Längerer Auslandsaufenthalt wird zum Steuerrisiko
“Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.” Ähnlich wie bei der aus den Geschichtsbüchern bekannten Absichtserklärung agiert der Gesetzgeber mit der Verschärfung des § 50i EStG ohne Rücksicht auf bestehende zwischenstaatliche Abkommen und gefährdet weite Teile der deutschen Wirtschaft.
In Unternehmen des Mittelstandes, insbesondere in Familiengesellschaften, kommt es regelmäßig vor, dass ein Gesellschafter sich über einen längeren Zeitraum im Ausland aufhält. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Der “Junior” soll im Ausland Erfahrungen sammeln und lebt daher an seinem Beschäftigungsort. Ein Mitgesellschafter kümmert sich langfristig um neue Märkte außerhalb von Deutschland. Oder ein Gesellschafter kehrt der Bundesrepublik den Rücken, um zukünftig mit seiner Familie in einem anderen Staat zu leben.
Eine solche Veränderung der Lebensumstände bleibt von dem Steuerrecht nicht unberührt. Der deutsche Fiskus stellt sich bei einem Wegzug schon seit jeher die Frage, ob ihm durch den Wegzug eines Unternehmers “Steuersubstrat” verloren geht. Im Detail geht es um die Frage, wo ein Gewinn aus der Veräußerung der Firmenanteile durch den im Ausland ansässigen Unternehmer versteuert werden muss?
Die steuerliche Beratungspraxis und die Finanzverwaltung konnten bis in das Jahr 2013 mit diesem Sachverhalt umgehen. Altbekannt waren die Regelungen zur sogenannten Wegzugbesteuerung. Diese sollte verhindern, dass vermögende Unternehmer ins Ausland umsiedeln und dann Ihre Firmenanteile ohne deutsche Besteuerung verkaufen. Bereits 1968 reagierte der Gesetzgeber auf den Wegzug des Kaufhausbesitzers Helmut Horten in die Schweiz. Mit der sogenannten “Lex Horten” ordnete der Staat eine Versteuerung der stillen Reserven an, wenn die unrealisierten Gewinne in den Firmenanteilen bei einer Veräußerung nicht weiter der deutschen Steuerpflicht unterliegen.
Die Gestaltungspraxis reagierte auf diese Vorschrift, indem die Firmenanteile vor Wegzug eines Gesellschafters in eine Personengesellschaft eingebracht wurden. Diese Personengesellschaften sind in der Regel nicht unternehmerisch tätig, sondern lediglich gewerblich “geprägt” oder “infiziert”. Bei einer Anteilsveräußerung waren Veräußerungsgewinne bis 2013 in Deutschland somit steuerverhaftet.
Neue Sichtweise durch den Bundesfinanzhof (BFH)
Vor dem BFH obsiegten im Jahre 2010 und 2011 Steuerpflichtige mit ihrem Anliegen, einen Veräußerungsgewinn trotz gewerblicher Prägung einer deutschen Holdinggesellschaft von der deutschen Besteuerung auszunehmen. Sie argumentierten, dass die einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) eine gewerbliche Prägung nicht kennen würden und der Veräußerungsgewinn somit als sonstiger Gewinn nach DBA im Sitzstaat des Gesellschafters zu versteuern sei. Der BFH stimmte dieser Auffassung zu und forderte eine originäre gewerbliche Tätigkeit der (Holding-)Personengesellschaft. Dieser Erfolg vor dem BFH entpuppte sich nach kurzer Zeit als Pyrrhussieg für ähnlich gelagerte Fälle.
Prompte Reaktion des Gesetzgebers
Die Reaktion des Gesetzgebers folgte am 29. Juni 2013 durch die Vorschrift des § 50i EStG, der eine Versteuerung der stillen Reserven bei Anteilsübertragungen anordnete. Vorausgesetzt vor einem Wegzug in einen DBA-Staat fand ein Vermögenstransfer in fiktiv gewerbliche Strukturen statt und eine Besteuerung unterblieb. Die Vorschrift steht im Gegensatz zu den bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen. Sie ist daher ein klassischer Fall eines “treaty override”, also ein Paradebeispiel für die Heimholung des Besteuerungsrechts durch einen nationalen Gesetzgebungsakt.
Radikale Änderung durch das sogenannte “Kroatiengesetz”
Die Regelung des alten § 50i EStG ließ jedoch noch Auswege aus der Misere zu. Diese Auswege wollte sich offensichtlich ein Autobauer aus Stuttgart zunutze machen. So titelte die FAZ am 19.03.2014 “Wolfgang Porsche: Wie gelingt es, steuerfrei auszuwandern?”.
Da nicht sein kann, was nicht sein darf, verschärfte der Gesetzgeber mit dem sogenannten Kroatiengesetz den in 2013 neu geschaffenen § 50i EStG radikal. Die Vorschrift ist am 31. Juli 2014 in Kraft getreten. Mit dem starren Blick auf einen bestimmten Fall holte die Finanzverwaltung mit Unterstützung der Legislative zum Rundumschlag aus. Damit hat Sie ein enormes Risiko für mittelständische Unternehmen und Familienunternehmen geschaffen, deren sich viele Betroffene noch gar nicht bewusst sind.
Die Lesart der aktuellen Fassung der Vorschrift lässt vermuten, dass in einschlägigen Fällen zukünftig alle Übertragungen der Anteile des im Ausland lebenden Gesellschafters zu einer Versteuerung in Deutschland führen können. Dies gilt auch, wenn der Wegzug bereits Jahrzehnte zurückliegt und vor dem Wegzug ein entsprechender Vermögenstransfer in eine fiktiv gewerbliche Struktur ohne Versteuerung erfolgte. Selbst ein sogenannter Strukturwandel – Wandel einer gewerblich tätigen Personengesellschaft in eine gewerblich geprägte – der deutschen Holdinggesellschaft kann zukünftig eine Besteuerung der nicht realisierten Gewinne in den Anteilen des Auslandsgesellschafters auslösen.
Damit haben der Gesetzgeber und die Finanzverwaltung eine regelrechte Mauer um Gesellschaftsanteile der betroffenen Gesellschafter gebaut und diese einzementiert. Neben einem Anteilsverkauf mit entsprechendem Liquiditätszufluss können auch Umwandlungen, Einbringungen, Buchwertübertragungen oder Schenkungen zu einer Steuer führen. Gar nicht denken möchte man an den Fall, dass der im Ausland lebende Gesellschafter verstirbt und die Gesellschaftsanteile kraft erbrechtlicher Verfügung übertragen werden.
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