Die Forderung eines „Zeit“-Kolumnisten nach Durchsetzung der 35-Stunden-Woche für alle kommentiert der Journalist und Sozialberater Dennis Riehle (Konstanz) wie folgt:
Dass die Redaktion der einst als souveränes und unabhängiges Leitmedium geltenden „Zeit“ in der jüngeren Vergangenheit mehrmals links abgebogen ist und sich zu einem Sprachrohr einer leistungsverweigernden Gesellschaftskohorte etabliert hat, beweist sie nicht erst mit ihrem aktuellen Beitrag, in welchem sie die Gewerkschaft der Lokführer für ihr Durchhaltevermögen bezüglich der 35-Stunden-Woche hofiert. Dass sie in einer kommentierenden, aber eben auch lobbyistischen Art und Weise das Ziel von immer weniger Arbeit in Deutschland nicht nur als legitim, sondern gar förderlich für unsere Gemeinschaft deklariert, wird ihr sicherlich bei manchen Mitgliedern der Influencer- und Aktivist*innen-Bewegung, aber auch allen Alt-68ern in deren antiautoritärer Manier der Bequemlichkeit Applaus einbringen. Gleichzeitig verkennt sie natürlich nicht grundlos, dass die Bevölkerung in Deutschland mittlerweile nicht nur von den wiederkehrenden Streiks die Nase voll hat und sie als unverhältnismäßig, überzogen und unangemessen wahrnimmt, sondern gerade unter den Boomern der Eindruck vorherrscht, die Nachkommenschaft wolle sich bewusst und gezielt aus jeglicher Verantwortung zur Mitwirkung und Teilgabe für Wohlstand, Wachstum und Prosperität entziehen. Immerhin wären solche Impressionen geeignet, eine Berichterstattung zu stören, welche im sozialistischen Denken bis heute davon ausgeht, dass der Euro an den Bäumen wächst – und sich das bisschen Haushalt schon von allein macht.
Der eklatante Rückzug aus jeglicher Begeisterung für Schaffenskraft, Tatkräftigkeit und Innovation beruht nicht nur auf der Überzeugung, dass sich für den Reichtum einer Nation die Anderen bemühen können. Entsprechende Einstellungen und Mentalitäten finden wir besonders bei denen, die entweder in Naivität, Unwissenheit oder Böswilligkeit davon ausgehen, dass das mittlerweile vom Staat großzügig nicht nur an langjährige Steuerzahler verteilte Bürgergeld schon irgendwie erwirtschaftet wird – im Zweifel durch den Nachbarn von nebenan. Unter dem Deckmantel der sogenannten Work-Life-Balance verteidigt man eine Abwendung von jeglicher Anstrengung und Einsatz für den Fortbestand unseres noch immer recht hohen Lebensstandards. Behaglichkeit ist aber eben nicht nur ein Ausdruck von egoistischer, antisozialer und gewissenloser Passivität, Interessenlosigkeit und Lethargie. Stattdessen strotzen ihre Verfechter nur so vor fehlendem Ehrgeiz, vor Antriebslosigkeit und Phlegmatismus – was für den Fortschritt eines Miteinanders von existenzieller Prägnanz ist. Gleichzeitig reiht sich dieses Charakteristikum ein in eine Ideologie der Tugendlosigkeit und der Verachtung der eigenen Spezies, die man im Zweifel lieber ausnutzt, als für ihr Weiterkommen eigene Ideen, Kreativität oder Verdienst zuzufügen. Sie leistet einen Beitrag für den weiteren Niedergang des durch die Ampel ohnehin beabsichtigten Abwrackens dessen, was einst im Stolz auf das Können und Vermögen der Nachkriegsjahrgänge als Zeichen des Wiederauferstehens einer am Abgrund stehenden Republik gefeiert wurde.
Mittlerweile werden die unsinnigsten Argumente dafür angeführt, weshalb wir uns immer weniger Eifer und Emsigkeit zumuten sollen. Da ist es die Komplexheit von diffizilen Aufgaben als prinzipielle Überforderung einerseits und das Multitasking als Fertigkeit für die Erledigung von digitalen und analogen Anforderungen andererseits, die am Ende dafür herhalten müssen, das kollektive Ausgebranntsein zu begründen – und eine bildungssprachlich als Sabbat-Jahr deklarierte Pause auf heimischer oder karibischer Hängematte zu rechtfertigen. Schnell sind wir heute einem Burnout nahe. Die psychischen Erkrankungen im Job nehmen auch deshalb dramatisch zu, weil uns Resilienz und Anpassungsfähigkeit in unserem als Resultat von Überbehütung und Bevormundung anerzogenen Mimosendasein abhandengekommen sind. Wenn wir die Theorie der fortwährenden Bürde und Strapaze von Aufwand und Aufbietung weiterspinnen, so ist irgendwann jede Form von Broterwerb als Sklaverei, Frondienst oder Qual zu bewerten. Sofern die Identität einer Gemeinschaft zunehmend mit Empfindsamkeit, Schwachheit und Ermüdung beschrieben werden kann, verwundert es nicht mehr, dass sie anfällig wird für Ausnutzung, Missbrauch und Zweckentfremdung. Wenn sich die Mehrheit nicht dagegen wehrt, dass ihr eine wachsende Minderheit auf der Tasche liegt und sie durch ihren Müßiggang, ihre Arbeitsscheu und ihre Tatenlosigkeit verhöhnt, erodiert nicht nur das Gefüge, das auf Verlässlichkeit, Ethik, Pflichtgefühl, Verbindlichkeit und Responsibilität gründet. Sondern auch die Chance zur Versöhnung von widerstreitenden Interessen der Generationen bleibt ungenutzt.
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