Der BVL (Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V.) macht auf einen gravierenden Missstand im Umgang mit Nachteilsausgleichen aufmerksam, der dazu führt, dass Deutschland einen Fachkräftemangel beklagt.
In vielen Schulen und Hochschulen finden in den Sommermonaten die Abschlussprüfungen statt. Für Menschen mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie bedeutet das, von der Willkür der Klassenkonferenzen und Prüfungskommissionen abhängig zu sein. Liegt die medizinische Diagnose einer Lese-Rechtschreibstörung und/oder Rechenstörung vor, besteht ein Rechtsanspruch auf einen individuellen Nachteilsausgleich. Der Nachteilsausgleich muss dabei so gestaltet werden, dass die vorliegende Beeinträchtigung bestmöglich kompensiert wird. So sieht es auch die Rechtsprechung. „Leider erleben wir in der Praxis ein komplett unterschiedliches Bild. Vielen Schüler*innen, Auszubildenden und Studierenden wird entweder kein Nachteilsausgleich oder ein nicht wirksamer Nachteilsausgleich gewährt. Die Folge davon ist, dass sie im schlimmsten Fall ohne Abschluss dastehen“, beklagt Tanja Scherle, Bundesvorsitzende des BVL.
Legasthenie und Dyskalkulie stellen keine Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten und fachlichen Kompetenzen dar. Nur die technischen Fertigkeiten des Lesens, Rechtschreibens und/oder Rechnens sind eingeschränkt. Diese Probleme lassen sich heute gut mit technischen Hilfsmitteln kompensieren. „Menschen mit einer Sehschwäche können diese mit einer Brille ausgleichen und niemand würde einem Brillenträger seine fachliche Kompetenz absprechen“, sagt Scherle. „Menschen mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie sieht man ihre Beeinträchtigung nicht an und unterschätzt ihre Fähigkeiten. Die Diskriminierung, die Menschen mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie noch immer erfahren, führt dazu, dass sie ihre Potenziale nicht entfalten können und dem Arbeitsmarkt somit gut qualifizierte Mitarbeiter verloren gehen,“ bedauert Scherle.
Insbesondere Menschen mit einer Dyskalkulie werden daran gehindert, eine gut qualifizierte Ausbildung zu absolvieren, da viele Schulen und Hochschulen einen Nachteilsausgleich verweigern. Noch weniger nachvollziehbar ist es, wenn man Schülern mit einer Rechtschreibstörung einen Zeitzuschlag bei Prüfungen gibt, damit sie mehr Zeit haben, ihre Fehler zu korrigieren. Das ist vergleichbar mit der Situation, einem Schüler mit einer Sehschwäche das Tragen der Brille zu untersagen, weil die anderen Schüler auch keine Brille tragen. „Unser Bildungssystem verspricht unseren Schüler*innen eine Chancengleichheit. Leider erfahren die meisten Menschen mit einer Legasthenie und Dyskalkulie eine massive Diskriminierung“, so Scherle. „Erst gestern hatte ich einen Anruf von einer Mutter mit einem 12-jährigen Sohn, der die Begabung für den Besuch eines Gymnasiums hat, aber auf der Realschule ist, da er aufgrund seiner Legasthenie keine Gymnasialempfehlung bekommen hat. Da ihm die Realschule keinen Nachteilsausgleich in Deutsch und Englisch gewährt, soll er jetzt aufgrund der schlechten Noten zur Hauptschule querversetzt werden. Das ist in unserer Beratungspraxis kein Einzelfall“, beklagt Tanja Scherle.
Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie fordert alle Verantwortlichen in Bildung und Politik auf, sich endlich ihrer Verantwortung zu stellen und dafür Sorge zu tragen, anforderungsgerechte Nachteilsausgleiche zu ermöglichen. Andere europäische Länder sind uns deutlich voraus und unterstützen Menschen mit einer Legasthenie und Dyskalkulie tatkräftig. Ein Nachteilsausgleich bedeutet keine Bevorzugung der betroffenen Menschen, sondern nur die Herstellung einer Chancengleichheit.
Weitere Informationen zum Thema Legasthenie und Dyskalkulie sind im Internet unter http://www.bvl-legasthenie.de abrufbar.
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Über den Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V.:
Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. besteht seit über 45 Jahren und ist eine Interessenvertretung von Betroffenen und deren Eltern sowie von Fachleuten (Pädagogen, Psychologen, Ärzten, Wissenschaftlern und im sozialen Bereich Tätigen), die sich in Theorie und Praxis mit der Legasthenie und Dyskalkulie auseinandersetzen. Er trägt dazu bei, dass gesetzliche Grundlagen und wissenschaftliche sowie praktische Möglichkeiten der Hilfe in allen Bundesländern geschaffen und verbessert werden. Durch persönliche Beratung, Informationsschriften und Hinweise auf geeignete Literatur sollen die Eltern die Schwierigkeiten ihrer betroffenen Kinder besser verstehen lernen.
Der BVL fördert durch wissenschaftliche Kongresse und Veröffentlichungen die Forschung und den wissenschaftlichen Dialog unter Fachleuten aller beteiligten Disziplinen. Durch Informationen und Zusammenarbeit mit den Medien macht der BVL die Probleme von Menschen mit Legasthenie und Dyskalkulie bekannt.
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