Berlin 28. Februar 2019 – Am 10. März jährt sich zum zweiten Mal der Jahrestag, an dem das sogenannte Cannabisgesetz in Deutschland in Kraft trat. Ziel der Gesetzesänderung war es, schwer kranken Patientinnen und Patienten die Therapie mit Cannabis als Medizin zu ermöglichen. Die neue Regelung hatte viele Hoffnungen bei Betroffenen geweckt, denen etablierte Therapieformen nicht helfen konnten. Hohe Ablehnungsquoten der Krankenkassen, Verunsicherung bei den Ärzten und Versorgungsengpässe für Patienten machen aber deutlich, dass es auch zwei Jahre nach Inkrafttreten des Cannabisgesetzes noch viel zu tun gibt.
„Leafly.de hat das sogenannte Cannabisgesetz dem Praxistest unterzogen. Unser Ergebnis: Die Gesetzesänderung ist zwar im Alltag angekommen, es hakt aber nach wie vor an der Umsetzung. Weiterhin gibt es zahlreiche Herausforderungen. Dazu zählen unter anderem die angespannte Versorgungslage der Cannabispatienten, Schwierigkeiten beim Zugang zu der Therapieoption Cannabis und Unsicherheiten bei der Verordnung innerhalb der Ärzteschaft. Die alltägliche Umsetzung des Gesetzes wird durch viele, vor allem bürokratische Hürden erschwert. Um die aktuelle Situation zu verdeutlichen, haben wir den Realitätscheck mit echten Patienten gemacht. Hier wird deutlich, dass sich für Patienten die Situation anders darstellt, als es die offiziellen Zahlen der Krankenkassen zeigen“, erklärt Sandrina Koemm-Benson, Chefredakteurin von Leafly.de.
Der Bedarf an Cannabis als Medizin steigt seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes rasant. Das belegen auch die Zahlen, die Leafly.de direkt bei den vier großen Krankenkassen AOK, Barmer, Techniker und DAK nachgefragt hat. Im März 2017 gab es in Deutschland rund 1.000 Patienten, die Cannabis verschrieben bekamen. Anfang März 2019 sind es über 22.000 Patienten mit genehmigten Kostenübernahmen, Tendenz steigend. Die kleineren gesetzlichen Versicherer sowie die Privatpatienten kommen noch hinzu. Dies übertrifft die Erwartungen und Schätzungen des Gesetzgebers bei Weitem. Kein Wunder also, dass es bei der Umsetzung im Alltag zu Problemen kommt.
Das Cannabisgesetz legt unter anderem fest, dass die Kosten für eine Cannabistherapie von der Krankenkasse zu tragen sind. Nur in Ausnahmefällen darf diese abgelehnt werden. Die Realität sieht anders aus: Die aktuelle Leafly.de Umfrage unter den vier großen Krankenkassen zeigt, dass im Schnitt 64 Prozent der Anträge auf Kostenübernahme genehmigt werden. Dies ist eine Steigerung um 3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, denn 2017 wurden 61 Prozent der Anträge genehmigt.
Kritik an diesen hohen Ablehnungszahlen kommt aus der Politik. Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Drogenpolitik der Grünen im Bundestag, erklärt gegenüber Leafly.de: „Das Gesetz muss deutlich nachgebessert werden. Die Krankenkassen lehnen noch immer ein Drittel aller Anträge ab, dabei sollte es nur in Ausnahmefällen so sein. (…) Der Geburtsfehler des Gesetzes war der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen. Wer Cannabis ärztlich verordnet bekommt, soll auch die Kostenerstattung erhalten“.
Im Alltag ist es nach wie vor für viele Patienten schwierig, einen Arzt zu finden, der für eine Therapie mit Cannabis offen ist. Dabei sollten Schwerkranke wenigstens die Möglichkeit haben, zu dieser Therapieoption von einer Ärztin oder einem Arzt beraten zu werden. Viele Ärzte weigern sich diese Therapieform in Betracht zu ziehen. Die Gründe hierfür sind meist Zeit- und Budgetmangel sowie schlichtweg Unwissenheit dem Thema gegenüber. Doch nicht alle Ärzte sehen das so.
Für Professor Dr. Dr. Joachim Nadstawek, Leiter des Schmerzzentrums an der Jankerklinik Bonn und Vorsitzender des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD), bietet Cannabis eine Bereicherung des therapeutischen Spektrums: „Cannabinoide sind keine Wundermittel, aber es ist doch erstaunlich, was damit bei vielen Patienten erreicht werden kann. Ich habe tatsächlich bisher nur wenige Patienten erlebt, denen es nicht hilft. Und nicht nur bei chronischen Schmerzen können Cannabinoide sinnvoll sein, auch andere Einsatzgebiete wie beispielsweise entzündliche Darmerkrankungen und therapieresistente Epilepsien stehen im Fokus.“
Auch die eigene Leafly.de Patientenumfrage bestätigt diese Aussagen von Prof. Dr. Dr. Nadstawek. Insgesamt 130 Patientendaten wurden ausgewertet. Diese wurden per Onlinebefragung und aus den Leafly.de Patientenakten erhoben.
Die Ergebnisse:
-Die meisten Patienten erhalten Medizinalhanf gegen chronische Schmerzen aller Art oder bei psychischen Beschwerden. Fibromyalgie, ADHS, chronische Darmerkrankungen und Krebs folgen. Wenig verordnet wurde hingegen eine Cannabistherapie bei MS, Autismus oder Epilepsie.
-Nur 67 Patienten verfügen über eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Das ist etwas mehr als die Hälfte aller Befragten. 29 Patienten erhalten Privatrezepte und 34 Antragsverfahren laufen noch.
-Bayern liegt nach wie vor bei den Genehmigungen vorn, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Im Osten Deutschlands ist die Genehmigungsquote nach wie vor erschreckend gering.
-Von der Beantragung der Kostenübernahme bis zur Ausstellung des ersten Cannabis-Rezeptes dauerte es in der Regel drei Wochen.
-Legten die Patienten Widerspruch gegen eine Ablehnung ein, so dauerte es drei bis 12 Monate. In einigen Fällen dauern die Genehmigungsverfahren noch an, da die Patienten Klage bei Gericht eingereicht haben.
-Nach wie vor machen Blüten den Hauptteil der Verordnungen aus. 75 Prozent gaben an, diese zu bekommen. 15 Prozent nehmen Dronabinol ein, 5 Prozent erhalten Cannabisvollspektrumextrakte. Nur 5 Prozent erhalten das Fertigarzneimittel Sativex.
Abschließend lässt sich sagen, dass trotz aller Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung, Cannabis als Medizin heute in der medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten angekommen ist. Auch wenn es noch viele Baustellen gibt: Das Cannabisgesetz ist ein Meilenstein für viele Patienten, denen herkömmliche Therapien nicht geholfen haben. Jetzt ist die Politik gefordert, Stolpersteine beim Cannabisgesetz auszumerzen und damit der Zugang zu einer Cannabistherapie zu erleichtern.
Weitere Stimmen aus Politik, Ärzteschaft und Gesundheitswesen finden interessierte Leserinnen und Leser in dem ausführlichen Artikel zum Thema unter https://www.leafly.de/zwei-jahre-cannabisgesetz-leafly
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