Die erfahrene Crew der Boeing 737 einer großen US-Airline startet zum 2. Mal an diesem Tag ihren Shuttle Flug zwischen Miami und Atlanta. Sie war spät dran und stand unter Zeitdruck.
Da die Hilfsturbine und damit der Generator zum Starten der Triebwerke defekt war, ließ der Kapitän das Triebwerk Nummer 1 mit Strom am Gate an um sich dann zurückschieben zu lassen (Push back).
Er rollte mit einem Triebwerk zu einer Wartebucht um mit Hilfe des Triebwerks 1 das 2. Triebwerk zu starten.
Dieses Verfahren (crossfeed bleeding) ist gängig und ok, wenn das Hilfsaggregat ausgefallen ist.
Als er die Maschine in der angesteuerten Wartebucht stoppte, griff seine rechte Hand zum Stoppschalter des Triebwerks 1 und legte es wieder still.
Im Moment der Schalterbetätigung war ihm klar, dass er das ja gar nicht wollte und legte den Schalter sofort wieder auf “on”.
Doch es war zu spät, die Turbine stoppte, das elektrische Netz ging auf Batterie-Notversorgung und in der Kabine wurde es dunkel.
Auch beide Navigationssysteme fielen aus und mussten zeitraubend neu gestartet werden.
Jetzt forderte die Cockpitcrew erneut einen Schleppwagen an um zurück zum Gate gezogen zu werden. Dort bekamen sie wieder Strom zum starten des Triebwerks 1.
Der Kapitän informierte die Passagiere und die Crew, dass aufgrund eines technischen Problems das Flugzeug für eine kurze Zeit zurück ans Gate müsse und es zu einer weiteren Verspätung kommt.
Peinlich, nicht wahr?
Ende des ersten Teils der Geschichte.
Übertragen Sie diese Situation jetzt auf einen beliebigen deutschen Fertigungsbetrieb.
Der erfahrene Maschinenmeister hat beim Anfahren einer Fertigungslinie einen Schludrigkeits-Bedienungsfehler gemacht. Die sowieso schon unter Zeitdruck arbeitende Fertigung verliert noch mehr Zeit und es entsteht ein Auslieferungsverzug für den Kunden.
Was passiert jetzt in der Regel in Unternehmen?
Variante 1 des zu erwartenden Szenarios:
Der Maschinenmeister erfindet eine Geschichte, warum er die Fertigungslinie nochmal stoppen musste und bittet die Mitwisser um Stillschweigen, damit der Chef nicht wieder auf die ganze Fertigungsabteilung schimpft.
Da die Kollegen Mitleid mit dem Meister haben und morgen schon ein anderer auf die Unterstützung des Meisters zur Vertuschung eines Fehlers angewiesen sein könnte, spielen die anderen das Spiel mit.
Nach “oben” wird ein technisches Problem gemeldet, dass die Fertigung selbstverständlich sofort mit Nachdruck beheben wird.
Variante 2 des Szenarios:
Der Chef erfährt durch Zufall oder “Verpetzen” den Fehler des Meisters und schimpft kräftig, da der Stammkunde jetzt richtig sauer über den Lieferverzug wird. Die nächste Gehaltserhöhung kann der Meister sich jetzt erstmal von der Backe wischen und die Abteilung muss Überstunden machen!Ähnliches könnte sich auch im Betrieb einer Klinik oder einer beliebigen anderen Branche abspielen.
Kleine Pause …
Wir wechseln zum 2. Teil der Geschichte im Cockpit der Boeing 737 unseres Shuttle Fluges.
Der Kapitän und der erste Offizier informieren am Gate die Kabinenchefin über ihr Missgeschick und dass die Maschine an sich völlig in Ordnung sei.
Der Kapitän bittet den 1. Offizier um einen Rollentausch für den nächsten Flug, da er das zum durchbrechen seiner erlebten Fehlerroutine für besser hält. Der 1. Offizier übernimmt gerne das Starten der Triebwerke und das Rollen zur Startbahn und der Kapitän den Flug selbst. Eigentlich war es ja anders herum gedacht.
Beide gehen offen, vertrauensvoll und ohne Scham mit der Situation um.
Der Rest des Tages mit zwei weiteren Flügen verläuft ohne besondere Vorkommnisse.
Am Ende des Arbeitstages bitte der Kapitän seinen 1. Offizier zusammen mit ihm den Report über sein Missgeschick zu schreiben. Der Kapitän erklärt sein Verhalten mit einem unüberlegten Routinehandgriff nach Stoppen der Maschine mit nur einem laufenden Triebwerk. Die Hand greift dann routinemäßig zum Stilllegen des zweiten Triebwerks, wie bei der Ankunft am Gate x-mal am Tag üblich.Da er das Flugzeug in der Wartebucht stoppte und die Turbine 2 ja noch nicht angelassen war, wurde er Opfer dieses “Memory Effektes” seines Gehirns und seiner Muskeln, wie er es ausdrückte.Zwei Ursachen machte er dafür aus:
Zum einen der Zeitdruck und aufkommender Stress, zum anderen das nicht alltägliche Startmanöver aufgrund des defekten Hilfsaggregates.In Zukunft werde er vorher bewusster nachdenken, bevor er in vergleichbaren Situationen einen Handgriff erledigt.
Den Bericht schickte er seiner Airline und er ging entspannt mit der Crew das übliche Feierabendbier trinken.
Kurze Zeit später berichtete der Kapitän seinem Prüfer vor einem Routine-Simulator-Check von seinem Missgeschick und bat ihn um einige zusätzliche Beobachtungen seiner Routineabläufe und anschließende Tipps zur Verbesserung seines Handlings. “Gerne und Danke für ihre Information” antwortete der Prüfer. Er bestand das alle drei Monate anstehende Simulator-Training sicher und souverän.
Nach zwei weiteren Wochen – der Kapitän war schon wieder viele Stunden geflogen – meldete sich sein Chef und bat um ein kurzes Gespräch.
Ganz ohne Argwohn trafen sich der Kapitän und sein für den Flugbetrieb zuständiger Vorgesetzter zum Lunch und der Chef bedankte sich nochmal für den genauen und ausführlichen Report über sein Missgeschick.
Er bat den Kapitän auf der nächsten NASA-Flugsicherheitskonferenz darüber einen Vortrag zu halten.
Die NASA ist zuständig für das Erfassen aller Unfälle und Zwischenfälle im Flugbetrieb der Airlines in den USA. Sie hätte seiner Airline mitgeteilt, dass es häufiger zu dieser Art “Fehler aus Handlungsroutinen unter Druck” komme. Die NASA möchte daher dieses Thema gerne auf der nächsten Konferenz behandeln um eine Verbesserung der Verfahren für den Umgang mit Handlungsroutinen zu erarbeiten. Daher der Wunsch nach dem Vortrag von betroffenen Piloten.
“Das mache ich gerne” antwortete der Kapitän. Beide erzählten sich während des gemeinsamen Essens noch ein wenig über ihre Kinder und Familien und gingen gut gelaunt wieder ihrer Arbeit nach.
Nach kurzer Zeit wurde dem Kapitän der Wechsel auf einen Langstrecken Airbus340 angeboten. Das Beförderungsangebot nahm er gerne an.
Woher ich diese Geschichte kenne?
Die NASA veröffentlicht seit mehr als 40 Jahren für die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA als neutrale Instanz diese Reports. Damit hat sie durch mehr als 30.000 Meldungen aus Piloten, Crew, Technik oder Kreisen der Flugsicherung im Rahmen des Aviation Safety Reporting Systems (ASRS) die Verbesserung der Sicherheit in der Verkehrsluftfahrt erheblich mitgestaltet.
Das ASRS genießt bei Piloten, Crews, Fluglotsen und bei den Flugzeugtechnikern einen ausgezeichneten und vertrauenswürdigen Ruf.
Fast weltweit wird dieses System mittlerweile kopiert, sogar in Ländern wie China und Russland.
Die Basis dafür ist das bestrafungsfreie Fehlermelde- und Managementsystem im Rahmen des Crew-Resource-Managements (CRM).
Es hat nicht nur zu einem Rückgang von fatalen Flugzeugunfällen um 90 % seit 1990 geführt, sondern auch zu deutlich mehr Zufriedenheit und Effizienz bei den Teams im Flugzeug, der Technik und in der Flugsicherung.
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