Autorin: Regine Windirsch, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Sozialrecht
Bell & Windirsch, Britschgi & Koll Anwaltsbüro
Der Insolvenzverwalter kann nach Eröffnung der Insolvenz Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer anfechten. Voraussetzung ist, dass die Zahlung nach dem Insolvenzantrag erfolgt und durch den Druck einer bevorstehenden Zwangsvollstreckung verursacht ist. Der Arbeitnehmer ist dann verpflichtete, die erhaltenen Zahlung an den Insolvenzverwalter zu erstatten. Dies gilt auch für Auszubildende.
BAG vom 26.10.2017 – 6 AZR 511/16 Pressemitteilung 47/17
(Orientierungssätze der Bearbeiterin)
Ein Auszubildender hatte Ansprüche auf rückständige Ausbildungsvergütung über mehrere tausend Euro. Nach Ende seiner Ausbildung verklagte er deshalb seinen Arbeitgeber, die Parteien schlossen vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich über eine Zahlung von 2.800,- EUR. Hierauf zahlte der Arbeitgeber trotz Mahnungen zunächst nichts. Der Auszubildende leitete daher die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich ein und erhielt in deren Rahmen geraume Zeit später Zahlungen.
Bereits vor Klage und Zwangsvollstreckung war ein Insolvenzantrag gestellt worden, der nach der Zahlung der rückständigen Ausbildungsvergütung zur Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Arbeitgebers führte. Der Insolvenzverwalter focht die Zahlungen der Ausbildungsvergütung aus dem Vergleich an und verlangte die Rückzahlung der gezahlten Beträge vom ehemaligen Auszubildenden.
Das BAG hat dem Insolvenzverwalter nach den Regelungen der Insolvenzordnung (InsO) Recht gegeben.
Zahlungen des Arbeitgebers an Arbeitnehmer und Auszubildende, die in der nach dem Vertrag oder dem Tarifvertrag geschuldeten Art erfolgen, also in der Regel monatlich, sind von einer Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nicht betroffen.
Zahlungen, die jedoch nicht in der geschuldeten Art erfolgen (inkongruente Deckung), können vom Insolvenzverwalter angefochten und zurückgefordert werden, wenn die Zahlung nach dem Insolvenzantrag erfolgt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 131 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO). Sogenannte Druckzahlungen, also Zahlungen, die der Arbeitgeber erbringt, um eine unmittelbar bevorstehende Zwangsvollstreckung abzuwenden, sind in diesem Sinne inkongruent.
Der Insolvenzverwalter war daher berechtigt, die Zahlung des Arbeitgebers anzufechten und der Auszubildende wurde verurteilt, die erhaltenen Beträge an den Insolvenzverwalter zurück zu zahlen.
Das BAG sah sich auch durch die Neuregelung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 04.04.2017 nicht gezwungen, seine Auffassung zu ändern, da der Gesetzgeber entgegen der Diskussion während des Gesetzgebungsverfahrens bewusst die Zahlung wegen des Drucks einer Zwangsvollstreckung nicht vor einer Anfechtung des Insolvenzverwalters geschützt habe.
Auch kann sich der (ehemalige) Auszubildende nicht darauf berufen, dass die Ausbildungsvergütung das Existenzminimum habe sichern wollen, da er wie alle Arbeitnehmer in solchen Fällen die vorgesehenen staatlichen Hilfen wie „Grundsicherung“ und Insolvenzgeld in Anspruch nehmen könne.
Fazit:
Insolvenzen des Arbeitgebers stellen für die betroffenen Arbeitnehmer immer eine große Belastungsprobe dar, wie z.B. die „Schleckerpleite“ oder die Insolvenz von Air-Berlin zeigen. Dass aber auch die Anwendungen der InsO zu unangenehmen Überraschungen führten können, macht die vorliegende Entscheidung deutlich, mit der das BAG seine Rechtsprechung der letzten Jahre zu diesem Thema fortsetzt.
Für den betroffenen Arbeitnehmer oder Auszubildenden ist die vom BAG angewandte Regelung der Insolvenzordnung ein „starkes Stück“. Zuerst erhält er die verdienten Zahlungen nicht, muss gegen den Arbeitgeber prozessieren und dafür Zeit und wahrscheinlich Geld investieren und dann auch noch die erkämpften Beträge zurückzahlen.
Es kann durchaus bezweifelt werden, dass die vom BAG angewandten Regelungen der InsO geeignet sind, das Machtverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer/Auszubildendem zutreffend zu regeln. Allerdings ist der Hinweis des BAG, dass der Gesetzgeber trotz Kenntnis des Problems bewusst auch bei der Neuregelung im April 2017 keine andere Regelung getroffen hat (leider) zutreffend.
Arbeitnehmern und Auszubildenden wird daher nichts anderes übrig bleiben, als rückständige Beträge möglichst schnell durchzusetzen. Nach § 142 InsO sind nämlich sogenannte Bargeschäfte von der Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausgenommen. Ein Bargeschäft liegt nach der Rechtsprechung des BAG und der Neuregelung des § 142 InsO auch noch vor, wenn zwischen Leistung (der Arbeit) und Zahlung (der Vergütung) eine Frist von 3 Monaten liegt. Bei Bargeschäften ist eine Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nur sehr begrenzt, nämlich bei Kenntnis vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Arbeitgebers, möglich.
Autorin und zuständig für Rückfragen: Regine Windirsch, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Sozialrecht, Bell & Windirsch, Britschgi & Koll Anwaltsbüro, Marktstraße 16, 40213 Düsseldorf, windirsch@fachanwaeltinnen.de, www.fachanwaeltinnen.de www.fachanwaeltinnen.de
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