Die lombardischen Stadt Brescia widmet der russischen Künstlerin Victoria Lomasko eine Einzelausstellung. Unter dem Titel “Victoria Lomasko – the last soviet artist” werden die Werke der Russin, die mit ihrem grafischen Schaffen unter anderem Proteste gegen das Putin-Regime dokumentiert, bis zum 8. Januar 2023 im Museum Santa Giulia gezeigt.
Menschen am Rande der Gesellschaft, ihre soziale Situation, ihre psychische Verfassung – das sind Sujets, auf denen die russische Künstlerin ihren Fokus richtet. Lomasko, 1978 in der damaligen Sowjetunion geboren, absolvierte ihr Studium an der Staatlichen Universität für Druckwesen in Moskau und entdeckte die “grafische Reportage” neu – eine Kommunikationsform, die es schon im vorrevolutionären Russland gegeben hatte und die in der Sowjetunion von der öffentlichen Bildfläche verschwunden war. Nach dem Studium bereiste sie die ehemaligen Sowjetrepubliken und fand mit den benachteiligten Menschen die Protagonisten ihres künstlerischen Schaffens. Ab 2010 arbeitete die Moskauerin jahrelang als Zeichenlehrerin in russischen Strafkolonien für Minderjährige. Der Zeichenunterricht für die Insassen war Teil einer der Menschenrechts- und Bildungsinitiative – gestartet von einer Vereinigung, die sich für eine Reform der russischen Strafjustiz engagierte.
Schmetterlinge und Killerwale
Als einflussreiche Künstlerin und Ausstellungskuratorin prangerte Lomasko mit ihrer sozialen Grafik im In- und Ausland gesellschaftliche Missstände in Ihrer Heimat an. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die 42-Jährige Russland den Rücken gekehrt. Als Stipendiatin der Akademie Schloss Solitude bot sich ihr zunächst einmal in Stuttgart ein Zuhause auf Zeit. Im Exil ist es Lomasko ein brennendes Anliegen, auf die Situation der dissidentischen Kunstschaffenden in ihrem Heimatland aufmerksam zu machen. In einem Beitrag für das Magazin New Yorker warb sie um Verständnis für ihre in der Heimat gebliebenen Kolleginnen und Kollegen, die unter Putin in Gefahr sind, vom Westen gleichzeitig mit Ablehnung behandelt und mit Sanktionen belegt werden. Schon vor ihrer Flucht aus Russland hat Lomasko das künstlerische Arbeiten unter dem Putin-Regime mehrfach zum Thema gemacht. In einem Bild mit dem Titel “Butterflies Aflutter” (nervöses Schmetterlingsgeflatter) stellt sich die Künstlerin selbst als Schmetterling dar, der zwischen Bauwerken gefangen ist. Die für den Schmetterling lebensfeindlichen Mauern stehen für die Repressalien des Putin-Systems. “Underwater activist” (Unterwasser-Aktivistin), ein anderes Kunstwerk, lässt einen Schimmer Hoffnung aufkeimen. Dem Regime etwas entgegenzusetzen, so die Botschaft, wird – so klein die Gesten zunächst auch sind – nicht ohne Wirkung bleiben. Die kritischen Meinungen, die Andersdenkende in Russland derzeit nur hinter vorgehaltener Hand im engsten Kreis äußern können, mögen stumm wie unter Wasser gesprochene Worte erscheinen. Doch unter Wasser entfalten diese Worte eine Kraft, gegen die selbst Killerwale nichts ausrichten können.
Nach Zehra Doan und Badiucao die Dritte im Bunde
Die von Elettra Stamboulis kuratierte Ausstellung im Brescianer Museo Santa Giulia ist die erste Lomasko-Werkschau in Italien. Ermöglicht wird sie von der Stadt Brescia, von der Fondazione Brescia Musei und vom Festival della Pace (Friedensfestival). Gemeinsam will man dissidentischen Künstlern, die in ihrer Heimat nicht mehr oder nur unter Repressalien arbeiten können, öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen. Nach der kurdischen Künstlerin und Journalistin Zehra Doan (2019) und dem chinesischen Street-Art-Künstler und Bürgeraktivisten Badiucao (2021) ist Lomasko nun die dritte in dieser Reihe, denen die Fondazione Brescia Musei und ihre Partner für einige Wochen eine große Bühne geben.
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