizenzen

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Hans-Jörn Arp, sieht in den Ergebnissen der Goldmedia-Studie einen klaren Beleg für das Scheitern des aktuellen Glücksspielstaatsvertrags, dem nach dem Regierungswechsel auch Schleswig-Holstein beigetreten ist: ,,Diese Studie ist eine Blamage. Sie zeigt eindeutig, dass der Staatsvertrag nichts gegen den boomenden Sportwettenschwarzmarkt tut. Spielerschutz findet nicht statt. Schleswig-Holstein ist einem Rohrkrepierer beigetreten.“

Ein weiterer Kritikpunkt an der momentanen Regelung ist, dass die Bundesländer für Online-Wettanbieter eine fünf-prozentige Umsatzsteuer vorsehen. Das ist nicht nur ökonomisch, sondern auch moralisch fragwürdig: Denn während der Staat die Online-Wettanbieter seit nunmehr über zwei Jahren hinhält und noch immer keine Lizenzen erteilt hat, kassiert er von eben diesen Anbietern munter Steuergelder – nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) rund 189 Millionen allein im Jahr 2013 http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/wirtschaft/die-neue-offenheit-der-sportwetten-anbieter-13051819-p2.html.

Im Klartext: Der Staat legt zweierlei Messlatten an. Geht es um das Einsammeln von Steuern im dreistelligen Millionenbereich, behandelt man die Wettanbieter wie jedes steuerpflichtige Unternehmen zwischen Alpendrand und Ostseestrand. Fragen Wettanbieter jedoch nach Lizenzen für ihr Geschäftsmodell, auf dessen Basis sie schließlich diese Steuern zahlen, bleibt der Staat bis dato verbindliche Antworten schuldig und nimmt den Unternehmen jede Planungssicherheit. Mehr noch: Wenn es politisch gerade passt, stellt man die Wettanbieter auch gerne in eine Schmuddelecke. Fairplay sieht wohl anders aus – was auch für die Steuerfestsetzung selbst gilt: Denn bei den attraktiven Ausschüttungsquoten von regelmäßig rund 90 Prozent der Einnahmen ist ein profitables Wirtschaften bei dieser Steuerlast ohnehin kaum möglich. „Wenn fünf Prozent vom Umsatz zu entrichten sind, bleibt kaum etwas in der Kasse des Anbieters, der aber seine Kosten decken und die Aktionäre zufriedenstellen muss“, so Thorsten Winter in der FAZ. Brancheninsider und Steuerexperten halten daher eine Bruttorohertragsbesteuerung für geeigneter. Etwa 10 bis 20 Prozent vom Bruttorohertrag – wie etwa in Dänemark der Fall – seien „marktkonform“. Nur zum Vergleich: die aktuelle Steuerlast von fünf Prozent vom Umsatz entspricht umgerechnet 62,5 Prozent vom Bruttorohertrag.

Kubicki teilt die Bedenken der Branche: „Eine Besteuerung des Umsatzes statt des Rohertrags macht deshalb keinen Sinn, weil der überwiegende Teil des Umsatzes an die Spieler wieder ausgeschüttet wird. Der Staat verdient hier überproportional zu Lasten der Anbieter oder der Spieler“. Doch noch sind der staatlichen Gier beim Kassieren keine Grenzen gesetzt. Selbstverständlich alles unter dem Deckmäntelchen der höheren staatlichen Moral!

Das Redaktionsbüro Andreas Schultheis bietet Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Ghostwriting, Manuskripte, Redevorlagen etc. für Unternehmen, Verbände, Politiker.

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