Bundesarbeitsgericht – Neues zu betrieblicher Übung und arbeitsvertraglichem Freiwilligkeitsvorbehalt

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Bundesarbeitsgericht - Neues zu betrieblicher Übung und arbeitsvertraglichem Freiwilligkeitsvorbehalt
Fabian Wilden, Rechtsanwalt

Bundesarbeitsgericht – Neues zu betrieblicher Übung und arbeitsvertraglichem Freiwilligkeitsvorbehalt

1. Bei Zahlung einer über das arbeitsvertraglich vereinbarte Gehalt hinausgehenden Vergütung ist durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob sich der Arbeitgeber nur zu der konkreten Leistung (beispielsweise Gratifikation im Kalenderjahr) oder darüber hinaus im Sinne einer betrieblichen Übung auch für die Zukunft verpflichtet hat.

2. Lässt die Auslegung einer Vertragsklausel mehrere Ergebnisse zu, ohne dass ein Auslegungsergebnis den klaren Vorzug verdient, besteht ein nicht behebbarer Zweifel i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall die ihm ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen.

3. Ein auf Sonderzuwendungen beschränkter Freiwilligkeitsvorbehalt, der so ausgelegt werden kann, dass er auch spätere Individualabreden über die Zahlung beispielsweise von Urlaubs- und Weihnachtsgeld erfasst, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs 1 S 1 BGB und ist deshalb unwirksam.

(Urteil des BAG vom 15.01.2023 – 10 AZR 109/22; Leitsätze des Verfassers)

Der Arbeitnehmer ist bei der Arbeitgeberin seit dem Jahr 2015 zu einem festen Stundenlohn beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist festgehalten, dass die Zahlung von Sonderzuwendungen, insbesondere von Weihnachts- und Urlaubsgeld, im freien Ermessen der Arbeitgeberin liege und auch für die Zukunft kein Rechtsanspruch begründet wird, wenn diese Zahlungen mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgen. Des Weiteren ist im Arbeitsvertrag geregelt, dass Änderungen oder Ergänzungen des Arbeitsvertrages zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfen. Die Arbeitgeberin zahlte in den Jahren 2015 bis 2019 sowohl an den Arbeitnehmer als auch an die anderen Beschäftigten ein der Höhe nach unterschiedliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Eine Erklärung, dass es sich hierbei um eine freiwillige Leistung handelt, erfolgte im Rahmen dieser Zahlungen nicht. Im Jahr 2020 stellte die Arbeitgeberin die Zahlung ein und teilte im Jahr 2021 mit, dass zukünftig ein Jahresbonus als Sonderzuwendung ausgezahlt werde, der das Urlaubs- und Weihnachtsgeld ersetze.
Der Arbeitnehmer nahm dies nicht hin und klagte die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld für das Jahr 2020 ein. Seinen Anspruch begründete er damit, dass aufgrund der in den Jahren 2015-2019 ohne Vorbehaltserklärung gewährten Zahlungen eine betriebliche Übung entstanden sei. Dieser betrieblichen Übung stehe weder der Freiwilligkeitsvorbehalt noch die Schriftformklausel im Arbeitsvertrag entgegen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, da es den Freiwilligkeitsvorbehalt für wirksam erachtet hat. Das LAG hat dieses Urteil auf Berufung des Klägers hin aufgehoben und festgestellt, dass ein Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld bestehe. Der Freiwilligkeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag sei unwirksam, gleiches gelte für die Schriftformklausel. Die hiergegen gerichtete Revision der Arbeitgeberin hatte keinen Erfolg. Das BAG hat die Entscheidung des LAG bestätigt. Hierbei hat das BAG zunächst zutreffend darauf hingewiesen, dass es für die Entstehung eines Anspruchs auf Zahlung einer Gratifikation aus betrieblicher Übung maßgeblich darauf ankommt, dass durch den Arbeitgeber gegenüber der Belegschaft eine mindestens dreimalige vorbehaltslose Gewährung einer bestimmten Leistung erfolgt und diese Grundsätze auch auf den Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld aufgrund betrieblicher Übung übertragen. Dagegen nicht erforderlich ist laut BAG, dass die mehrfach gewährte Leistung in jeweils identischer Höhe gewährt wird; denn auch dann hat die Arbeitgeberin zu erkennen gegeben eine solche Leistung gewähren zu wollen und sich nur die Höhe derselben nach billigem Ermessen vorzubehalten. Bei Letzterem sind die beiderseitigen Interessen im Rahmen einer Ermessensausübung zu berücksichtigen, es bietet sich in der Regel eine Orientierung an der Höhe der bisherigen Zahlungen an. Erfolgt keine Ermessensausübung durch den Arbeitgeber, kann dies im gerichtlichen Verfahren von den Gerichten vorgenommen werden.
Der klagende Arbeitnehmer hatte danach weiterhin einen Anspruch darauf, dass ihm ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld gewährt wird. Diesem Anspruch stand der Freiwilligkeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag nicht entgegen. Dieser ist unwirksam, da der Entstehungsgrund etwaiger Ansprüche auf Sonderzuwendungen nicht berücksichtigt wird. Damit kann der Vorbehalt auch so verstanden werden, dass hiervon auch spätere Individualabreden erfasst werden könnten. Diese haben jedoch stets Vorrang vor Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zu diesen gehören auch Klauseln in Arbeitsverträgen. Da damit auch ein Verständnis des Freiwilligkeitsvorbehalts möglich war, der zu dessen Rechtsunwirksamkeit führt, war aufgrund der anzuwenden Zweifelregelung von der Unwirksamkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts auszugehen. Auch das Schriftformerfordernis stand, da es ebenfalls nicht die Möglichkeit von späteren Individualabreden berücksichtigt und damit unwirksam war, dem Anspruch des Arbeitnehmers nicht entgegen.

Fazit:
Die zutreffende Entscheidung des BAG zeigt zunächst auf, dass auch bei wiederkehrenden mindestens dreimaligen vorbehaltslosen Leistungen an die Belegschaft in unterschiedlicher Höhe nicht ausgeschlossen ist, dass ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht. Die Ausführungen zum Freiwilligkeitsvorbehalt und zum Schriftformerfordernis führen die Rechtsprechung des BAG zur Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Arbeitsverträgen fort und zeigen auf, dass es sich im Einzelfall lohnen kann, die einzelnen Regelungen eines Arbeitsvertrages genau zu betrachten. Das BAG hat in seiner Entscheidung zusätzlich betont, dass der Anspruch auf Erteilung einer Lohnabrechnung gemäß § 108 Abs. 1 GewO keinen Abrechnungsanspruch zur Vorbereitung eines Zahlungsanspruches enthält. D. h., es kann nicht zunächst auf Erteilung einer nach Ansicht der Beschäftigten zutreffenden Abrechnung geklagt werden, aus der dann ein möglicher Zahlungsanspruch berechnet werden soll. Auch dies stellt eine Fortführung der bereits bestehenden Rechtsprechung des BAG dar. Beschäftigte sind daher weiterhin gehalten, dass, sofern sie Differenzlohnansprüche gegenüber ihren Arbeitgebern verfolgen wollen, sie selbige anhand der ihnen vorliegenden Unterlagen berechnen.
Fabian Wilden, Rechtsanwalt
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