Benötigen wir eine Anti-Stress-Verordnung?

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Ein Interview von Max Renger mit Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen.

Max Renger:
Die Belastung durch psychischen Stress am Arbeitsplatz ist in den letzten Jahren gerade durch moderne Kommunikationsmittel wie Handy, Internet und E-Mail enorm gestiegen. Nun hatte die Arbeitsministerin Frau Nahles aus diesem Anlass eine Anti-Stress-Verordnung zum Ziel erklärt. Brauchen wir noch eine weitere Verordnung?

Fachanwalt für Arbeitsrecht Bredereck:
Der Parteivorsitzende von Frau Nahles, Sigmar Gabriel, hat das noch vor wenigen Tagen verneint. Er ist der Auffassung, dass man das Thema den Arbeitsvertragsparteien überlassen soll.

Max Renger:
Was sagt der Arbeitsrechtler dazu?

Fachanwalt Bredereck:
Wenn man die arbeitsrechtlichen Themen den Arbeitsvertragsparteien überlassen würde, hätte man vermutlich kaum Gesetze. Irgendwann käme dann die Frage auf, wozu man dann noch Politiker braucht. Aber Scherz beiseite: Wir brauchen konkrete und durchsetzbare Regelungen im Bereich des Arbeitsschutzes vor psychischen Gefahren. Statistiken zeigen eindeutig, dass die psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeitszahlen stark anwachsen.

Max Renger:
Woran liegt das?

Fachanwalt Bredereck:
Die permanente Erreichbarkeit der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber ist sicher eine Ursache. Wir haben uns so sehr über die Möglichkeiten der Kommunikation durch E-Mail und Handy gefreut, dass wir übersehen haben, dass die permanente Erreichbarkeit auch negative Folgewirkungen hat. Die durch das Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Ruhezeiten sind keine echten Ruhezeiten mehr. Permanente Erreichbarkeit durch den Arbeitgeber ist für sich genommen ein Stressfaktor. In Ländern mit einer andern Arbeitseinstellung in der Bevölkerung mag dies anders sein. Wir sind allerdings auf den Rhythmus von Arbeit und Freizeit eingeschworen.

Max Renger:
Es gibt doch aber bereits Schutzgesetze.

Fachanwalt Bredereck:
Der bisherige Schutz ist nicht effektiv. Der Gesetzgeber hat viel zu spät und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt den Schutz der psychischen Gesundheit, bzw. den Schutz vor psychischen Belastungen in das Arbeitsschutzgesetz eingefügt. Die bisherigen Regelungen sind allerdings in der Praxis weitgehend wirkungslos geblieben.

Max Renger:
Woran liegt das?

Fachanwalt Bredereck:
Ich sehe hauptsächlich zwei Ursachen. Die Begrifflichkeiten sind zu schwammig. Es herrscht weitgehend Unklarheit darüber, wann überhaupt die psychische Gesundheit gefährdet wird. Außerdem sind die derzeitigen Regelungen so ausgestaltet, dass sie vom Arbeitnehmer in der Praxis gar nicht durchgesetzt werden können. Die Kontrollbehörden wiederum kontrollieren zumindest nach meinen Erkenntnissen im Bereich des Schutzes der psychischen Gesundheit bisher nicht wirksam.

Max Renger:
Wie kann da eine Anti-Stress-Verordnung helfen?

Fachanwalt Bredereck:
Indem klare Kriterien bzw. Belastungsschwellen definiert werden, bei deren Überschreitung eine Gefährdung der psychischen Gesundheit der Arbeitnehmer angenommen werden muss. Das ist nicht anders als beim Schutz der Arbeitnehmer an Bildschirmarbeitsplätzen. Hier wurde im Rahmen einer Bildschirmarbeitsverordnung geregelt, welche Mindestarbeitsbedingungen vom Arbeitgeber einzuhalten sind. Das geschah allerdings damals auch erst auf Druck aus Europa. In Deutschland haben die Regierungen immer Angst, dass die Arbeitgeber beleidigt ins Ausland verschwinden könnten, wenn man die Arbeitnehmer zu sehr schützt. Das ist zu kurz gedacht. Insgesamt leiden auch die Arbeitgeber unter den zusätzlichen Fehlzeiten und den Folgen schlechter Arbeitsbedingungen.

Max Renger:
Da gibt es eine gewisse Kontinuität im gesetzgeberischen Nichtstun?

Fachanwalt Bredereck:
Das würde ich so sagen. Der Schutz von Mobbingopfern ist ja auch politisch nicht gewollt. Bei diesen Themen wird dann immer auf die Schwierigkeit der Materie hingewiesen. Komisch nur, dass andere Länder solche Regelungen schaffen. Wir haben im Arbeitsschutzgesetz eine ausdrückliche Ermächtigung des Arbeitsministeriums, derartige Regelung zu erlassen.

Max Renger:
Man kann also den Vorstoß von Frau Nahles begrüßen.

Fachanwalt Bredereck:
Das Ganze geht in die richtige Richtung. Für allzu viel Optimismus sehe ich allerdings keinen Anlass. Es kann gut sein, dass am Ende wieder wachsweiche Regelungen herauskommen, die in der Praxis keine Veränderungen bewirken. Manchmal löst ja auch die technische Entwicklung die Probleme, wie zum Beispiel bei den Bildschirmarbeitsplätzen durch die verbesserte Qualität der Bildschirme viele Regelungen nachträglich obsolet wurden. Ich sehe allerdings im Bereich der technischen Entwicklung und des dadurch verursachten Stresses im Moment kein Licht am Horizont. Das liegt nicht nur an den Arbeitgebern. Auch unsere eigenen Erwartungen an die Reaktionsgeschwindigkeiten unserer Mitmenschen sind enorm gestiegen.

Max Renger:
Davon kann der Anwalt sicher ein Lied singen.

Fachanwalt für Arbeitsrecht Bredereck:
Konnte ich mir früher mit der Beantwortung einer schriftlichen Anfrage eines Mandanten zwei Wochen Zeit lassen, erwartet dieser heute eine Antwortmail noch am selben Tag.

Max Renger:
Vielen Dank.

27.08.2014

Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen.

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