„Beratung mit Handicap“ kritisiert Forderungen nach Abschaffung von Schulen für Kinder mit Unterstützungsbedarf
Durch ein Interview mit dem AfD-Politiker Höcke im zu Ende gehenden Jahr 2023 war die Debatte um die Inklusion im Schulwesen neu aufgeflammt. Die Empörung über die Wortwahl hat die inhaltliche Diskussion überlagert, meint der Leiter der „Beratung mit Handicap“, Dennis Riehle (Konstanz), und erklärt:
Auch wenn Björn Höcke die Diskussion mit seiner Wortwahl polarisiert hat, muss die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit ein die Vision der Inklusion im Bildungswesen tatsächlich funktionieren und im Sinne der Betroffenen sein kann, auf sachlicher Ebene weitergehen. Dass wir Menschen völlig unterschiedlich und vielfältig geschaffen sind – und mit verschiedenen Eigenschaften, Handicaps und Stärken ausgestattet wurden -, ist eine Gegebenheit, die wir berücksichtigen statt negieren sollten. Die Verschiedenheit in Lerntempo, Leistungsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten sagt überhaupt nichts über die Würde des Einzelnen aus – und muss daher vollkommen getrennt betrachtet werden. Es ist weder schlimm noch ein Beinbruch, sondern viel eher ein Ausdruck von Pluralismus, Fairness und Solidarität, dass wir jedem Individuum die Förderung zukommen lassen, die es braucht. Rücksichtnahme ist kein Ausdruck von Mitleid oder Segregation. Viel eher ist es die gesellschaftliche und elterliche Anspruchshaltung, eine Gleichheit herzustellen, die der Natürlichkeit unserer Spezies widerspricht. Der zwanghafte Versuch, krampfhaft einen Einheitsbrei zu erzielen, der die divergenten Potenziale der Kinder verleumdet, wird weder denen gerecht, die durch eine Behinderung oder Beeinträchtigung verständlicherweise und ohne einen Hauch von Bedauern einer Unterstützung bedürfen – noch all denjenigen, die schneller voranschreiten könnten. Wir haben in Deutschland zu Recht ein mehrgliedriges System bewahrt, dass diesem Umstand der Durchlässigkeit Rechnung trägt. Nein, wir brauchen keine Sonderschulen mehr, gleichsam aber einen geschützten Rahmen in speziellen Klassen und Einrichtungen, welche als völlig normale Alternative zu den Haupt-, Realschulen und Gymnasien anerkannt, geschätzt und wertverstanden werden. Wertungen sind hierbei völlig fehlt am Platz.
Einer inhaltlichen Debatte über den Sinn einer pauschalen Inklusion im Bildungswesen gerade unter dem Aspekt der Individualität des Menschen steht überhaupt nichts im Weg. Zwar darf gemäß des Grundgesetzes niemand mit einer Behinderung benachteiligt werden. Doch dies wäre nur dann überhaupt eine Diskussion wert, wenn man Menschen mit einem Handicap den Zugang zu einer Regelschule prinzipiell und grundlos verweigern würde. Denn dass wir ein mehrgliederiges Schulsystem haben, welches sich vor allem auch durch die Variante der Förderschule als die die einzelnen Bedürfnisse jedes Schülers dahingehend bedienend auszeichnet, verkennt man bei aller Debatte und Empörung offensichtlich sehr schnell. Mir geht es bei aller Rhetorik viel zu wenig um die Frage, ob wir mit dem Idealbild des Mitnehmens von allen Kindern gerecht werden, wenn wir sie nicht selten aus elterlichem Übereifer in Strukturen hineindrängen, welche sich ehrlicherweise schon allein aus personellen und diversitären Gründen nicht jedem Einzelnen entsprechen kann. Wertschätzung und Anerkennung der Unterschiedlichkeit sind ein zentrales Merkmal des Inkludierens und Empfangens. Daher sollten wir auch mit Respekt zur Kenntnis nehmen, dass es um das Wohl der Kleinsten geht – und nicht um unseren Anspruch auf eine bloße obsessive Egalisierung. Gerade Schultypen, die erstem Anspruch folgen, müssen gestärkt und vom schlechten Ruf der „Sonderschule“ befreit werden. Sie zu reformieren, wäre bei aller Aufgeregtheit am ehesten angezeigt. Und das bei notwendigem Respekt vor der Würde: Nein, in einer Demokratie braucht es gerade keine Mindestausstattung an körperlicher oder kognitiver Fertigkeit, um über sich selbst bestimmen zu können. Stattdessen steht dieses Recht auf Souveränität und Integrität bedingungslos zu. Und das ist richtig und gut so, denn auch Anmaßung ist übergriffig.
Die Beratung mit Handicap ist bundesweit kostenlos für jeden unter www.beratung-riehle.de erreichbar.
Weitere Informationen auch auf www.riehle-news.de.