Awards und Preise locken die Werber. Aber nicht alles, was an den Tafelrunden der Kreativgemeinde Gold gewinnt, glänzt auch. Und nicht einmal die Siegerkampagnen schaffen es, Frösche wach zu küssen.
Der russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow experimentierte vor hundert Jahren mit Hunden, denen er Futter zeigte, was er vorher durch Klingeln an einer Glocke ankündigte. Nach wenigen Versuchen lief den Hunden schon das Wasser aus dem Maul, sobald die Glocke läutete. Sie verknüpften diese Töne mit dem Futter. Das war die wissenschaftliche Begründung eines alten Geheimnisses: dem des Belohnungssystems.
Böse Zungen behaupten, heute hätte Pawlow sein Experiment genau so gut mit Werbern und Kreativpreisen machen können. Denn längst stimmt nicht mehr, was der Schriftsteller Raymond Chandler einst vermutete – dass Schachspieler und Werber die Gemeinsamkeit hätten, ihr Talent sinnlos zu vergeuden. Richtig scheint eher, was der St. Galler Kommunikationswissenschaftler Peter Glotz in einer seiner letzten Kolumnen für die Schweizer Werbewoche orakelte “…dass es im Metamarkt der Kommunikation immer zwei gibt, die sich gut verkaufen wollen: Die Produkte und ihre Hersteller. Und die Werber, die Emotionalisieret, die sich häufig vom Interesse ihrer Kunden lösen und l’art pour l’art machen, um Kreativpreise zu gewinnen …” (Womit Glotz sinngemäss unterstellt, dass die Werber diejenigen sind, die sich den Bären unter den Nagel reissen, den sie vorher den Unternehmen aufgebunden haben).
Gold und Silber: Kreativpreise wecken Begehrlichkeiten
>> Der Run auf die knapp 50 weltweit wichtigen und insgesamt über 300 Wettbewerbe ist auf jeden Fall ein Phänomen. Als Lourdes der Kreativen ist Cannes nicht nur eine Stadt an der Côte d’Azur, sondern ein Wallfahrtsort. Von ADC-Würfeln in Carrara-Marmor über Cannes Lions, Effie, Venus, CLIO Epica-Pyramiden und Excellence-Awards bis zu kaukasischen Werbebären – die Anziehungskraft der Kreativpreise scheint magisch. Die Kampagneros honorieren das, indem sie sich die Teilnahme an den Wettbewerben der Eitelkeit viel kosten lassen. Die Wettbewerbsausrichter machen keinen Hehl mehr aus der angestrebten Gewinnmaximierung, zumal sie in vielen Fällen Teil des Konzepts ist. Und die Auftraggeber spekulieren darauf, dass nach dem Ruhm auch ihre Rechnung aufgeht.
Selbst wem Goldene Löwen und Nägel zu hoch hängen, muss heute nicht mehr drängeln, um eine Trophäe zu ergattern. Denn seit dem Online-Zeitalter hat sich die Zahl der Preise und Kategorien inflationär entwickelt. Und alle sind mit im Boot: Nicht einmal Österreichs Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft lässt es sich nehmen, die Kreativen der Alpenrepublik jedes Jahr mit einem Staatspreis für Werbung zu adeln.
Während der B2B-Marketing-Award mit “Be Bold, Be Brillant. Be the Best” nach New Orleans lockt und selbst der Europäische Fussball Verband UEFA Marketing Awards ausschreibt, winden auch vermeintliche Werbeprovinzen wie Aachen, Mannheim, Leipzig, Dresden etc. ihren kreativen Platzhirschen güldene Kränzchen. Im Internet finden sich Unternehmensberatungen, die gegen Entgelt analysieren, welche Marketingmassnahmen das Zeug für einen Award haben. Und die sich anbieten, den Agenturen mit einer Gewinnstrategie auf die Sprünge zu helfen, die nicht von Michelangelos Finger gestupst sind.
Werber im Spagat zwischen Kreativität und Effizienz
Seit die Kampagnen nicht mehr per se mit Preisen überhäuft werden, ohne dass auch nur der geringste Nachweis für Verkaufserfolge erbracht wurde, sind die Kritiker der Kreativpreise stiller geworden. Natürlich muss sich die verdutzte Öffentlichkeit immer noch mit dem Phänomen auseinandersetzen, dass sich die Zahl der Agenturen, die Kreativpreise sammeln wie notorische Falschparker Strafzettel, auf ein halbes Dutzend beschränkt.
Andererseits haben die Werber den Spagat zwischen Effizienz und Kreativität vollzogen. Denn mit dem Internet hat Kreativität den Anspruch aufgegeben, den Menschen nur Schmetterlinge in den Bauch zu zaubern und alleiniger Massstab der Werbung zu sein. Werber sind weder Soziologen noch Literaten, weder Philosophen noch Religionsstifter. Und was sie tun, eignet sich kaum zum Vehikel für ideologische oder künstlerische Sentenzen.
Aber während die meisten Kreativen die Heiligenscheine abgelegt und ihre Lektion gelernt haben, werden die immer lauter, die glauben, Effizienz sei unter Ausschaltung jeglicher Kreativität möglich – auf direktem Wege. Solche Ansichten fallen auf fruchtbaren Boden, seit sich die Wirtschaft nicht mehr mit klassischen Werbezielen zufrieden gibt und die Input-Output-Relationen optimiert. Seit die Zahl der Marketingvorstände in den Unternehmen abgenommen hat und der Vertrieb alles dominiert. Und seit das Marketing dazu degradiert ist, in erster Linie den Abverkauf zu unterstützen.
Effizienz pur: Die Aldisierung der Werbung
>> Effizienz ist nicht der einzige Massstab, an dem sich Werbung zu messen hat. Das haben schon Heribert Meffert an der HHL und Heinz Weinhold an der Universität St. Gallen zum Thema Käufermarkt gepredigt. Aber offenbar hat ihnen kein Mensch zugehört: Weil der klassische Werbeablauf im digitalen Tempodrom nicht mehr funktioniert, setzen immer mehr Unternehmen auf kurzfristige Verkaufsmassnahmen, um ihre Ware in den Markt zu drücken. Und die Aufgabe der Marketer beschränkt sich darauf, bunte Pappen für den Point of Sales zu liefern, das Suchmaschinenmarketing zu optimieren und über Algorithmen zu sinnieren.
Von marktorientierter Unternehmensführung kann da kaum die Rede sein. Und das System der Kurzfristigkeit fördert nicht nur den ökonomischen Opportunismus, sondern spült auch die falschen Leute an die Spitze. Wenn Marketing und Werbung aber nur noch eine Sache von Vertriebsleuten und Agentur-Controllern statt Chefsache ist, droht die Aldisierung der Kommunikation. Keyword-Advertisig als Königsdisziplin. Mit der Konsequenz, dass Markenguthaben aufs Spiel gesetzt werden.
Unberechenbar: ZICK machen, wenn alle ZACK machen
Das ist kein Plädoyer gegen Effizienz und Messbarkeit. Aber eine Warnung davor, jede Kriechspur des Kunden in den elektronischen Medien zu verfolgen, um seine Konsumenten-DNA zu entschlüsseln und ihn als Verbraucher von Kopf bis Fuss zu vermessen.
Der unberechenbare Kunde bleibt auch in Zukunft der Alptraum der Marktforschung, weil er viele Gesichter und viele Leben hat. Und Werbung wird nie eine exakte Wissenschaft mit festen Wenn-Dann-Regeln. Im übrigen lehrt die Erfahrung, dass es nicht darauf ankommt, möglichst viele Daten über eine Person/Zielgruppe zu sammeln, sondern nur wirklich relevante Informationen. Und belegt, dass man vieles messen, aber nicht alle Resultate nutzen kann. Erst recht, weil wir nicht mehr eindimensional vorgehen können, sondern die Menschen überraschen und ZICK machen müssen, wenn alle anderen ZACK machen.
Die Geschichte von Kreativität und Effizienz erinnert stark an die Gesetzmässigkeit von Billardkugeln, die V-förmig auseinanderdriften, um sich später wiederzufinden. Wir brauchen beides. Kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Wie beim Dialogmarketing, der Leitwährung für kreative Effizienz. Denn Dialogmarketing ist nicht nur Versprechen, Geheimnis, Verführung, Mythos und der Versuch, das auszulösen, was die Griechen Heureka nannten. Sondern auch eine effiziente Leistung, die den Gesetzen des Marktes standhält. Indem sie nicht nur berührt, sondern auch mobilisiert und zu Handlungen verführt, von denen man Sekunden vorher nicht einmal geträumt hat.
Ohne Preise wäre Werbung ein anonymes Geschäft
>> Trotzdem gibt es auch handfeste Argumente für Kreativpreise. Es tut Agenturen und Unternehmen gut, sich an nationalen und internationalen Wettbewerben zu beteiligen. Die Vorteile liegen im effektiven Benchmarketing, der Mitarbeitermotivation, der Effizienzsteigerung und der eigenen Positionsbestimmung. Man weiss von Teams, die auf einen Wettbewerb hinarbeiten, dass sie hochmotiviert zu Werk gehen. Und dass durch den Vergleich mit anderen Wettbewerbern und der Analyse von Gewinnerkampagnen eine dynamische Lernkurve entsteht, von denen alle Beteiligten profitieren.
Ausserdem wäre das Business der Werbung ohne Wettbewerbe ein anonymes Geschäft. Jeder müsste glauben, dass alle nur mit Wasser kochen. Keiner könnte sehen, dass ein paar dabei sind, die Weihwasser nehmen. Und der permanente Nobody-Status gäbe keine Nahrung für Neid und Missgunst, die bösen Zungen zufolge unter Werbern die höchste Form der Anerkennung darstellen.
Schätze in der Tiefe der Nudelsuppe
Der gedankliche Dreisprung “kreativ ist gleich ausgezeichnet ist gleich effektiv” ist zu simpel und lässt sich oft genug widerlegen. Auf tönernen Füssen steht auch die Studie des britischen Agenturverbandes IPA, die allen mit Kreativpreisen ausgezeichneten Kampagnen eine elfmal höhere Effektivität attestiert.
Für die Jahrmärkte der Eitelkeiten spricht allerdings dass Kreativpreise die Wagenburgmentalität der Werbung aufsprengen. Dass sie der Werbung eine Plattform als Wirtschaftsfaktor und den Kreativen eine Lobby schaffen. Dass sie im Idealfall nicht die Anpasser honorieren,die ihren Auftraggebern so tief in den Hintern kriechen, dass sie nie mehr herauskommen. Sondern die unberechenbaren Alphaltiere, die nie cool sind, sondern immer Feuer und Flamme. Die Stars aus der zweiten Reihe. Die Neinsager, die nicht barfuss über den Bodensee laufen können, aber dafür dass Leben jenseits der Werbung nie aus den Augen verlieren. Und die wissen, welche Schätze in der Tiefe der Nudelsuppe lauern.
In “Why are you creative?” hat Deutschlands Kreativ-Guru Hermann Vask auch Wayne Wang befragt und von dem Hollywood-Regisseur (Last Holiday) eine gezeichnete Antwort erhalten: Ein im Gesäss steckendes Klistier zur Darmspülung. Verstehen wir dieses Bild als drastischen Hinweis darauf, wie schmal der Grat ist, der bei bestimmten Prozessen Scheisse und Gold trennt. Weil Werbung keine Wissenschaft ist, haftet ihr immer etwas Unvollkommenes an. Keiner weiss vorher, ob die Rechnung aufgeht Damit bleibt Werbung für alle Beteiligten die Suche nach nach der Vollkommenheit von Idee und Umsetzung. Und insofern etwas Menschliches.
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