Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Urteil vom 10.05.2021, Az. 1 Sa 12/21
Sachverhalt
Eine angestellte Ärztin kündigte ihr Arbeitsverhältnis, das sie mit dem Betreiber eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) zur Facharztweiterbildung im Februar 2016 eingegangen war, im Januar 2018 mit der gesetzlichen Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende, weil sie zu ihrem Ehemann ziehen wollte.
Die vereinbarte Vergütung lag bei 4.435Euro brutto monatlich und entsprach damit in etwa der Anfangsvergütung der Ärzte in der untersten Tarifgruppe. Die Weiterbildung zum Facharzt dauert 60 Monate.
Der Arbeitgeber war damit nicht einverstanden und berief sich auf eine vom ihm einseitig vorformulierte Vertragsklausel, der zufolge das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der fünfmonatigen Probezeit bis Ende Juli 2019 ordentlich nicht gekündigt werden konnte. Dieser Zeitraum betrug 42 Monate ab Beginn des Arbeitsverhältnisses und 37 Monate ab dem Ende der Probezeit. Für den Fall der vorfristigen bzw. vertragswidrigen Lösung des Arbeitsverhältnisses war eine Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsgehältern vereinbart.
Er machte die Vertragsstrafe wegen vertragswidriger Lösung des Arbeitsverhältnisses geltend.
Streitgegenständliche Klausel:
§ 11 Vertragsdauer, Kündigung
a) Die ersten 5 Monate des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.
b) Nach Ablauf der Probezeit wird die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf einen Zeitpunkt vor Ablauf des (Anmerkung: Das Datum wurde handschriftlich eingefügt) 31.07.2019 (42 Monate ab Beginn des Arbeitsverhältnisses) ausgeschlossen. Danach kann das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden. Für den Arbeitgeber aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften geltende längere Kündigungsfristen sind auch vom Arbeitnehmer einzuhalten.
c) Das Recht der Parteien zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt.
d) Löst der Arbeitnehmer das Dienstverhältnis vertragswidrig nach Ablauf der Probezeit, so hat er eine Vertragsstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen zu bezahlen, höchstens jedoch eine Vertragsstrafe in der Höhe, die den Bruttovergütungen entspricht, die durch die vertragswidrige Loslösung vom Vertrag bis zum Ablauf des 42-Monats-Zeitraums entfallen.
Endet das Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers, die der Arbeitnehmer zu vertreten hat, hat der Arbeitnehmer eine Vertragsstrafe in Höhe dreier Bruttomonatsvergütung zu bezahlen, höchstens jedoch eine Vertragsstrafe in der Höhe, die den Bruttovergütungen entspricht, die durch die außerordentliche Kündigung bis zum Ablauf des 42 Monatszeitraums entfallen.
Entscheidung
Unter Abwägung der typischen Interessenlage der Parteien eines ärztlichen Weiterbildungsarbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kommt das LAG Baden-Württemberg zu dem Ergebnis, dass die Vertragsklausel die angestellten Ärztin erheblich in ihrer beruflichen Bewegungsfreiheit einschränkt.
Zwar stelle der Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit für den weiterzubildenden Arzt einen gewissen Vorteil dar, weil er davon ausgehen könne, die Weiterbildung auch absolvieren zu können. Andererseits werde er dadurch gehindert, den Weiterbildungsträger zu wechseln, wenn er über den Verlauf der Weiterbildung unzufrieden ist. Schließlich beeinträchtigt sie den Arzt auch in seinen familiären Verhältnissen, da ein Ortswechsel nicht mehr in Frage käme.
Auf Seiten des Weiterbildungsträgers fällt ins Gewicht, dass die Überwachung der Weiterbildung einen zeitlichen Aufwand bedeutet.
Die “Investition” in den Arzt sei aber nach Auffassung des Gerichts nicht so erheblich, dieser werde außerdem deutlich geringer vergütet als ein Facharzt.
Die gegenüberstehenden Belange rechtfertigen es im Spannungsfeld der wechselseitigen grundrechtlichen Positionen des weiterzubildenden und des weiterbildenden Arztes bei einer typisierenden Betrachtung nicht, dem weiterzubildenden Arzt einen Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit aufzuerlegen, die den Zeitraum der üblichen Kündigungsfristen erheblich übersteigt.
Als Orientierungsmaßstab kommen hierbei nicht nur die gesetzlichen Kündigungsfristen, sondern auch die tariflichen Kündigungsfristen in Betracht.
Sowohl nach § 35 Abs. 1 TV-Ärzte/VKA als auch nach § 34 TV-Ärzte Universitätskliniken betragen die Kündigungsfristen
bei einer Beschäftigungszeit von bis zu einem Jahr einen Monat zum Monatsschluss und
bei einer Beschäftigungszeit von mehr als einem Jahr sechs Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahres.
Jedenfalls die tariflichen Kündigungsfristen tragen dem Interesse des weiterbildenden Arztes an einer Honorierung seines Weiterbildungsaufwandes hinreichend Rechnung.
Praxishinweis
Arbeitgeber sollten vorsichtig mit der Vereinbarung des Ausschlusses einer ordentlichen Kündigungsmöglichkeit für die Arbeitnehmer im Rahmen von Weiterbildungsverträgen für einen erheblichen Zeitraum sein. Zu lange Bindungsfristen, die über die gesetzlichen und insbesondere auch tariflichen Kündigungsfristen hinausgehen, sind in der Regel unwirksam.
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Katharina Lieben-Obholzer, Rechtsanwältin bei KMW
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