Zweite Parallelausstellung zu SINGLE MOMS „Einheit und Trennung – Familienbilder“
Annegret Soltau stellt seit mehr als vier Jahrzehnten mit größter Beharrlichkeit und Radikalität das Selbst des Menschen in den Fokus ihrer Arbeit. Wer ihre Biografie liest, erahnt den Kraftakt, mit dem sie gleichermaßen zerstörerisch, zusammenfügend, ihre intellektuell und emotional hochambitionierten Werke erschafft. Soltau, die als uneheliches Nachkriegskind unter widrigen Umständen aufwuchs, sich ihre künstlerische Laufbahn hart erarbeiten musste – sie ist Absolventin der HFBK Hamburg – gilt heute als international renommierte Künstlerin. Im Rahmen der Ausstellung „Single Moms“, in der das Leben von Alleinerziehenden in Geschichte, Kunst und Gegenwart thematisiert wird, zeigt das Frauenmuseum vom 13.07. – 07.09.2014 in einer Einzelausstellung die Arbeiten der Darmstädter Künstlerin.
Ihre Idee von Kunst und ihrer Wirkung ist eine Suche und gerade deshalb aktueller denn je. „Mein zentrales Anliegen ist, körperliche Prozesse in meine Arbeit mit einzubeziehen und mich selbst zum Modell zu nehmen, weil ich mit mir am weitesten gehen kann“, schreibt die Künstlerin über ihr eigenes Wirken. In ihren sinnlich greifbaren Fotoüber- und -vernähungen spinnt sie mit schonungslosen Nadelstichen Fäden über fotografische Porträts. Sie zerreißt Aktfotos, fügt sie neu zusammen, indem sie die so entstandenen Verletzungen wiederum mit Nadel und Faden zusammennäht. Ihre Themen sind ebenso archaisch wie frappierend aktuell: der nackte Körper, Gewalt, Schwangerschaft und Geburt, Generationenfolgen und die Suche nach den eigenen Wurzeln. Dabei ist ein Oeuvre entstanden, das durch seine kontrastierenden Facetten, seine Drastik und zugleich Intimität besticht. Die Betrachter werden zu Zeugen einer schonungslos-analytischen Kunstäußerung zum Sein des Menschen. Nicht von ungefähr haben ihre Arbeiten in der Vergangenheit häufig zu Verboten und Skandalen geführt.
In Bonn zeigt Soltau in vier Räumen ihre großen Themen:
Im Mittelpunkt sind ihre Werke aus der Serie „ZeitErfahrung“ zu sehen, eine chronologisch aufgebaute Serie von miniaturgroßen Fotoüber- und -vernähungen. In diesem, fortlaufend aktualisierten, vielteiligen Zyklus „näht“ sich Soltau gleichsam durch ihre eigene Biografie und ihre verschiedenen Schaffensphasen.
Im ersten Teil „selbst“ dekonstruiert Soltau die Vorstellung von einem „einzigen Selbst“.Sie „übernäht“ mit einem grauen Seidenfaden Selbstportraits und überzieht ihr Gesicht mit einer filigranen Verspannung aus Fäden. Die Rückseite zeigt die Arbeitsspur der Vorderseite als freie haptische Zeichnung, die nicht bewusst gestaltet ist. Hier sind frühe Werke wie z.B. ihr Triptychon „Körper-Eingriffe“ und „Ich bedrückt“ aus den Jahren von 1977/78 zu sehen.
Im 2. Raum „schwanger“ setzt sie sich mit ihren eigenen Schwangerschaften auseinander, als „Annäherung an ihren Körper“, die 1978 und 1980 zu ihrem zentralen Thema wurden. Im Prozess des Schwanger-Seins machte sie sich selbst zum Modell und thematisierte die Frage, wie Frauen Kreativität und Mutterschaft verbinden können. Getrieben von der Angst, die Rolle der Mutterschaft könne ihre Existenz als Künstlerin gefährden, wurde sie zu einer Fülle von Foto- und Videoarbeiten inspiriert. Zu sehen sind hier Werke aus den frühen 80er Jahren wie „Einheit und Trennung“ und die Video-Installation „schwanger“.
Der 3. Raum nimmt sich des Themas Geburt an. Wenn eine Frau sich darauf einlasse, schwanger zu werden und zu bleiben, dann sei sie ganz fest eingebunden in diesen Zeitlauf der neun Monate und könne nicht mehr aussteigen. Das sei das Zwingende und es ende immer mit der Geburt, so Soltau. Hier werden die Videoinstallation „gebären-Müssen“ und „Auf dem Gebärtisch“, beide Ende der 70er, gezeigt.
Spannend bleibt es auch im 4. Raum „generativ“. Hier steht das Verbindende, „Reparierende“ des Fadens im Fokus. Er bringt die Risse im Lebenslauf zusammen, kultiviert die Narben als Lebenspuren. Zu sehen sind hier Fotovernähungen ab 1994 wie „Selbst mit Tochter, Mutter und Großmutter“. In dieser Werkphase vereint Soltau vier Generationen der weiblichen Linie ihrer Familie: Das junge Mädchen trägt schon den alten Körper, die alte Frau noch den jungen Körper in sich. Beeindruckend und zur Entstehungszeit skandalumwittert die großformatige Arbeit „Pubertät – Tochter doppelt“ von 1994/99 sowie provokativ und irritierend die Gruppe „generativ und transgenerativ“ – Bilder, auf denen männliche und weibliche Körper und Gesichter „zusammengenäht“ sind.
Nahezu versöhnlich und intim werden die Besucher entlassen: „im Gleichgewicht“, eine Fotoarbeit, die Mutter und Kind eigenständig und doch wie in einem Kokon eng miteinander umwickelt zeigt, – Symbiose und Getrenntsein zugleich.
Die Ausstellung wurde durch eine Projektfinanzierung des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) ermöglicht und von Marianne Pitzen kuratiert.
Vernissage: 13.7.2014, 12 Uhr
Begrüßung Marianne Pitzen, Einführung Dr. Heidrun Wirth (Kulturjournalistin, Bonn)
15 Uhr: Lesung aus der Biografie „Annegret Soltau: Ich war total suchend“ des Bildhauers Baldur Greiner, Autor und Lebenspartner der Künstlerin
Finissage: 07.09.2014, 15 Uhr
Kunst im Gespräch: Annegret Soltau und Dr. Gabriele Uelsberg (Direktorin, LVR-LandesMuseum Bonn)
Führungen: jeden Sonntag um 13 Uhr und auf Anfrage
Weitere Parallelausstellungen:
21.09. – 09.11.2014 Portraits Überlebender von Anfal und die von Frauen initiierte Gedenkstätte
Bildrechte: Annegret Soltau Bildquelle:Annegret Soltau
Das Bonner Frauenmuseum wurde 1981 von der heutigen Direktorin Marianne Pitzen und einer Gruppe interdisziplinär arbeitender Frauen gegründet. Zu diesem Zeitpunkt existierte weltweit noch keine Institution gleichen Namens oder vergleichbarer Zielsetzung. Das Frauenmuseum ist kein statischer Ort mit festem Bestand, sondern ein lebendiges Haus, das sich aus der Fülle der weiblichen Kreativität und Vielfalt immer wieder erneuert.
Mehr als 2.500 nationale und internationale Künstlerinnen haben Im Krausfeld ausgestellt, 600 Ausstellungen wurden durchgeführt, darunter 30 „Riesenprojekte“ auf jeweils 2.000 qm, 200 Kataloge ediert und mit mehr als 1000 Veranstaltungen wissenschaftlich oder spartenübergreifend untermauert. In den Archiven wird zu Geschichte, Zeitgeschichte und Kunst gesammelt, allein die Bibliothek der Künstlerinnen umfasst 12.000 Kataloge. Die Sammlung wächst stetig; sie ist ausschließlich auf Schenkungen angewiesen: Nachlässe, Stiftungen, Sponsoren.
Marianne Pitzen und ihr Team sind auch neue Wege gegangen – das Kinderatelier, die Kunst- und Designmessen – sind Projekte, die in den letzten 10 Jahren entstanden sind. Der Aufbau des historischen Bereichs ist in den letzten Jahren stärker in den Focus gerückt. Das Frauenmuseum verbindet auf einzigartige Art und Weise Geschichte mit Gegenwartskunst.
Kommende Ausstellungen:
21.09. – 09.11.2014 Portraits Überlebender von Anfal und die von Frauen initiierte Gedenkstätte
21.11. – 23.11. 2014 24. Kunstmesse 2014, 80 Künstlerinnen, Sonderausstellung, Programm
30.11. – 30.01.2015 Theobald Simon Preis der GEDOK, Bundesweite Ausschreibung, Ausstellung der Preisträgerin. c/o Prof. Ulrike Rosenbach/Präsidentin der GEDOK
14.12. – 08.03.2015 Gabriele Münter. Die Blaue Reiterin und ihr Freundeskreis“. Ein Projekt des Gabriele Münter Preis e.V.
Frauenmuseum
Dr. Klaudia Nebelin
Im Krausfeld
53111 Bonn
0228 92 89 45 27
klaudia.nebelin@frauenmuseum.de