Was Zuschauer an Krankenhausserien fasziniert.
Mit der Schwarzwaldklinik fing es an und inzwischen sind Krankenhausserien ein Dauerbrenner im deutschen TV. Mal ist es eine Ärztin, mal ein mürrischer Arzt, mal hat es eher den Charakter einer Comedy, mal ist es ein Melodram. Die Schicksale der Patienten und der Ärzte verbinden sich in einem bunten Reigen vielfältiger Erkrankungen. Was ist es, was die Zuschauer so an den Bildschirm fesselt? Wir sprachen darüber mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo vom Institut für Theoriekultur der Alltagsphänomene, der TV-Serien untersucht.
Warum sind Krankenhausserien so beliebt?
Sacha Szabo: Krankheit und Tod sind die zwei großen anthropologischen Kränkungen, die sich der menschliche Verstand nicht auflösen kann. Es ist paradox sich die eigene Nichtexistenz vorzustellen. Das macht den Gedanken von Krankheit und Tod zu bedrückend. Serien die diese Trigger behandeln betten sie in einen sinnhaften Erzählrahmen ein und machen sie damit ein Stück weit verständlich.
Aber in den Serien geht es ja auch sehr oft um die erfolgreiche Rettung.
Sacha Szabo: Das ändert aber nichts an der Verzweiflung der Krankheit zum Tode, wie dies Kierkegaard beschrieb. Der Sinn der menschlichen Existenz angesichts eines unabwendbaren Endes wurde früher durch religiöse Systeme geleistet, diese verlieren in der westlichen Gesellschaft langsam ihre Tragfähigkeit. Aber die Verzweiflung der Menschen bleibt, also fangen sie an, an die Medizin zu glauben und die Mediziner sind nun nicht mehr nur Halbgötter, sondern richtige Götter in Weiß.
Warum ist das so?
Sacha Szabo: Die moderne Apparatemedizin ist sehr unpersönlich. Die ganze Medizinerausbildung ist ja ein Stück weit darauf angelegt einen Fall objektiv zu beurteilen. Da wird der Patient auch schnell zu einem Objekt, zu einem Gegenstand. Wer einmal in einer Notaufnahme einer Universitätsklinik war weiß, was ich damit meine. Es müssen so schnell Entscheidungen getroffen werden, dass das menschliche Gegenüber nur noch als Fall wahrgenommen wird. Dies spüren natürlich die Menschen und fürchten sich davor nun als Patient solch einer Institution ausgeliefert zu sein. Deshalb werden nun warmherzige mitfühlende Doktoren in den Filmen dargestellt, oder im Falle von Dr. House ein mürrischer Arzt, der dennoch alles für seinen Patienten tut.
Fördern solche Sendungen die Patientenkompetenz?
Sacha Szabo: Man sagt, früher mussten die Krankenhausärzte auch die Schwarzwaldklinik sehen, weil am darauffolgenden Tag lauter Patienten mit genau den thematisierten Beschwerden in die Klinik kamen. Letztlich ist die Medizin eine Spezialisten-Ausbildung. Ein Laie kann sich dieses Expertenwissen nur schwer aneignen und noch schwerer wird die Beurteilung. Das liegt auch daran, dass ja in den Medien immer von dem Extremfall berichtet wird, in einer Hausarztpraxis liegt aber der Schwerpunkt auf dem Regelfall. Also wird ein Mediziner eher nüchterner urteilen, was aber nicht heißen muss, dass er in jeden Fall Recht haben muss. Hier ist etwas notwendig das diese Serien oft in das Zentrum stellen. Es geht um das Vertrauen. Warum soll ich diesem oder jenem mein Leben anvertrauen. Hier spielt die Suggestion eine große Rolle.
Wie ist es mit der Alternativmedizin?
Sacha Szabo: Ich bin kein Mediziner. Ich weiß nur, dass jedes noch so obskure Angebot sinnhaft erscheinen kann. Ob es wirklich hilft, das kann ich nicht beurteilen. Es sind aber immer auch Scharlatane, die sich die Verzweiflung zunutze machen und Menschen etwas glauben lassen wollen. Diese Verbindung von Krankheit und Glauben war ja ursprünglich in der Religion beheimatet und wird noch heute von ganzheitlich orientierten Ideologien propagiert.
Was wird propagiert?
Sacha Szabo: Dass Krankheit etwas mit Schicksal zu tun hat. Es sei eine Schicksalsprüfung. Es hat etwas mit dem Karma zu tun. Dies sind alles Dinge, die mit dem Bereich des Glaubens zu tun haben. Moderne Medizin hingegen ist eine empirische Wissenschaft. Hier ist jemand, der behauptet zu glauben und es nicht genau weiß, eher kritisch gegenüberzutreten.
Zurück zu den Krankenhausserien …
Sacha Szabo: Es gibt ja im Übrigen auch Arztromane, auch hier wird Medizin vermenschlicht. Was aber eben stattfindet ist, dass die Sinnlosigkeit des Todes und die Sinnlosigkeit der Krankheit in einen sinnhaften Rahmen übernommen wird. Diese Sinnkonstruktionen können nun auch von real Erkrankten übernommen werden und entlastend wirken.
Diese Serien sind aber dennoch völlig unrealistisch.
Sacha Szabo: Ja, das auch mit gutem Grund. Wenn man ein Krankenhaus in Berlin nimmt, dann liegt man dort über Stunden ohne jede Beschäftigung. Man wird im günstigsten Fall durch eine Zeitschrift oder das Fernsehen vom Grübeln abgelenkt. Dies will man natürlich nicht sehen. Was man aber hingegen sehen würde, dass vieles auch ganz unspektakulär über die Bühne geht und nicht immer große Theatralik im Operationssaal notwendig ist. Diese Ernüchterung über die Normalität einer Krankheit könnte den Zuschauern auch etwas Sicherheit geben.
Zum Schluss, was sagen sie zu den medizinischen Informationssendungen?
Sacha Szabo: Grundsätzlich ist es eine Popularisierung von Expertenwissen, dadurch wird aber niemand zum Experten. Das fiese ist nun, man nimmt den Patienten immer stärker in die Pflicht für sich selbst Verantwortung zu tragen, ohne dass er in der Lage ist seine Situation überhaupt angemessen zu beurteilen. Dies geschieht aus Angst vor Regressforderungen, überfordert aber letztlich den Patienten, der oft gar keine Wahl hat. Betrachtet man die Medizin in dem Kontext, dass sie sinnstiftend wirkt, so muss sie auch den Bereich des Glaubens transportieren. Konkret heißt dies, sie sollte Voraussetzungen schaffen, dass der Patient seinem Arzt vertraut. Sendungen die nun scheinbar aufklären, können dieses Vertrauensverhältnis empfindlich stören. Dazu kommt bei diesen Sendungen etwas, wogegen selbst Mediziner während ihres Studiums empfänglich sind; Morbus Clinicus.
Was ist Morbus Clinicus?
Sacha Szabo: Man entdeckt an sich die Symptome die gerade besprochen wurden. Ich kann mir für mich entspannter Abendunterhaltung vorstellen.
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