(Mynewsdesk) Saarbücken, 16. November 2016. In ihrer heute erschienenen acatech POSITION „Kompetenzen für die Industrie 4.0“ warnt die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften vor einer doppelten digitalen Kluft: Diese öffnet sich einerseits zwischen hoch- und niedrigqualifizierten Beschäftigten und andererseits zwischen großen und kleineren Unternehmen. Deutschland braucht deshalb eine nationale Bildungsoffensive Industrie 4.0. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka:„Das Management muss Abschied nehmen von der Feinsteuerung von Organisationsabläufen, die Mitarbeiter müssen neue Qualifikationen erwerben. Deutschland hat für diesen Wandel ideale Voraussetzungen und die Kompetenzen in den Betrieben“.
Industrie 4.0 ist eine Chance für Deutschland. Doch sie droht eine doppelte digitale Kluft aufzureißen: zwischen unterschiedlich qualifizierten Mitarbeitern und zwischen unterschiedlichen Unternehmen. Während hoch qualifizierte Arbeitskräfte begehrt sind, sind ungelernte und niedrig qualifizierte Tätigkeiten gefährdet. Zugleich bleiben viele kleinere und mittlere Unternehmen hinter den großen zurück. Zu diesem Ergebnis kommen Umfragen, auf deren Basis acatech Handlungsempfehlungen für Unternehmen, Politik und Bildungsanbieter formuliert hat. Die Akademie fordert eine nationale Bildungsoffensive Industrie 4.0.
Bundesministerin Johanna Wanka nimmt die Kompetenzentwicklungsstudie auf dem Nationalen IT-Gipfel in Saarbrücken entgegen. Anlässlich der Übergabe des Positionspapiers sagte sie: „Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt: Es entstehen neue, flexible Produktionsabläufe. Das Management muss Abschied nehmen von der Feinsteuerung von Organisationsabläufen, die Mitarbeiter müssen neue Qualifikationen erwerben. Deutschland hatfür diesen Wandel ideale Voraussetzungen und die Kompetenzen in den Betrieben. Diesen Wandel können wir positiv gestalten, wenn wir die Qualifizierung für die Wirtschafts- und Arbeitswelt der Zukunft darauf ausrichten. Mit der Programmlinie “Zukunft der Arbeit“ wollen wir technologische und soziale Innovation gleichermaßen voranbringen. Hier werden Pilotanwendungen in Unternehmen gefördert, um neue und praxisgerechte Modelle der Qualifizierung, Gesundheitsprävention, Arbeitsgestaltung und -organisation zu finden. Zugleich beschreitet das BMBF mit der Initiative Berufsbildung 4.0 neue Wege in der Modernisierung der Ausbildungsberufe.“
Während 78,1 Prozent der großen Betriebe ihre Unternehmensbereiche in Richtung Industrie 4.0 ausrichten wollen, äußern nur 57,4 Prozent kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) diese Absicht. „Wir wollen kleine und mittelständische Unternehmen sensibilisieren. Sie sollten sich nicht nur auf die Industrie 4.0 einstellen, sondern ihre Belegschaften auf allen Unternehmensebenen weiterbilden. Dafür geben wir ihnen eine Checkliste und eine Umsetzungs-Roadmap an die Hand“, sagte Projektleiter Michael ten Hompel vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik.
Derzeit bieten lediglich 23,1 Prozent der von acatech befragten Unternehmen spezifische Aus- und Weiterbildungsprogramme für Industrie 4.0 an. Dabei sind große Unternehmen mit 30,6 Prozent wesentlich besser aufgestellt als kleine und mittlere, von denen nur 17,8 Prozent solche Programme anbieten. acatech Präsident Henning Kagermann: „Die Weiterbildung für die Industrie 4.0 ist eine vordringliche Führungsaufgabe – und sie erfordert vorwettbewerbliche Kooperation. Nur gemeinsam etablieren große und kleinere Unternehmen innovative Ökosysteme.“
acatech empfiehlt deshalb den Aufbau einer neutralen Bildungsplattform, die Qualifizierungsangebote unternehmensübergreifend bündelt. Generell sollten Träger und Anbieter der beruflichen Bildung ihre Aus- und Weiterbildungsangebote aufeinander abstimmen und inhaltlich in Richtung Industrie 4.0 modernisieren. Zugleich sollten Unternehmen die Kompetenzentwicklung im Arbeitsalltag ermöglichen. Digital gestützt können Inhalte passgenau zugeschnitten und individuell vermittelt werden. Digitale Assistenten unterstützen Belegschaften direkt ‚on the job‘.
Der digitale Wandel zur Industrie 4.0 erfordert also nicht nur Weiterbildung, er erleichtert sie auch. „Eine erfolgreiche Qualifizierung lässt sich nicht allein über traditionelle Aus- und Weiterbildungsformate wie beispielsweise Präsenzveranstaltungen erreichen, sondern sollte durch neue, digitale Formate ergänzt werden“, sagte Reiner Anderl, TU Darmstadt und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirat der Plattform Industrie 4.0.
Die Möglichkeiten für die Kompetenzentwicklung demonstriert die Projektgruppe anhand eines exemplarischen Konzept und einer eigens entwickelten Praxislösung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rufen beispielsweise zu ganz konkreten Fragen kurze Lerneinheiten (Wissensnuggets) ab. So erhalten sie die benötigten Informationen, ohne ihre Tätigkeit unterbrechen zu müssen.
Die der acatech POSITION zugrundeliegende Kompetenzentwicklungsstudie entstand in einem interdisziplinären Projekt von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Partner sind das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik und die Firma equeo. Für die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie wurden 345 Unternehmen online befragt. Hinzu kamen Interviews mit 28 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft (Befragungszeitraum 9-10/2016 und 12/2015-01/2016). Ergänzend hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einer repräsentativen Umfrage 2.032 Unternehmen im Zeitraum Mai/Juni 2016 nach ihren Aktivitäten im Bereich Industrie 4.0 und nach Veränderungen in der Arbeitswelt befragt.
Die Studie ist kostenfrei über die acatech Webseite herunterladbar: http://www.acatech.de/industrie40
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