BAG erweitert Schutz bei Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes. Verfasserin: Rechtsanwältin Regine Windirsch, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf
1. Eine ordentliche Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, kann wegen Verstoß gegen die Diskriminierungsverbote aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nichtig sein.
2. Eine symptomlose HIV-Infektion hat eine Behinderung im Sinne des AGG zur Folge. Dies gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten sowie die darauf beruhende Stigmatisierung andauern.
3. Ist eine Kündigung wegen Verstoß gegen ein Diskriminierungsmerkmal nichtig, kann eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG gefordert werden.
BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12
(Leitsätze der Verfasserin)
Sachverhalt im Rechtsstreit um erweiterten Schutz bei Kündigungen
außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes
Der Arbeitgeber stellt Arzneimittel her. Der Arbeitnehmer wird im “Reinraum” beschäftigt, für den nach einem auf EU-Recht basierendem Leitfaden sichergestellt werden soll, dass niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis innerhalb der ersten 6 Monate, als er von der symptomlosen HIV-Infektion des Arbeitnehmers erfuhr.
Dieser hält die Kündigung für nichtig, da alleiniger Grund für die Kündigung seine als Behinderung anzuerkennende HIV-Infektion sei. Eine Übertragung des Virus auf die herzustellenden Medikamente sei ausgeschlossen. Es beantragt neben der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung die Zahlung einer Entschädigung.
Nachdem das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht (LAG) die Klage abgewiesen haben, hebt das BAG diese Entscheidung auf und verweist den Rechtsstreit zurück. Es ist zu klären, ob für die Kündigung die vom Arbeitgeber behauptete Rechtfertigung aus § 8 Abs. 1 AGG gegeben ist.
Das BAG gibt dem Arbeitgeber auf, im Einzelnen vorzutragen, welche Vorkehrungen er getroffen hat, den Kläger trotz der HIV-Infektion zu beschäftigen und weist darauf hin, dass ein Arbeitgeber, der keine ausreichende Vorkehrungen trifft, um Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, sich nicht auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen kann.
Wenn die Kündigung auch nach weiterer Aufklärung nichtig ist, steht dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu, über die das LAG dann zu befinden hat.
Die Entscheidung des BAG ist unter mehreren Aspekten bedeutsam.
Zum einen wird geklärt, dass die Diskriminierungsverbote und Regelungen des AGG, für Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht unterliegen, unmittelbare Anwendung finden. Es ist also auch bei einer Beschäftigungsdauer von unter 6 Monaten und in Kleinbetrieben unter 10 regelmäßig Beschäftigten zu prüfen, ob durch eine Kündigung Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG verwirklicht werden. In diesem Fall ist die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 AGG möglich und es gelten die Beweiserleichterungen des § 22 AGG.
Zum anderen findet das BAG klare Worte für die immer noch bestehende Stigmatisierung von HIV-Infizierten und stellt diese unter den ausdrücklichen Schutz des AGG, indem es auch die symptomfreie HIV-Infektion als Behinderung anerkennt. Dies gilt zumindest so lange die Umwelt so mit Vorurteilen auf HIV-Infizierte reagiert, dass Infizierte dadurch in der Teilhabe am Leben beeinträchtigt sind.
Schließlich gibt das Gericht Hinweise für die Anwendung der Rechtfertigungsvorschrift des § 8 AGG.
Fazit im Rechtsstreit um erweiterten Schutz bei Kündigungen
außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes
Die Entscheidung hat große Praxisrelevanz. Die Betriebs- und Personalräte sollten bei der Formulierung von Bedenken/Einwendungen gegen beabsichtigte Kündigungen auch schon vor Vollendung der 6-monatigen Wartezeit des § 1 KSchG daran denken, einen Verstoß gegen die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG aufzunehmen, wenn es im Sachverhalt entsprechende Anhaltpunkte gibt.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass alle Kündigungen außerhalb der Wartezeit und/oder in Kleinbetrieben unter Diskriminierungsmerkmalen überprüft werden müssen. Auch der Kündigung älterer Arbeitnehmer in Kleinbetrieben kann mit den Entscheidungsgrundsätzen entgegen gewirkt werden.
Alle Kündigungen, auch diejenigen außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG, die wegen Verstoßes gegen ein Diskriminierungsmerkmal nach der oben dargestellten Rechtsprechung nichtig sind, müssen innerhalb der 3-Wochenfrist mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen werden, um ihr Wirksamwerden (§ 7 KSchG) zu vermeiden.
Gleichzeitig mit Einreichung der Kündigungsschutzklage sollte der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG eingeklagt werden, um die Fristen des §§ 15 Abs. 4 Satz 1 AGG und 61b Abs.1 Arbeitsgerichtgesetz (ArbGG) für die Durchsetzung des Entschädigungsanspruchs einzuhalten. § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG beinhaltet die schriftliche Geltendmachung der Entschädigung innerhalb von 2 Monate nach dem Verstoß, hier also der Kündigung; die Klagefrist des § 61 ArbGG beläuft sich auf 3 Monate nach der Geltendmachung.
Es bedarf im Fall der gleichzeitigen Kündigungsschutz- und Entschädigungsklage keiner vorherigen außergerichtlichen Geltendmachung, da das BAG in seiner Entscheidung vom 22.05.2014 – 8 AZR 662/13 festgestellt hat, dass die Frist des § 5 Abs. 4 Satz 1 AGG auch durch die Klage auf Entschädigung gewahrt werden kann.
Zuständig für Rückfragen: Regina Windirsch, Fachanwältin Arbeits- und Sozialrecht
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