Ein Gespräch mit dem Freiburger Freizeitforscher Sacha Szabo über Schaulust heute und vor hundert Jahren
Noch vor hundert Jahren standen auf den Festplätzen der Volksfeste, selbstverständlich neben den Karussells und Achterbahnen, Schaubuden. In Menagerien wurden Tiere vorgeführt. In manchen Schauen wurde die dickste Frau oder der Löwenmensch ausgestellt. Es gab Völkerschauen auf denen Menschen aus den deutschen Kolonien gezeigt wurden. Aber auch das Panoptikum und das Panorama waren bekannte Formen der Schaubude. Nicht zuletzt feierte auch die Fotografie und das Kino als Schaubude auf dem Festplatz ihre Geburt. Wir sprachen mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo vom Institut für Theoriekultur, der seine Doktorarbeit über Jahrmarkt-Attraktionen schrieb warum diese Kultur verschwunden ist und erfuhren, dass sie nur das Medium gewechselt hat. Denn heutzutage, so Szabo, befriedigt das Fernsehen diese Schaulust.
„Höher Weiter Schneller“. Der stärkte Mann der Welt oder die dickste Frau der Welt würde heute wohl niemanden mehr locken. Die Jahrmärkte haben sich weiterentwickelt. Das erste Riesenrad wurde 1893, die erste Achterbahn wurde Anfang des 20. Jhd. aus Holz gebaut. Diese Attraktionen sind noch heute Präsent. Verschwunden aber ist die Schaubude, warum?
Sacha Szabo: Die Antwort ist sehr einfach und in ihrer Einfachheit sehr komplex: Die Schaubude ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Aber eben aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche Schaubuden-Attraktionen, wie der Film oder die Tierschau, die Menagerie haben sich zu dauerhaften Institutionen gewandelt und sind nun ganzjährig als Kino oder Tierpark besuchbar. Manche Formen, wie das Panorama, wurden durch andere Medien, in diesem Fall das Kino, verdrängt. Und natürlich gibt es Schaubuden Attraktionen. Das sind vor allen die Zurschaustellung von Menschen, die aus heutiger Sicht rassistisch und diskriminierend ist und daher nicht mehr gewollt wird.
Warum gab es denn überhaupt Schaubuden?
Sacha Szabo: Die Schaubuden stillten das Bedürfnis der Neugierde. Einerseits wurden die neuesten Erkenntnisse popularisiert. So wurde die Frage nach der Stellung des Menschen, die mit der darwinschen Evolutionstheorie aufkam dahingehend beantwortet, dass es sogenannte „Missing Links“ gibt, Menschen, die noch Zeichen des Tierseins tragen. Und so wurden Menschen mit Behinderungen als Löwenmenschen, Vogelmenschen oder Seehundmenschen ausgestellt. Aber diese Ausstellungen beinhalteten immer auch etwas Sensationelles. Eine Sensation ist ein Gefühl, das den Betrachter körperlich, also unmittelbar irritiert und für einen kurzen Moment verunsichert. Diese Unsicherheit wird nun dazu genutzt sich der eigenen Normalität zu versichern.
Es wurden also Menschen ausgestellt?
Sacha Szabo: Ja, neben diesen waren die dicke Frau, die bärtige Frau oder die tätowierte Frau beliebte Objekte. Die wurden allerdings so häufig angepriesen, dass in diesen Fällen schon mit Superlativen gearbeitet werden musste. Allerdings hatten diese Ausstellungen auch einen sexistischen Aspekt. Ein Aspekt, der im Übrigen auch für die Völkerschauen galt. Hier wurden in einer rassistischen Weise die Bewohner der Deutschen Kolonien als Menschenfresser ausgestellt. Postkartenbelege der damaligen Zeit zeigen aber, dass dies keineswegs wirklich ernst gemeint war auch wenn überliefert ist, dass sogar manche Anthropologen zu diesen Schauen pilgerten, sondern dass immer eine latente Sexualisierung mitschwang. Ein Bedürfnis, das in den Varietes sehr viel direkter konsumiert werden konnte.
Was gab es noch für Schauen?
Sacha Szabo: Das Panorama zeigt gemalte Bilder von historischen Szenen. Denn, auch wenn die reisenden Panoramen nicht an die großartigen Kaiserpanoramen heranreichten, waren auch diese ein Massenmedium. Das Kino selbstverständlich, und auch hier wurden häufig Sensationen vermittelt, so sollen die Besucher einer dieser Vorführungen aus dem Zelt gerannt sein, weil das Geschehen so real wirkte. Im Panoptikum wurde medizinisches Wissen publikumswirksam skandalisiert und schauderhafte Wachspräparate gezeigt. Es wurden aber auch die neuesten Technischen Errungenschaften präsentiert. Es ist keine Schaubuden-Attraktion, aber nicht nur das Riesenrad, auch die Zuckerwatte hatte ihren Ursprung auf einer Weltausstellung. Und was natürlich beliebt war, waren für uns heute so selbstverständliche Dinge wie die Elektrizität. Die Elektrizität und das elektrische Licht wurde auf den Festplätzen zum Unterhaltungsgegenstand. Wie imposant das wirkt merkt man, wenn man bei Nacht auf einen Festplatz geht und in diese bunte Lichterwelt eintritt. Apropos Elektrizität. Noch heute findet man Elektrisierautomaten auf Festplätzen.
Warum sind diese Schaubuden verschwunden.
Sacha Szabo: Wenn man sich von der konkreten Schaubude löst und betrachtet was präsentiert wurde, dann zeigt sich, dass heute, über 100 Jahre später, noch die gleichen Themen aktuell sind. Nur in einem anderen Medium, dem Fernsehen. Das Fernsehen ist für mich die zeitgemäße Erscheinungsform der Schaubude.
Können sie uns ein Beispiel nennen?
Sacha Szabo: Wir finden für jede Schaubuden-Attraktion eine Entsprechung im Programmplan. Aus der dicksten Frau wurde „The Biggest Looser“ und andere Formate in denen Übergewicht thematisiert wird. Tätowierungen sind heute nicht nur selbstverständlich in alle sozialen Schichten eingesickert, sondern haben mit „LA. Ink“ sogar eigene Programmplätze. Im Vergleich zu diesen Formaten wirken Tierdokus und Berichte über ferne Kulturen schon altbacken. Aber man darf nicht vergessen, dass dies die Völker und Tierschauen der Jahrmärkte waren. Der Umgang mit Behinderungen scheint heutzutage sensibler. Aber das sensationelle bei Berichten in den Vorabend-Journalen über das Leiden der von seltenen Krankheiten Betroffenen ist weiterhin präsent. Formate wie „Wild Girls – Auf High Heels durch Afrika“, verbinden wieder rassistische Motive mit erotischen Aspekten. Über die Erotik muss man angesichts von „YouPorn“ gar nicht mehr hinweisen. Allerdings haben diese Angebote auch heute noch Heimliche, das auch den Besuch eines Erwachsenenvarietes vor hundert Jahren auszeichnete. Aber die Erotik, die manche dieser Schaubuden-Rekommandationen auszeichnete, kennzeichnet eben auch viele Protagonisten und Protagonistinnen im Fernsehen die ihren Körper massiv in den Vordergrund rücken. Genau dies ist ein Indiz, dass eben nicht nur rational Information vermittelt wird, sondern sublim auch lustvolle Emotionen ausgelöst werden sollen, die eben durchaus im scheinbaren Gegensatz zu einer negativen Botschaft stehen können..
Warum sehen sich Leute diese Formate heutzutage an?
Sacha Szabo:
Auch wenn viele dieser Programme mit dem Adjektiv spektakulär anmoderiert werden. Es ist die gleiche Intension, wie früher bei den Schaubuden. Es geht nicht allein nur um Schaulust, um Voyeurismus, wobei der auch eine große Rolle spielt. Es geht zugleich auch um die Sensation. Die Körperweltenausstellungen Gunther von Hagens sind vielleicht die sensationellsten Schaubuden-Attraktionen der Gegenwart. Bei der Betrachtung der menschlichen Präparate, die im Übrigen auch durch eine mehr oder weniger seriöse wissenschaftliche Dokumentationen begleitet werden, wird ein Eindruck von dem Jahrmarktspanoptikum vor hundert Jahren vermittelt. Hier wie dort werden wissenschaftliche Erkenntnisse popularisiert und auf einen Effekt hin gesteigert, nämlich eben auf die Sensation, die durch eine pseudowissenschaftliche Weltsicht abgesegnet wird. Das Ich des Rezipienten, des Zuschauers wird für einen Moment irritiert. Für einen gewohnten Moment wird die Sicherheit des Zuschauers erschüttert, aber nicht lange genug, um sie zum Einsturz zu bringen, sondern vielmehr ist es eine Art Katharsis. Durch diese Erschütterung versichert sich der Betrachter seiner eigenen Identität.
Herr Szabo, vielen Dank für das Gespräch.
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