Michael Oehme
Die Möglichkeit in der Schweiz, über Volksbefragungen Politik zu steuern, hat sich als effizient und erfolgreich erwiesen. Dadurch, dass das Volk direkte Entscheidungen trifft, ist die Akzeptanz in der politischen Meinungsbildung deutlich höher als in anderen westlichen Ländern. Dies zeigt sich auch in der derzeitigen Diskussion um eine Erweiterung der Corona-Gesetzgebung, die am 28. November zur Entscheidung ansteht, meint Michael Oehme.
Die Corona-Diskussion als Beweis für das Demokratieverständnis der Schweiz.
Seit 1848 stimmen die Stimmberechtigten in der Schweiz in direkter Demokratie ab. Die Volksabstimmungen finden dabei auf allen politischen Ebenen statt. Ob es um den Kauf eines neuen Feuerwehrhauses auf kommunaler Ebene (in der Gemeinde) oder um Entscheidungen auf kantonaler Ebene geht, oder um solche mit bundesweiter Wirkung wie die Ehe für alle – oder eben die Erweiterung der Corona-Gesetzgebung. Vier Mal im Jahr stimmen die Eidgenossen über zugelassene Vorlagen ab. Die Volksbefragungen finden jeweils am Sonntag statt und haben eine vergleichsweise hohe Beteiligung. Ob die Abstimmungen dabei zugelassen werden, entscheidet zu guter Letzt der Bundesrat. Der aber nutzt gerne die Möglichkeit, den Volkswillen hinter sich zu bringen – schon gar, wenn es um unangenehme Entscheidungen geht, wie beispielweise das Burkaverbot.
Direkte Demokratie und Selbstbestimmung
Offizielles Gründungsjahr der Schweiz ist 1291. Die Schweiz entstand durch den Zusammenschluss der „Drei Waldstätte Uri, Schwyz und Unterwalden“. Schaut man in die Geschichte der Alpenrepublik, fühlten sich deren Bürger schon immer frei und unabhängig. So ist die Geschichte von Wilhelm Tell, einem legendären Schweizer Freiheitskämpfer, heute immer noch präsent. Direkte Demokratie und Selbstbestimmung prägen in der Schweiz den Umgang miteinander und bestimmen so auch das Schweizer Politsystem. Man ist stolz darauf, Politik entprofessionalisiert zu haben. Politiker als eigene „Kaste“, abgehoben von den Bürgern, sind den Schweizern fremd. „Schweizer misstrauen Berufspolitikern und jeglicher staatlichen Autorität. Ihnen bleibt eben nicht, das Kreuz auf dem Wahlzettel alle vier, fünf Jahre. Schweizer reden immer mit, und sie lassen sich den Mund nicht verbieten“, so Wolfgang Koydl in „Die Besser-Könner – Was die Schweiz so besonders macht“. Vor diesem Kontext muss auch die derzeitige Diskussion um eine Ausweitung der Corona-Gesetzgebung gesehen werden. Auch in der Frage der eigenen Gesundheit, sehen die Eidgenossen jeden selbst in der Verantwortung. Eine Impflicht verstößt gegen jede Form der persönlichen Freiheit.
Diskussion und Abstimmung
Am 28. November stimmen die Schweizer Stimmberechtigten erneut über das Corona-Gesetz ab. Es war im September 2020 verabschiedet worden und legte fest, mit welchen zusätzlichen Massnahmen der Bundesrat die Pandemie bekämpfen und wie er wirtschaftliche Schäden eindämmen soll. Es wurde in den kommenden Monaten mehrfach verändert und an die jeweils neue Ausgangssituation angepasst. Nach einem Referendum nahm die Stimmbevölkerung das Gesetz am 13. Juni 2021 mit 60 Prozent an. Im Zuge der Erweiterungen geht es nun um Punkte, die das Parlament im März 2021 bereits beschlossen hatte. Im Zentrum steht das Covid-Zertifikat, aber auch weitere Finanzhilfen. Der Bundesrat hatte im März 2020 beschlossen, dass Firmen in der Corona-Krise unbürokratisch Kredite beantragen können, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken. 20 Milliarden Franken wurden dafür bislang bereitgestellt. Die entsprechende Verordnung trat am 26. März in Kraft. Vollkommen abgerufen wurden die Gelder nicht. Die Schweiz kann sich derart Unterstützung leisten. Auch, dass Arbeitnehmer und Selbständige, die vom Lockdown betroffen waren, bis zu 100 Prozent ihres Verdienstausfalles erstattet bekamen. Hintergrund ist die niedrige Staatsverschuldung (trotz geringer Steuerquote) sowie die Gewinne der Schweizer Nationalbank (SNB), die zu einem großen Teil in die Förderung der Wirtschaft fließen.
Die Gegner der Erweiterung halten die bestehende Gesetzgebung für ausreichend. Mehr Einflussnahme durch den Bundesrat brächte auch das Risiko einer stärkeren Überwachung mit sich. Weitere staatliche Förderungen der Wirtschaft würden zudem zu einer Verzerrung führen. Ganz generell sind die Schweizer keine Fans der Einflussnahme des Staates auf die Wirtschaft durch Steuerungen und Subventionen jeder Art. Last but not least würden weitere Einflussnahmen des Staates die Spaltung der Schweizer Bevölkerung provozieren. Wie in anderen Ländern auch, gibt es auch in der Schweiz bekennende Gegner der Impfkampagnen, die sich zu einem hohen Anteil in der Schweizer Landbevölkerung finden. Die Sensibilisierung gegenüber dem Willen des Volkes hatte bereits seit Coronabeginn dazu geführt, dass die Maßnahmen deutlich milder ausfielen als beispielsweise in den Nachbarländern Österreich und Deutschland. Im Ergebnis waren sie aber nicht weniger erfolgreich. Dass die Maßnahmen auch lebbar sein müssen, ist den Schweizern wichtig.
Wenngleich dabei Fakenews auch in der Schweiz eine immer größere Bedeutung haben, ist die Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern der Corona-Maßnahmen deutlich sachlicher als beispielsweise in Deutschland. Gegner werden nicht durch fadenscheinige Herleitungen in die Ecke von Rechtsradikalen gedrängt – schon allein deshalb, weil politische Richtungen in der Schweiz nicht die gleiche Bedeutung haben wie in Deutschland. Die Diskussionskultur, die sich die Schweizer bewahren, ist dabei vorbildlich und sollte motivieren, sich um Sachlichkeit zu bemühen. Unter dem Strich geht es schließlich allen darum, Lösungen für einen Ausweg aus dem Corona-Dilemma zu finden. Dumpfes Polemisieren bringt dabei nicht weiter.
Michael Oehme ist Consultant bei der CapitalPR AG, St. Gallen/Schweiz. In seine Wahlheimat Schweiz siedelte er 2011 aus – nicht erst seitdem ist er bekennender „Fan“ der Schweiz. Oehme ist Fachbuchautor und gefragter Referent u. a. mit seinem Vortrag: „Ist die Schweiz ein Vorbild, von dem Europa lernen kann?“.
Michael Oehme ist Consultant bei der CapitalPR AG, St. Gallen/Schweiz. In seine Wahlheimat Schweiz siedelte er 2011 aus – nicht erst seitdem ist er bekennender „Fan“ der Schweiz. Oehme ist Fachbuchautor und gefragter Referent u. a. mit seinem Vortrag: „Ist die Schweiz ein Vorbild, von dem Europa lernen kann?“.
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