Die Soziologie des Shitstorms – Ein virtueller Blutrausch

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Was geschieht wenn sich ein rasender Mob im Internet verbrüdert. Ein Gespräch mit einem Soziologen.

Plötzlich ist er da und für die Betroffenen eine Katastrophe. Aus den Tiefen des Internets entwickelt sich eine unheimliche Dynamik der Beschimpfungen und Beleidigungen. Ein Shitstorm ist ausgebrochen. Wir sprachen über dieses Phänomen mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo (http://www.sacha-szabo.de/) , der für das Institut für Theoriekultur (http://institut-theoriekultur.de/) Alltagskulturen untersucht.

Herr Szabo was ist ein Shitstorm?
Sacha Szabo: Ein Shitstorm ist ein Internet Phänomen. Es ist ein Anglizismus und wird im englischen als Flame-War bezeichnet. Bei einem Shitstorm entsteht ein Sturm der Entrüstung oder Empörung. Dabei bleibt es nicht nur bei wenigen negativen Kommentaren, sondern die Entrüstung greift um sich, so dass dieser Shitstorm über einen längeren Zeitraum und eine Vielzahl von Beteiligten umfasst.

Was passiert bei einem Shitstorm?
Sacha Szabo: Auslöser können ungeschickte Äußerungen sein die dann dazu führen, dass sich die Empörung über die sozialen Netzwerke verbreitet und immer mehr Teilnehmer eingreifen. Elias Canetti beschrieb solch einen Prozess in Masse und Macht. Die Masse ist anfangs ruhig, plötzlich wie auf ein geheimes Kommando beginnt sie sich zusammenzuballen, sie wächst kontinuierlich an. Diese Masse kann auch kaum gesteuert werden und letztlich führt dieses anwachsen zur Explosion, die Masse eskaliert. Dieser Vorgang lässt sich sehr gut für das Internet beschreiben.

Aber wenn die Gründe für die Empörung berechtigt sind?
Sacha Szabo: Der Masse geht es weniger um die Gründe, als vielmehr um ihre Eigendynamik. Was passiert, ist, dass auch anfangs unbeteiligte in diesen Strudel wie in einem Rausch hineingezogen werden und sich beteiligen. Was ja auch gerade bei den sozialen Medien im Unterschied zu den alten Massenmedien sehr einfach ist.

Wie meinen Sie das?
Sacha Szabo: Mit dem Internet ist es sehr leicht geworden selbst Produzent von Öffentlichkeit zu werden, die sozialen Medien sind dabei noch ein zusätzlicher Katalysator. Dabei kommt auch dem Einzelnen zugute, dass er auf den ersten Blick anonym ist, er ist maskiert und nur schwer greifbar. Gerade hinter einer Maske lässt sich das sadistisch-triebhafte Moment regressiv ausleben. Es verschafft Lust sich dieser Aggression hinzugeben und für einen Moment die kontrollierte Distanz zu sich selbst aufzugeben. Wie sich diese Triebe äußern, dazu finden sich anleihen bei den Todsünden: Eitelkeit, Neid, Feigheit, Wut und Selbstsucht, gut die letzte Todsünde die Habgier, spielt wohl keine große Rolle. Dies sind aber nur die Symptome, die Ursache liegt in dem regressiven Element.

Können Sie das genauer ausführen.
Sacha Szabo: Nehmen wir die Eitelkeit. Bei vielen Artikeln fällt es auf, dass in den Kommentaren unverhältnismäßig kritisiert wird. Abgesehen von der ständigen Frage nach Relevanz, taucht auch immer ein Moment der Besserwisserei auf. Es ist eine Kränkung, dass jemand anders in dem Haupttext auftaucht als man selbst. Dabei wird übersehen, dass in den Haupttexten meist Experten sind die sich eben gerade dadurch von Laien unterscheiden, dass sie in der Sache distanziert sind und Fehler nicht persönlich nehmen, ganz im Gegensatz zu den Kommentatoren.

Sie sprechen Kommentare an, wie gehen die Redaktionen damit um?
Sacha Szabo: Für einen Artikel ist ein Gütezeichen, dass aus ihm eine lebhafte Diskussion entsteht. Es ist eines der Ziele das Thema so kontrovers zu präsentieren, dass sich Leser beteiligen. Der Kommentator ist insofern nicht mehr als ein gewollter Effekt.

Kann aus einem Kommentar ein Shitstorm entstehen?
Sacha Szabo: Eigentlich kann ein Shitstorm aus allem möglichen entstehen. Es geht weniger um den konkreten Anlass, als vielmehr um die Dynamik. Die Aufhebung bestimmter Normen durch die Anonymität lässt das triebhafte Verlangen leichter ausleben und gerade in einer Gemeinschaft entsteht so eine lustvolle Masse. Der Einzelne überschreitet seine Ich-Grenzen und wird zu seinem triebhaften Wir. Dies ist die Beschreibung für Mob. Dies soll aber gar nicht so kritisch wirken, der Mensch benötigt dieses ausleben seiner Naturhaftigkeit. Er nähert sich seinem Ursprung an, der sofortige Lusterfüllung verspricht. Die Kultur stellt verschiedene Medien bereit um dies zu leisten, dies sind die verschiedenen Formen ekstatische Zustände zu erleben. Man kann das als Rausch bezeichnen und so ist der Shitstorm ein virtueller Blutrausch.

Was kann man bei einem Shitstorm machen.
Sacha Szabo: Wichtig ist, dass man die Distanz zum Geschehen nicht verliert. Gerade wenn die Gefühle überkochen ist es wichtig den Kopf nicht zu verlieren. Häufig verliert sich ein Shitstorm auch nach einigen Tagen wieder. Natürlich finden sich noch eine Weile Reste davon, die wie Strandgut angespült werden. Das Internet ist insofern für die Betroffenen tückisch, als dass es ja ein Ort im Privaten ist. Der Computer steht in der eigenen Wohnung und häufig sind die Äußerungen auch persönliche. Das bedeutet, dass man sehr schnell von der Aufregung erfasst wird. Am Rande beteiligte geraten dann auch in Unruhe und verfallen möglicherweise in Aktionismus. Sollte nun wirklich eine Äußerung völlig danebengegangen sein, dann kann man diese auf einer gesonderten Seite ohne Kommentarfunktion deutlich machen. Man sollte schon eine Position beziehen, aber sich nicht in eine Diskussion einlassen. Dieses Vorgehen ist eine gelungene Krisen-PR.

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