Die Zusammenhänge zwischen Stimme und Psyche verstehen
Dipl.-Sprachheilpädagogin und Gesangspädagogin Uta Feuerstein
Die Stimmig-sein-Methode® ist von uns im Jahr 2001 in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Dipl.-Psychologin Uta Himmelmann und
Dipl.-Sprachheilpädagogin und Gesangspädagogin Uta Feuerstein gegründet worden. Sie ist eine Erweiterung der Funktionalen Methode nach Gisela Rohmert (auch bekannt als Lichtenberger Methode).
In der Funktionalen Methode nach Gisela Rohmert wird eine Selbstorganisation der Stimme in Richtung einer „funktionalen Phonation“ – also einer nicht stimmschädigenden Phonation – über das bewusste Hören auf bestimmte Obertongruppen und auf das Stimmvibrato erzielt. Dies führt über neurologische Wege zu einer Verbesserung der Feinmotorik im gesamten Körper – und damit zu einer Verbesserung der Stimme. Die Funktionale Methode wurde von Uta Feuerstein im Jahr 2000 in dem Buch „Stimmig sein. Die Selbstorganisation der Stimme in Gesang und Stimmtherapie“ umfassend beschrieben und erstmals auf die Therapie von Stimmstörungen übertragen.
Die Erweiterung dieses Ansatzes wurde aus Sicht von Dipl.-Psychologin Uta Himmelmann und Dipl.-Sprachheilpädagogin und Gesangspädagogin Uta Feuerstein notwendig, da das Gelingen einer funktionalen Selbstorganisation der Stimme über das Hören ihre Grenzen hat, wenn Menschen sich emotional bedroht fühlen. Denn die körperliche Schutzfunktion des Kehlkopfs (welche im Wesentlichen mit der Schluckfunktion gleichzusetzen ist) wird auch bei psychisch empfundener Gefahr aktiv, so dass in solchen Fällen eine funktionale Phonation be- oder sogar verhindert wird. Dementsprechend bietet die Stimmig-sein-Methode® nicht nur funktionale sondern auch psychointegrale Herangehensweisen.
Stimme und Emotionsausdruck
Dass Stimme und Psyche eine Einheit bilden, weil über die Stimme Emotionen ausgedrückt werden, ist auch eine alte Volksweisheit. In vielen Redewendungen zeigen sich unsere Erfahrungen, wie sich Emotionen stimmlich ausdrücken. Man spricht zum Beispiel von „Stimmungen“, wenn man Gefühlsschwankungen meint. Oder man sagt, wenn man etwas tut, was nicht zu einem passt, dass man nicht mit sich selbst im „Einklang“ sei. Man erkennt über die Stimme auch, ob etwas gerade für einen selbst „stimmig“ ist oder ob es unstimmig ist bzw. einfach nicht „stimmt“. Wenn Menschen sich uns gegenüber grobe Unverschämtheiten erlauben, so „verschlägt es einem die Sprache“. Man kriegt bei Angst einen „Kloß im Hals“ bzw. etwas „schnürt einem die Kehle zu“ oder man sagt „ich habe einen Hals“, wenn man wütend ist.
Doch nicht nur im Sprachgebrauch wird deutlich, dass über die Stimme Emotionen ausgedrückt werden, sondern dies wurde auch in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellt. So hat Scherer (1986, S.144) in einer Metaanalyse für 28 Beurteilungsstudien eine durchschnittliche Trefferquote von 60 Prozent für das Erkennen von Emotionen anhand des Stimmklangs ermittelt, wogegen die Beurteiler durch Raten nur in durchschnittlich 12 Prozent der Fälle auf die richtige Lösung hätten kommen können. Emotionen können also insgesamt offenbar recht gut über die Stimme identifiziert werden. Dies gilt insbesondere auch für die Singstimme. So erkannten die Zuhörer in einer Untersuchung von Kotlyar und Morozov (1976) für Gesang in über 80 Prozent der Fälle Sorge, Ärger, Angst und einen neutralen Zustand an der Singstimme.
Dass es Zusammenhänge zwischen Emotionen und Stimmausdruck gibt, ist also unbestritten.
Wie sind diese Zusammenhänge nun zu erklären?
Die Ursprache des Kehlkopfs rührt aus unserer Sicht von einer Abhängigkeit der Phonation von der primären Schutzfunktion des Kehlkopfs her.
Die Auswirkungen der Schutzfunktion des Kehlkopfs auf die emotionale Wahrnehmung der Stimme
Die primäre Schutzfunktion ist für das körperliche Überleben verantwortlich, denn der Kehlkopf ist in seiner Primärfunktion nicht nur als Kommunikationsorgan angelegt, sondern er ist in erster Linie dazu da, die konträren Funktionen der Nahrungsaufnahme und der Respiration (Atmung) miteinander zu koordinieren. Dies wird nötig, da Speise und Sauerstoff denselben Weg durch den Rachen nehmen und erst auf der Höhe des Kehlkopfs in die zwei verschiedene Röhren – in die Speiseröhre und in die Luftröhre – gelenkt werden. Diese Primärfunktion ist überlebenswichtig: denn das Verschlucken von Speisen oder Flüssigkeiten (oder Gegenständen) hätte ein Ersticken zur Folge.
Die Schutzfunktion und die Phonationsfunktion weisen sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede auf. So ist zum Beispiel für beide Funktionen eine Schließung der Stimmlippen notwendig. Bei der Phonation ist dies notwendig, damit die ausströmende Atemluft am Ventil der geschlossenen Stimmlippen in Schwingung versetzt werden kann. Bei der Schutzfunktion, die wir beispielsweise beim Schlucken erleben, ist der Verschlussmechanismus ebenfalls notwendig, aber noch sehr viel rigider als bei der Phonation. Denn hier kontrahiert zusätzlich auch die Rachenringmuskulatur, der Kehlkopf wird hochgezogen, damit sich auch der Kehldeckel schützend über den Kehlkopf legen kann, und es können zahlreiche Hilfsspannungsketten, die auch in die Zungenmuskulatur und die mimische Muskulatur hineinreichen, beteiligt sein. Auch das Gaumensegel wird hochgezogen, um ein Eindringen von Fremdkörpern in den Nasenraum zu verhindern.
Die Schutzstimme
Trifft man diese weitergehenden Verschließmechanismen der Schutzfunktion in der Phonation an, und sei es auch nur abgeschwächt, so klingen diese Stimmen eng, gequält, erstickt und resonanzarm, da die Verschließung hier sehr viel radikaler ist, und ein Resonieren der Obertöne im Ansatzrohr nur noch eingeschränkt möglich ist. Interessant ist, dass diese engen Stimmklänge nicht nur bei physischer Bedrohung durch Verschlucken auftreten, sondern dass man solche Stimmen auch dann hört, wenn sich jemand psychisch bedroht fühlt. Auch Menschen, die sich bedroht fühlen und die sich zwar schützen, indem sie quasi kommunikativ „dicht“ machen, die sich aber gleichzeitig nicht aktiv wehren können, entwickeln (wenn sie ihre Probleme auf lange Sicht nicht lösen können) eine Form der hyperfunktionellen Stimmstörung, bei der die Stimme eng ist, es aber kaum einen Atemdruck gibt. Wir nennen diese Form der Stimmgebung auch „passive Schutzfunktion“, da diese Menschen zwar über ihren Stimmklang Unwillen mit der Situation ausdrücken, aber wenig zur Wiederherstellung ihres Sicherheitsgefühls und Wohlbefindens unternehmen. Häufig nimmt man bei diesem Menschen, die sich in einer Art dauerhafter Haltung unterdrückten Ärgers befinden, in der Anamnese sogar kaum eine Atembewegung wahr. Dies führt dazu, dass die Stimme trotz der stark knarrenden Anteile eher leise bleibt. Dennoch kann man eine unterdrückte Aggression aus diesen knarrenden Stimmen gut heraushören und kann sich denken, dass dieser angestaute Ärger irgendwann hervorbrechen wird. Dies wäre dann bei der von uns so bezeichneten „Abwehrstimme“ der Fall.
Die Abwehrstimme
Bei der Abwehrstimme kommt zu der starken medialen Kompression ein erhöhter subglottischer Luftdruck hinzu.
Dieser Luftdruck wird auch bei der körperlichen Schutzfunktion benötigt – und zwar immer dann, wenn bereits etwas „in den falschen Hals geraten“ ist. Mit einem Husten muss dies wieder hinaus transportiert werden, indem man zunächst den Kehlkopf sehr stark schließt, um einen starken subglottischen Luftdruck darunter aufbauen zu können, und man schließlich die Luft zusammen mit der verschluckten Speise oder der Flüssigkeit durch eine kräftige Kontraktion der expiratorischen Muskulatur wie z.B. der Bauchdecke und des Beckenbodens wieder hinaus befördert. Diese Mechanismen gehen über die rein passive Schutzfunktion durch Verschließung des Kehlkopfs hinaus – weshalb wir sie als „Abwehrfunktion“ oder als „aktive Schutzfunktion“ bezeichnen. Man benötigt diese Abwehrmechanismen auch beispielsweise zur körperlichen Selbstverteidigung. Denn wenn man Bewegungen vom Körper weg ausführen will, also etwa Aktionen wie Schlagen und Treten, muss man einen starken subglottischen Druck aufbauen, um den Brustkorb zu stabilisieren . Aufgrund dieses starken Luftdrucks treiben auch die Taschenfalten durch ihre nach unten gewölbte Form aufeinander zu, so dass sich die Luft hier zusätzlich anstaut. Dies regt die Taschenfalten zum passiven Mitschwingen an, was der Stimme einen zusätzlichen knarrenden Beiklang verleiht.
Die Ohnmachtsstimme
Bei den bisher beschriebenen Stimmtypisierungen befinden sich die Stimmlippen in der Hyperfunktion. Bei der Hypofunktionellen Stimmgebung und der hypofunktionellen Form der Aphonie hingegen werden die Stimmlippen nicht oder nicht komplett geschlossen, so dass der Klang verhaucht oder sogar stimmlos wird. Auf der physiologischen Ebene liegt hier also eine Schwächung oder eine außer Kraft gesetzte Schutzfunktion vor, weshalb wir – wenn hier nicht eine reinkörperliche Schwächung oder Lähmung der Stimmbänder vorliegt – auf psychischer Ebene von einem Gefühl der Ohnmacht oder der Resignation, also eines Gefühls, sich nicht (mehr) adäquat schützen zu können, ausgehen. Wenn man jemanden mit resignierter Stimme sagen hört: „da kann man nichts machen“ ist der Stimmklang meist nicht klar oder laut, sondern verhaucht, fast tonlos und monoton. Die Hypotonie zeigt sich oft nicht nur in der Schließkraft der Stimmlippen, sondern auch in der mangelnden Tiefe der Atembewegungen und in einem insgesamt erschlafften Körpertonus. Das Gaumensegel, welches ebenfalls in der Schutzfunktion innerviert wird, ist bei der Ohnmachtsstimme ebenfalls erschlafft, so dass man bei starken hypofunktionellen Stimmstörungen auch häufig ein offenes Näseln vorfindet. Eine Ohnmachtsstimme zeigt an, dass diese Person jeden Widerstand für zwecklos hält, dass sie auch körperlich dem „Feind Tür und Tor offen stehen lässt“. Aufgrund des mangelnden Glottiswiderstandes wird diese Person bei der Phonation sehr kurzatmig sein, da die bereitgestellte Luft im Nu entweicht, was dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass man bei Menschen, die eher resigniert an etwas herangehen, sagt, dass sie „keinen langen Atem“ hätten oder dass bei ihnen „die Luft raus ist“.
Die Stimme der Eigenmacht bzw. Selbstbestimmung
Bisher wurde die Auswirkung der Schutzfunktion auf die Stimmgebung beschrieben. Auf der einen Seite steht die schutzlose, verhauchte Ohnmachtsstimme. Auf der anderen Seite steht die aggressive, gepresste und laute Abwehrstimme. Zwischen Ohnmacht auf der einen Seite und „Übermacht“ auf der anderen Seite liegt ein Zustand, der in der Stimmig sein – Methode® als „Eigenmacht“ bezeichnet wird. Eigenmacht wird von uns definiert als eine Haltung, in der wir souverän unsere Selbstbestimmungsrechte, die sich an den allgemein vereinbarten Menschenrechten orientieren und jedem Menschen grundsätzlich zustehen, einnehmen können. Fühlt man sich in einem Gefühl von Sicherheit über diese „Eigenmachtsrechte“, so tritt man Forderungen, diese Rechte aufzugeben, mit Gelassenheit entgegen und ist bereit und fähig, diese selbstverständlich und selbstbestimmt zu vertreten. Sollten sich die eigenen Bedürfnisse im Einzelfall mit den berechtigten Bedürfnissen anderer Menschen widersprechen, so ist man im Zustand der Eigenmacht in der Lage, seine eigenen Bedürfnisse mit den Eigenmachtsrechten anderer abzuwägen, und Kompromisse zu finden, ohne das grundsätzliche Gefühl für das Vorhandensein seiner eigenen Rechte zu verlieren. Wie wirkt sich diese Haltung der Eigenmacht oder anders ausgedrückt – der Gelassenheit bzw. Selbstbestimmung – auf die Phonationsfunktion aus? Die Schließfunktion der Stimmlippen ist zwar aktiv, da man selbstverständlich und ohne viel stimmlichen Aufwand eine Grenzverletzung ansprechen und beenden würde, aber die an der körperlichen Schutzfunktion beteiligten Muskeln wie Rachenringmuskulatur, Taschenfalten usw. werden nicht hinzugezogen, da man die Gefahr einer Eigenmachtsverletzung als nicht so hoch einstuft bzw. sich sicher über seine Fähigkeit ist, eine solche Verletzung zu beenden. Der Stimmeinsatz ist weich, was unter anderem auch eine Beweglichkeit der Randkanten der Stimmlippen zur Folge hat, wodurch sich der Obertonreichtum verstärkt. Auch der innere Stimmlippenmuskel (m. vocalis) kann, da er nicht durch einen zu starken Stimmlippenschluss eingeklemmt wird, viel besser kontrahieren und mitschwingen und damit zu einem großen, unangestrengten Stimmvolumen beitragen, was auch eine Absenkung der Stimmlage bewirkt, so dass man selbstsicherer wirkt. Durch die Abwesenheit von Fehlspannungen können auch die Resonanzräume optimal genutzt werden und durch den guten Stimmlippenschluss entsteht auch ein funktionales Stimmvibrato.
Bei der Haltung der „Eigenmacht“, also der Fähigkeit, sich gut um seine Bedürfnisse kümmern zu können, zeigen sich wieder Übereinstimmungen mit den vielen Redewendungen, die das Zusammenspiel von Stimme und Psyche beschreiben. Denn wenn man sich selbstbestimmt und authentisch fühlt und verhält, wird man auch als „stimmig“ bezeichnet, was daher auch zur Namensgebung der Methode führte, da im psychointegralen Anteil der Stimmig sein-Methode® daran gearbeitet wird, über das Heraushören von Emotionen aus dem Klang und durch das Heranführen an die „Eigenmacht“ der KlientInnen, einen „stimmigen“, das heißt funktionalen, Klang herzustellen.
Die Selbstorganisation der Stimme
Der Selbstorganisationsgedanke von Systemen in der Stimmig sein-Methode® basiert auf der Synergetik, die ihr Gründer, Hermann Haken (1990) auch als „die Lehre vom Zusammenwirken“ bezeichnet. Hier wird anschaulich dargestellt, dass man die Ordnung eines Systems nicht durch Manipulationen im Detail erreichen kann, sondern dass sich lebende Systeme abhängig von den Randbedingungen als Ganzes selbst organisieren. Dies gilt auch für die Stimmfunktion.
Denn an der Stimmgebung sind ca. 100 Muskeln beteiligt, von denen viele unwillkürlich gesteuert werden. Jeder Versuch, die Stimme gezielt steuern zu wollen, indem man jeden einzelnen Muskel effizient einsetzt, müsste aufgrund der Komplexität der Aufgabe scheitern. Dennoch funktioniert bei vielen Menschen die Phonation ohne Probleme – und ohne weiteres Darüber-Nachdenken. Es gibt also Mechanismen, über die sich die Stimme selbst organisiert. In der Synergetik werden sogenannte „Ordner“ beschrieben, welche für die Selbstorganisation von Systemen verantwortlich sind. Diese „Ordner“ gibt es auch bei der Stimmgebung und Sie können stimmpädagogisch bzw. stimmtherapeutisch angeregt werden.
Die Funktionale Selbstorganisation über das Hören
Die Selbstorganisation der Stimme ist unter anderem über eine spezielle Verbesserung der Hörwahrnehmung im Bereich eines bei allen Menschen im Ohr vorhandenen angeborenen „Klangcodes“ von Vibrato und Gesangsformanten (im Obertonspektrum sich in der Lautstärke abhebende Obertongruppen um 3000, 5000 und 8000 Hz) möglich. Denn das Hören von Gesangsformanten und das Hören eines funktionalen Vibratos hat sehr positive Auswirkungen auf das Gamma-Nerven-System, welches für die feinmotorische Steuerung (den Eutonus) zuständig ist.
Wie ist dies zu erklären?
Das Ohr ist aufgrund spezieller anatomischer Gegebenheiten darauf ausgerichtet, hohe Frequenzen zu verstärken und tiefe Frequenzen abzuschwächen. Insbesondere verstärken sich die Frequenzen um 3000, 5000 und 8000 Hz, da diese im Ohr lauter weitergeleitet werden als andere gleich laut eintreffende Frequenzen.
Alle Sinneseindrücke laufen im Stammhirn in der Formatio reticularis (FR) zusammen. Die FR ist das Aufmerksamkeits- und Wachheitszentrum des Menschen. Die FR wird vom Hörsinn stärker erregt als von anderen Sinneseindrücken. Das Hören von hohen Frequenzen führt generell zu einer starken Belebung der kortikalen Aktivitäten, was sich im EEG zeigt . Hört man die Gesangsformantenfrequenzen, erhöht sich diese Innervierung der FR nochmals drastisch, da diese Frequenzen gleichzeitig lauter im Gehirn eintreffen als andere (hohe) Frequenzen. Darüber hinaus wird auch das Vibrato in der FR verarbeitet. Zwar liefert es nicht die gleiche Anregung der FR wie das Hören hoher Frequenzen, dafür regt es aber auch zusätzlich unmittelbar das GNS an. Zwei Ordner für die Stimme sind also Gesangsformanten und das Vibrato (um 6 Hz).
Die FR leitet ihre Wachheit unter anderem an das Gamma-Nerven-System (GNS) weiter, welches für den Muskeltonus (Spannungsgrad der Muskeln) zuständig ist.
Durch eine verbesserte Arbeit bzw. Aktivierung des GNS werden die Muskelaktivitäten feiner abgestimmt. In der Folge organisieren sich alle an der Phonation beteiligten Muskelaktivitäten von selbst, da der Stimmklang sich immer mehr in Richtung des Vorhandenseins von Gesangsformanten und funktionalem Vibrato entwickelt, und die Wahrnehmung dieses Stimmklangs dann wiederum die Arbeit der FR und des GNS verbessert usw.
In der Funktionalen Arbeit der Stimmig-sein-Methode® wird daher daran gearbeitet, zunächst dysfunktionale Spannungen abzubauen, die der Bildung von Gesangsformanten und Vibrato im Wege stehen um dann in einer Hörwahrnehmungsschulung gezielt die Integration von Gesangsformanten und Vibrato in den Stimmklang zu fördern, so dass über diese die Selbstorganisation der Stimme eingeleitet wird.
Die psychische Selbstorganisation der Stimme
Wie bereits im bisherigen Artikel verdeutlicht wurde, entspricht eine Stimme im Zustand der „Eigenmacht“ einer funktionalen Stimme, da die Stimmlippen optimal schließen, der Tonus aktiv, aber nicht überaktiv ist und sich so auch die Resonanzräume ideal anschließen können usw. Neben den bereits bekannten Ordnern, Gesangsformaten und Vibrato, kommt also auf der psychischen Ebene die „Eigenmacht“ als Ordner hinzu.
Das bedeutet, dass es das Ziel der psychointegralen Arbeit in der Stimmig-sein-Methode® ist, die Eigenmacht wiederherzustellen, damit die Person stimmig handelt und gleichzeitig eine funktionale Stimme bekommt.
Dazu wird neben Gesprächstechniken, die die Eigenmacht aktivieren sollen, insbesondere der Zugang der KlientInnen über ihre Stimme zu ihren Emotionen genutzt, um herauszufinden, welche Emotionen die KlientIn hat, da sich oft die kognitive Wahrnehmung der KlientIn von der emotionalen abgetrennt hat. Im sogenannten „Klangstellen“ kann dann herausgefunden werden, welche Handlungsalternativen für die KlientIn stimmig sind, das heißt, bei welcher Handlungsalternative die Stimme im Eutonus, also mit dem stimmlichen Ausdruck der Eigenmacht reagiert. So ist in der Stimmig-sein-Methode® ein Ansatz entstanden, in der parallel sowohl stimmlich als auch psychisch an der Stimmigkeit der Person gearbeitet wird.
Die Stimmig-sein-Methode® wird daher nicht nur in der Stimmtherapie, in Gesangsunterricht und in der Sprechstimmbildung eingesetzt, sondern ist auch eine gute Methode für die psychologische Beratung.
WICHTIGE PRINZIPIEN DER STIMMIG-SEIN-METHODE®:
Eigenmachtsorientiertheit:
Die KlientIn bestimmt im Prozess grundlegend, wo es für sie lang geht, denn die Eigenmacht ist wesentlich für das Menschenbild der Stimmig-sein-Methode®. Die LehrerIn/ TherapeutIn begleitet und stellt ihr Fachwissen zur Verfügung. Das durch die Stimme ausgedrückte Schutzbedürfnis wird nicht abgewertet, sondern als eine wichtige Möglichkeit der KlientIn angesehen. Daraus leitet sich eine Arbeit ab, die über das „Warnsignal Stimme“ die Fähigkeit schult, sich adäquat und situationsbezogen schützen zu können, was zu mehr Eigenmacht führt. Es werden allerdings auch Eigenmachtsverletzungen anderer, welche von der KlientIn selbst ausgehen und verantwortet werden müssen, angesprochen. Die Stimmig-sein-Methode® versteht sich als Begleitung zu stimmlicher und psychischer Eigenmacht, nicht zur Anleitung zur Macht über andere.
Selbstverantwortlichkeitsprinzip: Die KlientIn lernt in der Stimmtherapie mehr und mehr für ihre eigenen Bedürfnisse einzutreten. Im therapeutischen Prozess wird auf die Einhaltung der Grenzen der KlientIn geachtet. Damit wird die TherapeutIn jedoch nicht zu einem Elternteil, sondern zur akzeptierenden und unterstützenden BegleiterIn, die selbstverständlich auch das Recht auf eigene Grenzen hat, wie zum Beispiel auf notwendige Rahmenbedingungen der Therapie wie Bezahlung oder höflicher Umgang usw. Der Kontakt hat damit das Selbstverständnis von zwei gleichberechtigten, erwachsenen Menschen.
Ressourcenorientiertheit:
Nicht so sehr die „Defizite“ sind bei der gemeinsamen Arbeit wesentlich, sondern das, was eine Person an Stärken mitbringt, so z.B. die Helligkeit in einer Heiserkeit, die Wurzeln des Vibratos in einer unsicher schwankenden Stimme, die Fähigkeit, sich zu schützen bei einer hyperfunktionellen Dysphonie. Auch geht es darum, der KlientIn den Blickwinkel auf die eigenen Stärken zu schärfen, um das Eigenmachtsempfinden zu erhöhen.
Gegenwartsorientiertheit:
„Wie wirkt sich die Vergangenheit heute aus und wie kann ich heute mehr Eigenmacht gewinnen? Oder habe evtl. schon mehr Eigenmacht als früher?“ Solche Fragen helfen mehr als das Aufwühlen von alten Kindheitswunden, sofern dies keine konkreten positiven Auswirkungen auf die Gegenwart hat. Über die Wiedergewinnung von Eigenmacht im heutigen Leben besteht die Möglichkeit, von alten Verletzungen zu heilen. Das bedeutet aber nicht, dass die Auswirkungen der Vergangenheit und die heutigen Gefühle dazu deshalb verleugnet oder abgewertet würden.
Selbstorganisation statt Manipulation: Die Stimme zu manipulieren bedeutet sie zu stören, weil einseitig in das sehr komplexe Stimmgeschehen eingegriffen wird. Durch die Selbstorganisation der Stimme werden sehr viel höhere Stimmleistungen erzielt.
Literaturangaben:
-Burchard, J. M.; Irrgang, E.; Andresen, B.: Die Funktion der menschlichen Ohrmuschel. In: Spektum der Wissenschaft. Juni 1987, S. 66 – 74
-Kotlyar, G.M.; Morozov, V.P. (1976): Acoustical correlates of the emotional content of vocalized speech. In: Soviet Physics Acoustics, 22, 208 – 211
-Scherer, K.R. (1986): Vocal affect expression: A review and a model for future research. In: Psychological bulletin 99, 143 – 156.
-Feuerstein, Uta (2000): Stimmig sein. Die Selbstorganisation der Stimme in Gesang und Stimmtherapie. Paderborn, Verlag: Junfermann.
-Feuerstein, U., Himmelmann, U. (2008): Stimme als Brücke von Mensch zu Mensch. Erkenntnisse zum kulturübergreifenden emotionalen Ausdrucksgehalt der Stimme in der Stimmig sein-Methode®. In: Riehmann, Ch., Dallmeier, M (Hrsg.), Sprache als Brücke von Mensch zu Mensch. Handeln – Sprechen – Schreiben, S. 66-78. Cottbus: Verlag Reinhard Semmler GmbH.
-Haken, Hermann (1990): Erfolgsgeheimnisse der Natur. Synergetik: die Lehre vom Zusammenwirken. Frankfurt/ M., Berlin, Verlag Ullstein.
-Jacoby, P., Rabine, E. (1991): Die drei Teilfunktionen der Stimmfunktion. In Rohmert, W., Hg.: (1991): Grundzüge des funktionalen Stimmtrainings. 6. unveränderte Auflage, Köln, Verlag: O. Schmidt.
-Rohmert, Gisela (1991): Der Sänger auf dem Weg zum Klang. Köln, Verlag: O. Schmidt.
-Lehnhardt, E.: Physiologie der Schalleitung einschließlich Ohrtrompete. In: Hals- Nasen- Ohrenheilkunde in Praxis und Klinik. 1979
-Tomatis, A. A.: Der Klang des Lebens. Vorgeburtliche Kommunikation – die Anfänge der seelischen Entwicklung. Deutsch von Heiner Kober, Einführung und Bearbeitung Sabina Manassi, Institut für Audio- Psycho- Phonologie, Zürich, Hamburg 1990 (Original 1981, Paris, unter dem Titel „La Nuit uterine“)
Weitere Informationen zum Stimmig-sein-Institut:
www.stimmigsein.de
Das Stimmig-sein-Institut für Gesang, Sprechstimme & Psyche bietet Gesangs- und Sprechstimmunterricht sowie psychologische Beratungen an.
Fachliche Leiterinnen sind Dipl.-Sprachheilpädagogin und Sängerin Uta Feuerstein und Dipl.-Psychologin Uta Himmelmann.
Außerdem ist es ein Fortbildungsinstitut für Weiterbildungen in der Stimmig-sein-Methode, welche sowohl neueste funktionale Stimmerkenntnisse als auch psychologisches Fachwissen rund um das Thema Stimme vereint.
Die Arbeit rein mit der Stimme – also Gesangsunterricht, Stimmbildung und Stimmtherapie wird von Uta Feuerstein durchgeführt.
Psychointegrale Stimmbildungsstunden bieten beide Fachkräfte an.
Die rein psychologischen Beratungen – ohne Bezug zur Stimme – werden rein von Dipl.-Psycholgoin Uta Himmelmann durchgeführt. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Beratung von Paaren und Einzelnen in Umbruchsituationen.
Kontakt
Stimmig-sein-Institut für Gesang, Sprechstimme & Psyche
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