Politikberater kritisiert Bundeskanzler für die Erzwingung von Ukraine-Beschluss
Zu der Entscheidung der 26 EU-Mitgliedstaaten, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu befürworten, argumentiert der Politik- und Kommunikationsberater Dennis Riehle (Konstanz) wie folgt:
Solange Viktor Orban offensichtlich für einen nicht unerheblichen Teil der europäischen Bevölkerung spricht, wenn er in Brüssel die Beitrittsgespräche mit der Ukraine verhindern will, muss sich die EU selbstverständlich Gehör für seine Auffassung abnötigen lassen. Denn es ist ohnehin ein einigermaßen befremdlicher Vorgang, dass bei solch wesentlichen Entscheidungen, die erheblichen Einfluss auf die Sicherheit, das Gleichgewicht und die Integrität des Staatenbündnisses haben, die Menschen in der Gemeinschaft nicht um ihre Meinung gefragt werden. Der Vorwurf an den Ministerpräsidenten, lediglich ein Handlanger von Putin zu sein, ist schon deshalb absurd, weil der Regierungschef aus Ungarn Sachargumente vortragen kann, die von erheblichem Gewicht und Tragweite sind. Wenn Kiew bislang eben noch drei Siebtel der nötigen Voraussetzungen für eine Zugehörigkeit zur EU nicht erfüllen kann, bleibt die Hektik und das Tempo der 26 anderen Staaten nur mit einer falsch verstandenen Solidarität mit dem Opfer der russischen Aggression zu erklären. Wir können nicht allein aus Mitgefühl unsere Regeln und Prinzipien des Miteinanders aufweichen. Schon gar nicht, wenn die Europäische Union durch die zahlreichen Erweiterungen der Vergangenheit ohnehin überfordert ist – und zuerst einer dringenden internen Reform bedarf, bevor es weitere Perspektiven für noch mehr Länder geben kann. Die Ausrede, während der Gespräche über eine Mitgliedschaft könne Selenskyj die restlichen Defizite noch ausräumen, darf schon allein deshalb nicht ziehen, weil man gegenüber vielen anderen Ländern über Jahre und Jahrzehnte eine solche Toleranz nicht gezeigt hat. Diese fühlen sich nun zu recht benachteiligt. Entsprechend ist es das völlig falsche Signal, bereits von einer baldigen Zugehörigkeit der Ukraine zur EU zu sprechen. Nicht, weil das möglicherweise dem Kreml nicht schmeckt. Sondern weil sich mit dem zweifelsohne geschundenen Land so mancher europäischer Bürger bisher nicht identifizieren kann.
Inmitten einer militärischen Auseinandersetzung ein Versprechen dieser Dimension abzugeben, ist unverantwortlich und Ausdruck einer westlichen Naivität. Dass diese den Krieg mittlerweile ohnehin schon immens prolongiert hat, zeigt eindrücklich, dass man sich auf Abwegen der Unvernunft befindet. Das ist nicht meine EU, in der andere Staaten Jahre und Jahrzehnte auf Beitrittsverhandlungen und eine Mitgliedschaft warten, während aus einer falsch verstandenen und reflexartigen Solidarität mit der Ukraine sämtliche Regeln und Voraussetzungen außer Kraft gesetzt werden. Auch wenn der Weg bis zur endgültigen Aufnahme noch lang sein mag, ist das ein verheerendes Signal an all die anderen, die zunächst sämtliche Bedingungen erfüllen müssen. Kiew aber siegt mit seiner moralischen Erpressung, als Opfer der russischen Aggression zweierlei Maß zu erzwingen. Dass ein Staat mitten im Krieg eine solche Aussicht erhält, ohne die Bevölkerung in den 27 Ländern der Europäischen Union bei einer solch weitreichenden Entscheidung mit Auswirkung auf die Sicherheit, die Balance und die Rechtsstaatlichkeit des Gefüges der Gemeinschaft einbezogen zu haben, überfordert die mit vielen Erweiterungen ohnehin schon stark belastete und ins Ungleichgewicht geratene EU weiter. Und sie biedert sich mehr denn je einer Prinzipienlosigkeit an, denn mit ihrem grünen Licht mischt sie sich noch tiefer in eine laufende militärische Auseinandersetzung ein. Abschließend noch ein Blick darauf, wie der Entschluss der Länder letztlich zustande kam: Bisher war Olaf Scholz für mich der schlechteste Bundeskanzler in der jüngeren Geschichte – und hat politisch auf ganzer Linie versagt. Seit gestern Nacht ist er aber auch menschlich in die tiefsten Niederungen abgesunken – und hat jedweden Respekt meinerseits verloren.
Schlussendlich ist es erbärmlich, wenn man sich nicht anders als durch Kniffs zu helfen weiß, um in einem Gremium Einigkeit herzustellen. Dass der SPD-Politiker in seiner Funktion als Regierungschef den ebenbürtigen Orban mit einem Trick vor die Tür gelockt hat und diese Situation ausnutzte, damit alle anderen 26 Staatsvertreter der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zustimmen konnten, steht für mich auf einer verachtenswerten Ebene – und bringt eine Demokratiefeindlichkeit zum Ausdruck, die ihresgleichen sucht. Sie lässt auch erahnen, mit welchen Mitteln er bereit zu agieren ist, wenn es um die Erreichung von politischen Zielen geht. Lügen, Ausreden und Vorwände sind ebenso wie miese Spielchen offenbar aus seiner Sicht legitim – möglicherweise auch in seiner eigenen CumEx-Affäre. Das Hantieren mit unlauteren Instrumenten liegt ihm offenbar nicht fern. Für seine Ambitionen geht er über jegliche Regeln hinweg. Solch eine Person hat in keinem Amt mehr etwas zu suchen. Denn ihm geht es allein um die eigenen Interessen. Weder die Bürger mit ihrer Auffassung und Skepsis gegenüber den Verhandlungen über eine Mitgliedschaft der auf der Liste stehenden osteuropäischen und eurasischen Kandidaten für die EU, noch die Souveränität von anderen Staatschefs sind ihm irgendetwas wert. Eigentlich würde man solch ein Vorgehen ohne alle Skrupel lediglich in Bananenrepubliken und Diktaturen erwarten. Doch wir haben in Brüssel erlebt, dass ein einst international angesehenes Land wie wir mittlerweile auf dem Stand einer gewissenlosen Autokratie angekommen ist, in der man vor Böswilligkeit gegenüber dem eigenen Volk und gleichberechtigten Kollegen nicht mehr zurückschreckt.
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