Wie steuert man Steuern im Zeitalter der Digitalisierung effizient und effektiv?
Wir sprachen mit Juri Loch, Langen, über den Einfluss der Digitalisierung im Steuerbereich und Datenvalidierungen im Rahmen von Tax Compliance Management Systemen.
Frage: Welche Entwicklungen beobachten Sie derzeit im Zusammenhang mit der Datenverarbeitung im Steuerbereich und was sind die aktuellen Herausforderungen für Steuerabteilungen in diesem Zusammenhang?
Juri Loch: Ich bewege mich hauptsächlich “auf der IT-Seite” von transaktionalen Steuerarten, hier insbesondere bei der Umsatzsteuer. Auf diesem Gebiet beobachte ich seit einiger Zeit einen großen Entwicklungsbedarf. Die Unternehmen sind darauf angewiesen, Ordnung in immer größer werdende Mengen von steuerlich relevanten Daten zu bringen. Dies ist eine internationale Entwicklung, die in Deutschland zuletzt mit dem Anwendungserlass zu §153 AO implementiert wurde. Dort ist die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems beschrieben, als Prophylaxe gegen Vorsatz und Leichtfertigkeit. Es gibt dabei keine eindeutig verpflichtenden Anforderungen oder allgemeine Maßstäbe. Jedoch bestehen durchaus Anforderungen, dass ein IKS dokumentiert, gelebt und natürlich auch digitalisiert datentechnisch unterstützt werden soll. Über die – nicht gesetzlich, aber implizit – vorliegende Verpflichtung zur Einrichtung eines IKS weiten sich weltweit die Verpflichtungen aus, die mit digitalisierten Daten zu tun haben. Andere Länder sind teilweise weiter als Deutschland, zum Beispiel Italien mit dem E-Invoicing im B2B-Bereich, oder Spanien und Ungarn mit dem Real-Time oder Near-Real-Time Reporting. Die Kontrolle über die steuerlich relevanten Systemteile und Daten ist für die Unternehmen zu einem strategischen Thema geworden.
Frage: Mit welchen Herausforderungen sehen sich Ihrer Erfahrung nach die Steuerabteilungen der Unternehmen konfrontiert?
Juri Loch: Unter anderem bei Betriebsprüfungen zeigt sich beispielsweise in der Realität, dass die eigentlich erfolgsneutrale Umsatzsteuer durchaus zum erheblichen Kostenfaktor werden kann. Die Steuerabteilungen sind verantwortlich für die Steuer-Compliance. Sie haben jedoch oft weder Einblick in die systemseitige Abbildung der Geschäftsprozesse noch richtige Kontrolle über die steuerlich relevanten Daten. Bei immer größerer Arbeitsbelastung in international tätigen Unternehmen fehlt auch die Zeit, sich zum Beispiel in die relevanten Einstellungen in SAP einzuarbeiten.
Es ist keine Ausnahme mehr, dass ein Mitarbeiter monatlich 20 oder 30 Umsatzsteuer-Voranmeldungen vorbereiten muss. Das führt oft dazu, dass die Zahlen schlicht so übermittelt werden, wie sie aus dem System kommen. Die Validierung der Daten wird damit ausgelassen. Das verursacht Unmengen an Arbeit bei Jahreserklärungen. Im schlimmsten Fall werden die Fehler erst dann aufgedeckt, wenn der Betriebsprüfer im Haus ist.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Steuerabteilungen oftmals keinen Zugriff auf die relevanten Systemeinstellungen haben und in dieser Hinsicht auf die IT angewiesen sind. In letzter Zeit erschienen sehr viele Anbieter von sogenannten VAT-Healthchecks oder Validierungsprozessen, die – jeder für sich – meistens von einer “Best-in-class”-Lösung sprechen. Wie bei der Einrichtung eines Steuer-IKS gibt es hier jedoch keine wirklich verlässlichen Maßstäbe zur Beurteilung.
Frage: Welche Ansätze wählen die Unternehmen, um diesen Herausforderungen zu begegnen?
Juri Loch: Ich beobachte oft zwei Ansätze. Einerseits ist es die Erweiterung und Automatisierung von dem “was schon vorher da war”, also zum Beispiel Automatisierung von riesigen Excel-Tabellen, Dokumentation von vorhandenen Checks, die vorher schon angewendet wurden und ähnliches. Dieser Ansatz führt höchstens zu einer Entlastung der Mitarbeiter. Der Umfang der Prüfungshandlungen oder Einblick in die Funktionsweise der Systeme wird nicht erweitert, wäre aber sehr wichtig. Auf der anderen Seite sehe ich die Entwicklungen der Berater, die eigene Lösungen als Erweiterung der bisherigen Beratung anbieten. Diese Lösungen werden meistens individuell für einen Kunden implementiert. Hier entstehen allerdings sehr hohe Kosten – mir wurden von Kunden Projekte beschrieben, bei denen für 80.000 Euro zehn Datenchecks implementiert wurden. Der Umfang der implementierten Checks bei solchen Projekten ist in der Regel begrenzt auf die Erfahrungen der Berater. Die Aktualisierung und Erweiterung solcher Checks oder deren Anwendung zum Beispiel auf andere Gesellschaften im Konzern ist schwer und kostspielig.
Frage: Meinen Sie, dass die aktuellen Beratungsansätze überholt sind?
Juri Loch: Die aktuellen Beratungsansätze sind im Grunde alle richtig: es ist immer gut, mit etwas anzufangen. Die weitere Entwicklung wird aber unweigerlich dazu führen, dass die Inhalte von Datenmodellierung und -Validierung von konkreten Unternehmen und Systemen abstrahiert werden, um später nach ihrer Relevanz an alle betroffenen Unternehmen “verteilt” zu werden. Jede derartige Entwicklung verlief so. Denken Sie an die Erfindung des elektrischen Lichts. Die ersten Installationen waren jeweils für ein Haus erbaut, waren entsprechend kostspielig und pflegeintensiv. Erst die Entwicklung von zentraler Stromerzeugung und -verteilung brachte den richtigen Durchbruch. Bezogen auf die Datenanalysen bedeutet das: Die spezifisch für einen Kunden erstellten Validierungssysteme waren ein guter Anfang. Richtig vollständig, zuverlässig und aktuell werden sie erst, wenn die Inhalte zentral erzeugt, verwaltet und nach ihrer Relevanz bei den Unternehmen angewendet werden.
Frage: Was muss getan werden, um wirklich zuverlässige Lösungen zu erhalten?
Juri Loch: Wenn ein Validierungssystem aus langjähriger Mandantenbeziehung entsteht, bei dem der Berater alle Risiken und Stolperfallen bei den Prozessen und Systemen des Kunden kennt, kann es durchaus für den Moment eine zuverlässige Lösung sein. Leider sind es meistens “Insel-Lösungen”. Wie eben mit Bezug auf das elektrische Licht beschrieben, dieses eine Haus wird schon gut ausgeleuchtet. Wenn der Kunde aber daneben ein weiteres Haus hat, wird die ganze Anlage dafür neu gebaut werden müssen. Ein solches System muss leicht an neue Anforderungen angepasst werden können, die zum Beispiel aus veränderten Situationen oder gesetzlichen Vorschriften “irgendwo auf der Welt” resultieren, wie neulich BREXIT. Jede Anpassung und Erweiterung kosten dann sehr viel Aufwand und Geld. Um das zu erklären: denken Sie an die Virenscanner: die ersten Bedrohungen wurden damals separat für Unternehmen mit speziellen Lösungen abgewehrt, aber würden Sie heute einem Virenscanner-Anbieter vertrauen, der sagt, dass Ihr PC so speziell ist, dass er für Sie ein extra Programm schreiben muss? Virenscanner sind nur erfolgreich, wenn sie tausende oder Hunderttausende von Computern “betreuen” und die aktuellen Erkenntnisse auf alle potenziell betroffenen Computer ausrollen. Das Gleiche gilt im Bereich der internationalen Steuer.
Frage: Was empfehlen Sie als Experte für Datentransformationen und Datenvalidierungen den Unternehmen auf dem Weg der Digitalisierung der Steuern?
Juri Loch: Die Unternehmen sollten bei der Planung und Implementierung von Schritten in Bezug auf Systeme und Daten folgende drei Aspekte beachten. Erstens muss immer daran gearbeitet werden, “wie die Steuern ins System kommen”. Das bedeutet, dass relevante Einstellungen, Systemlogik und Daten identifiziert werden müssen, um eine zuverlässige automatische Verarbeitung zu gewährleisten. Zum Beispiel eine richtige Steuerfindung für die Umsatzsteuer sollte alles an vorkommenden Geschäftsprozessen richtig abbilden, was legal richtig ist, und alles ausschließen, was legal nicht möglich ist. Konkret heißt dieser Ausschluss, dass zum Beispiel ein Auftrag systemseitig verhindert werden soll, der zu einer Registrierungsverpflichtung führt. Die Schaffung der richtigen Infrastruktur macht schon einen Großteil der Richtigstellung aus. Weiter sollte ein implementiertes System die Verantwortlichen möglichst selbständig handlungsfähig machen. Damit meine ich, dass die Steuerabteilung im Rahmen solcher Projekte das System und alles, was mit ihren Daten geschieht, vollkommen verstehen muss. Der Überblick und Durchblick bei den Systemeinstellungen und Datentransformationen und Validierungen muss die Steuerabteilung befähigen, selbst die weitere Konfiguration mitzugestalten. Und drittens sollte ein Head of Tax großes Augenmerk darauf legen, dass die implementierten Aspekte erweiterbar beziehungsweise wiederverwendbar sind. Ein System, bei dem eine neue umsatzsteuerliche Registrierung dazu führt, dass der externe Berater wieder für ein Projekt engagiert werden muss, ist schlecht.
Ich sehe immer wieder, dass Änderungen sich zumindest dem Muster nach wiederholen. Spanien und Ungarn waren sicher nicht die letzten Länder in Europa, die transaktionales Reporting eingeführt haben. Auch wenn die geforderten Strukturen der Nachrichten und die Übermittlungsformen sich sehr unterscheiden, es geht “um das Gleiche”: Für diese beiden Reportings nutzen unsere Kunden die Infrastruktur in einem Tool, mit lediglich angepassten Inhalten und Übermittlungsart.
Frage: Wie wird sich die Situation Ihrer Einschätzung nach weiterentwickeln?
Juri Loch: Es wird sehr spannend! Vor allem von den Finanzverwaltungen erwarte ich, dass sie immer weiter “aufrüsten”. Selbst wenn die Digitalisierung in der Finanzverwaltung bisher etwas schwerfälliger zu sein scheint als in der Industrie, es geht voran. Neben dem üblichen IDEA sind zum Beispiel in Deutschland auch neuere Werkzeuge wie Power BI im Einsatz, und die Betriebsprüfer gehen sehr geschickt damit um. Im Übrigen habe ich schon vor zehn Jahren Normalverteilungen und Konfidenzintervalle in Prüfungsanfragen gesehen. Man muss auch bedenken, dass die Prüfungen verzögert stattfinden. Ich begleite jetzt teilweise Mandanten bei Betriebsprüfungen über die Jahre 2013 oder 2015. Stellen Sie sich vor, was alles zum Arsenal der Finanzverwaltung gehören wird, wenn die Rechnungen von heute in fünf bis sechs Jahren im Prüfungszeitraum liegen. Der angepeilte Zeitpunkt für die Richtigstellung der Systeme und Daten ist also spätestens sofort.
Die Unternehmen werden jedenfalls gezwungen sein, Kontrolle über die IT-Seite ihrer Steuern zu erlangen, das heißt bereits vor der Betriebsprüfung sicher zu sein. Bei der Heterogenität der verschiedenen Risiken oder Fehlerquellen wird es nicht möglich sein, dass jeder “sein Rad neu erfindet”, oder – noch schlimmer – erfinden lässt. Generische Ansätze bei der Datenmodellierung und -verarbeitung werden sich durchsetzen, mit Anwendungs-Portabilität innerhalb hinreichend homogener Cluster: Wenn ein Unternehmen in Reihengeschäfte involviert ist, ist es egal, ob es mit Büroklammern oder Steaks handelt, die systemseitige Abbildung dürfte ähnlich aussehen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich sage nicht, dass alle Datenanalysen “out-of-the-box” funktionieren werden, es geht darum, durch Austausch und Wiederverwendbarkeit von Mustern “von vielen für viele” das jeweils Richtige zuzuordnen. Insel-Lösungen werden da auf Dauer nicht mithalten können. Wer jetzt nicht auf eine generische Lösung hinarbeitet, wird sich mittelfristig in den verschiedenen Lösungen verlaufen und verliert erst recht die Kontrolle über die Daten und das Vertrauen der Finanzverwaltung. Über die Folgen zu sprechen, bin ich nicht der Richtige, dafür gibt es Steuerberater und Steuerstrafrechtler…
Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview und die tiefen Einblicke in die Welt der steuerlichen Daten.
Juri Loch ist Top-Experte für die IT-Seite der transaktionalen Steuern.
Seit über zehn Jahren berät er Unternehmen im Zusammenhang mit der systemseitigen Abbildung und Verarbeitung von steuerlich relevanten Aspekten. Er hat umfangreiche Erfahrungen in der Beratung (Big 4, Steuerberatung) sowie auch in der Steuerabteilung eines großen internationalen Konzerns. Den Kernpunkt seiner Beratung bilden die Aufbereitung und Validierung von steuerlich relevanten Daten.
Seine Kunden sind große Steuer- und Wirtschaftsberatungen sowie internationale Konzerne mit komplexen umsatzsteuerlichen Geschäftsprozessen und multiplen Registrierungen.
Technische Begleitung von internationalen Mandanten bei Betriebsprüfungen oder im Rahmen von Deklarationsvorbereitungen gehören zu seinem Alltag. Er erfindet, konzipiert und entwickelt Tools zur Verarbeitung von Steuerdaten, die zum Beispiel Reporting-Verpflichtungen erfüllen (z.B. Datenaufbereitung für Umsatzsteuer-Compliance-Zwecke, Real-Time-Reporting in Ungarn oder SII in Spanien). Ferner gehört die Analyse und Einrichtung von steuerlich relevanten Einstellungen in ERP Systemen zu seinen Hauptkompetenzen, um komplexe umsatzsteuerliche Geschäftsprozesse abzubilden.
Mit der Tailored Tax Technology UG, die Juri Loch 2019 gegründet hat, bietet er präzise maßgeschneiderte Lösungen, die das Leben der Steuerabteilungen von international agierenden Unternehmen sicherer und einfacher machen. Den größten Wert legt er dabei darauf, mit den Kunden und nicht nur für die Kunden zu arbeiten, sie unabhängig von der Beratung zu machen und zu befähigen, ihre Steuern selbst zu steuern.
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