Industrieanlagen als nächste Komplexitätsstufe für Industrie 4.0-Anwendungen
Kostspielige Anlagenausfälle vorhersehen und durch Prozessoptimierung Kosten sparen. Die Zielstellung der Entwicklungen des Fraunhofer IGD sind klar: Predictive Maintenance zur globalen Überwachung und Vermeidung von Systemausfällen und eine optimierte digitale Systemsteuerung.
Wie können ungeplante und damit extrem kostspielige Anlagenausfälle nicht nur frühzeitig erkannt, sondern sogar vermieden werden? Wie lassen sich alle digital zur Verfügung stehenden Informationen zur optimalen Prozesssteuerung nutzen? Das sind aktuelle Fragestellungen in der Industrie 4.0, zu deren Beantwortung die Augmented-Reality-Technologien des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung (IGD) einen entscheidenden Beitrag leisten können. Auf der International Manufacturing Technology Show (IMTS) in Chicago, der größten Messe für Fertigungstechnologie in Nordamerika, präsentieren die Forscher vom 10. bis zum 15. September 2018 ihre neuesten technologischen Entwicklungen.
Das Team der Abteilung Virtuelle und erweiterte Realität rund um Dr. Ulrich Bockholt erforscht Technologien zur Objekterkennung und -verfolgung. Das Tracking, also die Verfolgung von Position und Orientierung der Objekte, die mit der Kamera aufgezeichnet werden, ist die Kerntechnologie industrieller AR-Anwendungen. Die Software hilft dabei, Unterschiede zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand zu identifizieren und wird hierfür routinemäßig in industriellen Anwendungen eingesetzt.
Industrieanlagen als nächste Komplexitätsstufe für Industrie 4.0-Anwendungen
Derzeit arbeiten die Forscher an der Adaption ihrer Technologien auf die nächste Komplexitätsstufe – kompletten Industrieanlagen. Die Wartung großer Anlagen ist extrem kosten- und zeitintensiv – vor allem, wenn Ausfälle nicht im Rahmen einer definierten Wartung, sondern aufgrund unvorhergesehener Reparaturen entstehen. Hier setzen die Forscher an: Predictive Maintenance lautet die Vision, also die globale digitale Überwachung und proaktive Wartung industrieller Großanlagen, die Mängel identifiziert und automatische Reparaturprozesse auch außerhalb geplanter Wartungszyklen einleitet, bevor ein Systemausfall passiert.
Um den Messebesuchern auf der IMTS die neuen Größenordnungen der AR-Anwendungen zu veranschaulichen, wurde die eigene Tracking-Technologie angepasst und erweitert. Am Beispiel eines MeltCubes der Firma JHT – ein Heiß-Klebstoffschmelzgerät mit eigener Steuerung – bekommen die Gäste am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand live zu sehen, wie ein Laserprojektor AR-Daten auf das Objekt projiziert. Kontrastreich und sogar durch eine Schweißerbrille hindurch – aber ohne weitere Hilfsmittel wie eine AR-Brille – zu erkennen. Dank des Projektionssystems der Firma Extend3D präsentieren die Darmstädter so in Chicago anschaulich, in welchen Größenordnungen sich ihre Arbeitsergebnisse einsetzen lassen.
AR-Technologien in Kundenanwendung – Ziel: Predictive Maintenance ab Losgröße eins
Welches Potenzial die neuen Entwicklungen für die Industrie haben, bestätigt Alexander Krause, Projektleiter bei JHT: Unsere Kunden überlegen vor jeder Investition in eine neue Technologie, ob sich diese wirtschaftlich lohnt. Ungeplante Anlagenausfälle außerhalb der geplanten Wartungszyklen sind der Albtraum jedes Betreibers – die Anlageneffektivität ist im Wettbewerbskampf am Markt ein entscheidender Faktor. Die JHT GmbH entwickelt Beschichtungs- und Kaschiersysteme sowie komplette Anlagen. Im Laufe des nächsten Jahres wird im Rahmen einer neuen Testanlage auch bei JHT die Präsentationsmöglichkeit der Fraunhofer-Technologien für Kunden geschaffen. Ziel der gemeinsamen Entwicklungen in den nächsten Jahren ist es, die Technologie auch im Sondermaschinen- und Anlagenbau bereits ab der Losgröße eins in Anwendung zu bringen.
Mit dem Digital Twin die Potenziale der Digitalisierung voll ausschöpfen
Das Potenzial der AR-Anwendungen geht aber über die Wartung noch deutlich hinaus. Gerade auf der Komplexitätsstufe großer Industrieanlagen mit der Notwendigkeit einer optimierten Prozesssteuerung gewinnt der Digital Twin immer mehr an Bedeutung. Dieses zu jedem real existierenden Objekt digitale Replikat beinhaltet neben den 3D-CAD-Daten diverse andere Informationen z.B. zur Beschaffenheit einzelner Bauteile oder verwendeter Materialen. Der Zugriff auf die Daten dieses Digitalen Zwillings ist aufgrund ihrer Komplexität bisher häufig nur einigen wenigen Spezialisten vorbehalten und benötigt oft komplexe Soft- und Hardware. Die Technologie webVis/instant3Dhub des Fraunhofer IGD ermöglicht durch eine spezielle Datenaufbereitung und den Einsatz von Web-Technologien erstmals die Visualisierung kompletter 3D-Modelle in Echtzeit sowie den vollautomatischen Zugriff und Abgleich mit den Daten des Digitalen Zwillings. Mitarbeiter aus Einkauf, Planung oder Qualitätssicherung können die digitalen Daten zur Entscheidungsfindung heranziehen und haben über den webbasierten Zugang jederzeit und ortsunabhängig unkompliziert via PC oder Tablet Zugriff darauf. Dadurch wird Zeit für die Informationsbeschaffung eingespart, die Qualität von Entscheidungen verbessert und Fehler durch Zugriff auf veraltete oder unvollständige Daten vermieden.
Am Messestand zeigt das Team der Abteilung Visual Computing System Technologies rund um Dr. Johannes Behr am Beispiel eines Siemens-Motors, wie über die webVis/instant3Dhub-Plattform verschiedenste Zusatzinformationen aus den Datensätzen des Digitalen Zwillings mittels Augmented Reality über das Objekt gelegt werden können. Christian Mundo, Head of Digital Office bei der Siemens AG im Bereich Process Industries and Drives Division, bestätigt die wichtige Rolle des Digital Twin bei der Visualisierung kundenspezifischer CAD-Daten der eigenen Produkte: Unsere Kunden können die Produktdaten in der Entwicklungsphase, der Inbetriebnahme, beim Betrieb und beim Service/Retrofit optimal nutzen. Durch den automatischen Vergleich des realen Objekts mit dem CAD-Modell werden Bauteile einfach erkannt – so kann beispielsweise der Service das richtige Ersatzteil bestellen. Die Technologie dieses markerless Tracking ist eine der Kernkompetenzen des Fraunhofer IGD. Mit der Augmented-Reality-Brille HoloLens können Standbesucher auf den Siemens-Motor Zusatzinformationen wie die genauen Maße einzelner Bauteile einblenden und mit den Experten vor Ort die Einsatzmöglichkeiten und Anwendungsszenarien – beispielsweise die Möglichkeit, direkt aus der Anwendung den Bestellprozess für einzelne Teile zu starten – diskutieren.
Fraunhofer IGD auf der IMTS:
International Manufacturing Technology Show
10.-15. September 2018 – McCormick Place – Chicago, IL
East Building, Level 2, Booth No. 121815
Weiterführende Informationen:
– www.igd.fraunhofer.de/veranstaltungen/imts-2018
– www.igd.fraunhofer.de/projekte/instant3dhub
– https://instant3dhub.org
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