Das Arbeitszeugnis in der Praxis – Anspruch, Inhalt & Durchsetzung

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Ein Interview von Toni Ivanov mit Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen

Toni Ivanov: Welche Arbeitnehmer haben Anspruch auf Arbeitszeugnis?

Fachanwalt Bredereck: Jeder Arbeitnehmer kann die Ausstellung eines schriftlichen Arbeitszeugnisses verlangen, egal ob er voll- oder teilzeitbeschäftigt ist. Dieses auf der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers beruhende Recht des Arbeitnehmers ist in § 109 GewO geregelt. Für Auszubildende ist § 16 BBiG maßgeblich. Selbständige haben dagegen aufgrund ihrer weisungsfreien Dienstleistungen keinen Anspruch auf einen Arbeitszeugnis.

Toni Ivanov: Wie macht man diesen Anspruch geltend?

Fachanwalt Bredereck: Ein Arbeitszeugnis erhält der Arbeitnehmer nicht automatisch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zwar zieht jede Kündigung zeitgleich einen Anspruch auf ein Arbeitszeugnis nach sich, es wird jedoch erst dann erstellt, wenn der Arbeitnehmer das Zeugnis ausdrücklich von seinem Chef verlangt.

Toni Ivanov: Welche Arten von Zeugnissen gibt es denn?

Fachanwalt Bredereck: Dem Arbeitnehmer steht ein Wahlrecht zu, ob ihm ein einfaches oder doch ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erstellen ist.

Das Erste bescheinigt lediglich die Dauer des Arbeitsverhältnisses und enthält eine kurze Tätigkeitsbeschreibung. Eine Bewertung der Leistungen wird jedoch nicht vorgenommen. Das Überreichen eines einfachen Arbeitszeugnisses seitens des Arbeitnehmers kann daher vom künftigen Arbeitgeber als Geheimhaltung nachteiliger Tatsachen ausgelegt werden und ist aus diesem Grund nicht empfehlenswert, es sei denn, es geht lediglich um den Nachweis, dass man während der Anstellungszeit nicht untätig geblieben ist.

Neben den Angaben im einfachen Zeugnis beurteilt das qualifizierte Arbeitszeugnis zusätzlich die Leistung und Führung des Arbeitnehmers. Anspruch darauf hat der Arbeitnehmer schon nach relativ kurzer Beschäftigungsdauer (im Regelfall nach einigen Wochen), wenn bereits eine grobe Beurteilung der fachlichen und persönlichen Fähigkeiten möglich ist.

Toni Ivanov: Ist die positive Formulierung ein „Muss“ für den Arbeitgeber?

Fachanwalt Bredereck: Das Dienstzeugnis ist eine gesetzliche Einrichtung zugunsten des Arbeitnehmers (§ 630 BGB), das ihm bei der Bewerbung um eine neue Arbeitsstelle als Ausweis dienen soll. Deswegen muss das Zeugnis mit Wohlwollen für den Arbeitnehmer ausgestellt werden und darf ihm sein weiteres Fortkommen nicht unnötig erschweren. Selbst eine kritische Beurteilung der Arbeitsleistung müssen Vorgesetzte daher positiv formulieren.

Toni Iwanow: Andererseits darf das Zeugnis auch nicht falsch sein.

Fachanwalt Bredereck: Zwischen der von § 242 BGB abzuleitenden Wahrheitspflicht des Arbeitgebers und der erforderlichen Positivität des Arbeitszeugnisses besteht eine Konkurrenz, die oft auch auf ein Ausschlussverhältnis übergeht. Es wurde daher der Grundsatz entwickelt, dass die Rücksichtnahme dort ihre Schranken finden muss, wo sich das Interesse des künftigen Arbeitgebers an der Zuverlässigkeit der Grundlagen für die Beurteilung des Arbeitssuchenden ohne weiteres aufdrängt und das Schweigen des Zeugnisses die Beurteilung des Arbeitnehmers im ganzen wesentlichen Gesamtbild beeinflusst. Keinesfalls darf der Arbeitgeber wahrheitswidrige Angaben in das Zeugnis aufnehmen und ein Urteil abgeben, das nicht seiner Überzeugung und der Wahrheit entspricht.

Darüber hinaus durften der Grund und die Umstände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur auf Wunsch des Arbeitnehmers in das Zeugnis aufgenommen werden.

Toni Ivanov: Wie weit sind versteckte negative Aussagen zulässig?

Fachanwalt Bredereck: Für den bösgläubigen Arbeitgeber gibt es viele Wege, positiv klingende Bewertungen mit negativer Bedeutung im Arbeitszeugnis zu integrieren. Der Gesetzgeber schreibt jedoch vor, dass Dienstzeugnisse positiv formuliert sein sollen. Versteckte negative Aussagen zum Beispiel „doppeldeutige Formulierungen“, mit denen der Arbeitnehmer kritisiert wird, dürfen daher nicht im Arbeitszeugnis enthalten sein. Formulierungen wie „Der Angestellte war sehr tüchtig und in der Lage, seine Meinung zu sagen.“ und „Der Arbeitnehmer verfügt über Fachwissen und ein gesundes Selbstvertrauen“ haben Gerichte für unzulässig erklärt. Es kann deshalb sinnvoll sein, sich mit dem „verdächtigen“ Arbeitszeugnis auseinanderzusetzen und im Bedarfsfall eine Nachbesserung einzufordern.

Eine negative Aussage kann auch in der Schlussnote versteckt sein, die eine Gesamtbewertung des jeweiligen Angestellten darstellt. Aufgrund der sog. Notenskala, bei der die Beurteilung über eine Abstufung der positiven Bewertung erfolgt, wirken tatsächlich schlechte Dienstzeugnisse, gemessen am normalen Sprachgebrauch, ziemlich gut. (z.B. die Formulierung „Er führte alle Aufgaben zu unserer Zufriedenheit aus“ entspricht lediglich einer Note 4) Vor dem Rausschicken des ausgestellten Zeugnisses sind daher die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu beachten, die bei der Bewertung der Leistung von Angestellten Anwendung finden.

Toni Ivanov: Haftet der Arbeitgeber für ein falsches Arbeitszeugnis?

Fachanwalt Bredereck: Hat der Arbeitgeber ein unzutreffendes Zeugnis ausgestellt und ist dem neuen Arbeitgeber aufgrund dessen ein Schaden entstanden, so ist der frühere Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen schadensersatzpflichtig. Erforderlich ist, dass es sich dabei um wesentliche Unrichtigkeiten handelt, die dazu führen könnten, dass bei dem neuen potenziellen Arbeitgeber ein völlig falscher Eindruck bzgl. der Redlichkeit und Zuverlässigkeit des Bewerbers entsteht. Dadurch würde die Gefahr begründet, Vermögen und Eigentum des neuen Arbeitgebers zu beschädigen. Neben den tatsächlichen Unrichtigkeiten kann auch eine falsche Beurteilung den Widerruf eines Zeugnisses begründen, jedoch nur dann, wenn die Wertung aufgrund unrichtiger Tatsachen erfolgt.

Toni Ivanov: Spielt das „gute“ Arbeitszeugnis eine wesentliche Rolle bei der Neueinstellung?

Fachanwalt Bredereck: Zeugnisse jeder Art gehören zum modernen Arbeitsleben dazu. Die Beurteilung des Arbeitnehmers durch den vorherigen Arbeitgeber ist beim Bewerbungsverfahren jedenfalls ein sehr wichtiger Bestandteil und kann das Zünglein an der Waage sein. Das Arbeitszeugnis kann aber nicht nur einen guten Eindruck machen, sondern auch zukünftige Arbeitgeber auf mögliche Defizite hinweisen. Mit Rücksicht auf die Tendenz zur höheren Notenbewertung muss man jedenfalls das Maximum bzgl. des Arbeitszeugnisses von seinem Arbeitgeber verlangen, um weiter konkurrenzfähig am Arbeitsmarkt bleiben zu können.

Toni Ivanov: Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hilft Arbeitnehmern bei der Durchsetzung ihrer Zeugnisansprüche nicht gerade.

Fachanwalt Bredereck: Hier ist zu unterscheiden. Der Zeugnisanspruch selbst kann unproblematisch auch mithilfe der Gerichte durchgesetzt werden. Problematisch ist es allerdings ein gutes Zeugnis durchzusetzen. Das Bundesarbeitsgericht geht von einem durchschnittlichen Zeugnis aus und verlangt vom Arbeitnehmer, dass er eine bessere Leistung als drei beweist. Dabei verkennt das Bundesarbeitsgericht, dass man ein Zeugnis mit der Note drei heutzutage schlichtweg nicht mehr gebrauchen kann. Man muss Arbeitnehmern regelrecht davon abraten, ein derartiges Zeugnis in Bewerbungen überhaupt zu verwenden. Bis auf wenige Ausnahmen folgen die Gerichte leider dieser Rechtsprechung, was die Durchsetzung eines brauchbaren Arbeitszeugnisses vor Gericht nahezu unmöglich macht. Viele Arbeitgeber nutzen diese Rechtsprechung, um sich am Arbeitnehmer nachträglich zu rächen. Angesichts der enormen Bedeutung, die heute ein ordentliches Arbeitszeugnis hat, ist diese Rechtsprechung nicht mehr nachzuvollziehen.

01.09.2014

Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen.

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