Lebst Du schon oder arbeitest Du noch?

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ARAG Experte Tobias Klingelhöfer über Teilzeit-Modelle und eine neue Arbeitswelt

Lebst Du schon oder arbeitest Du noch?

Vier-Tage-Woche, Jobsharing, kürzere Arbeitstage – in Schweden, Spanien, Island und neuerdings Belgien ist Work-Life-Balance im Arbeitsalltag angesagt. Auch in Deutschland legen immer mehr vor allem junge Arbeitnehmer nicht nur Wert auf Freizeit, sie haben auch hohe Ansprüche an ihren Arbeitgeber, dem sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Wie die Teilzeit-Modelle funktionieren und welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen es gibt, erklärt ARAG Rechtsexperte Tobias Klingelhöfer.

Teilzeit in Zahlen
Im ersten Quartal 2022 arbeiteten in Deutschland laut Statista rund 28 Prozent aller Beschäftigten in Teilzeit. Dabei ist die Teilzeitquote der Frauen mit knapp 50 Prozent fast fünf Mal so hoch wie die der Männer (10,7 Prozent). Und nach wie vor sind es meist Frauen, die wegen der Kinder oder pflegebedürftiger Familienangehöriger in Teilzeit arbeiten. Doch die Wünsche sind durchaus anders gelagert, denn viele Erwerbstätige sind überbeschäftigt, arbeiten also mehr, also sie möchten: Die Hälfte der erwerbstätigen Männer, die im Durchschnitt 41 Stunde pro Woche arbeiten, würden ihre Wochenarbeitszeit gerne auf 37 Stunden reduzieren. Bei den erwerbstätigen Frauen – sie arbeiten im Schnitt 32 Stunden pro Woche – sind es gut 40 Prozent, denen eine 30-Stunden-Woche reichen würde.

Hat jeder Arbeitnehmer ein Anrecht auf Teilzeit?
Tobias Klingelhöfer: Prinzipiell hat in Deutschland jeder Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf eine Arbeitszeitverringerung. Qua Gesetz (Paragraf 8 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG)) müssen für die Reduzierung einer Vollzeit- auf eine Teilzeitstelle allerdings zwei grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein: Das jeweilige Arbeitsverhältnis muss bereits seit mehr als sechs Monaten bestehen und in dem Unternehmen müssen mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigt sein. Wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit bereits verringert hat und nun erneut reduzieren will, geht das frühestens nach Ablauf von zwei Jahren. Arbeitgeber können die Verringerung der Arbeitszeit oder deren gewünschte Verteilung aus betrieblichen Gründen ablehnen.

Teilzeit vs. Vollzeit – gibt es rechtliche Unterschiede?
Tobias Klingelhöfer: Teilzeit ist alles, was nicht Vollzeit ist. Wird in einem Betrieb z. B. regulär 40-Stunden pro Woche gearbeitet, wäre eine 39-Stunden-Woche bereits eine Teilzeitstelle. Und da gibt es keine Unterschiede, egal in welchem Modell. Das TzBfG stellt die Teilzeitbeschäftigung einem Vollzeitjob gleich. In puncto Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsentgelt, Arbeitszeit oder sozialer Absicherung darf ein Arbeitnehmer in Teilzeit nicht benachteiligt werden.

Was sind die Vor- und Nachteile der Teilzeitarbeit?
Tobias Klingelhöfer: Die Vorteile sind natürlich mehr Freizeit und – je nach Modell – eine längere Erholungszeit, wodurch Stress reduziert und der Krankheitsstand gesenkt werden kann. Und entspannte Mitarbeiter arbeiten in der Regel effektiver, kreativer und sie sind motivierter. Gerade heutzutage, wo Betriebe Probleme haben, gutes Personal zu finden, kann man sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren, wenn man Teilzeitarbeit anbietet. Aber es gibt natürlich auch Nachteile beim Gehalt, wo Arbeitnehmer meist Abstriche machen müssen. Das wirkt sich auch auf die Rente aus, weil die Rentenansprüche sinken. Und wenn Teilzeitbeschäftigte arbeitslos werden, wirkt sich die Teilzeit natürlich auch auf das Arbeitslosengeld aus, das nach dem Bruttoeinkommen der letzten zwölf Monate berechnet wird. Aber auch für Unternehmen kann es organisatorische Probleme mit sich bringen, den Betrieb mit Teilzeitbeschäftigten reibungslos am Laufen zu halten.

Welche klassischen Teilzeit-Modelle gibt es?
Tobias Klingelhöfer: Das klassischste und für Arbeitgeber unkomplizierteste Modell ist die Reduktion der täglichen Arbeitszeit. Eine Variante, bei der Teil- und Vollzeit kombiniert werden können, ist die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf zwei bis fünf Tage. Dieses Modell ist vor allem bei schwankenden Arbeitsaufkommen von Vorteil. Spätestens seit Corona hat sich ja auch das Arbeiten in Teilzeit von zuhause etabliert. Der Vorteil hier sind deutlich geringere Fahrtkosten und -zeiten auf Arbeitnehmerseite, während der Chef Betriebskosten einspart.
Etwas weniger verbreitet ist das Jobsharing. Dabei teilen sich zwei Arbeitnehmer eigenverantwortlich eine Stelle. Einer der Vorteile für Mitarbeiter: Auch in Teilzeit können Vollzeitprojekte übernommen und verantwortlich geleitet werden. Ebenfalls weniger verbreitet ist die Teilzeit „Team“. Dafür ist echter Teamgeist gefordert, weil der Chef lediglich bestimmt, wie viele Mitarbeiter in welchem Zeitraum anwesend sein müssen. Wer wann wie arbeitet, wird im Team entschieden. Auch dieses Modell kann auf zwei bis fünf Tage verteilt werden, auch hier sind Teil- und Vollzeit kombinierbar. Es lebt von besonders variablen Arbeitszeiten und lässt Mitarbeitern einen hohen Entscheidungsfreiraum. Arbeitgeber können den Betrieb so optimal auslasten und kurzfristig planen.

Was ändert Teilzeit am Urlaubsanspruch?
Tobias Klingelhöfer: Laut Bundesurlaubsgesetz steht Arbeitnehmern in Vollzeitbeschäftigung in Deutschland ein Mindesturlaub von vier Wochen bzw. 24 Werktagen für eine Sechs-Tage-Woche zu. In einer Fünf-Tage-Woche sind es 20 Werktage. Dabei richtet sich der Urlaubsanspruch nicht nach den gearbeiteten Stunden, sondern den gearbeiteten Tagen pro Woche. Für Teilzeitbeschäftigte bedeutet das, dass sich ihr Urlaubsanspruch danach richtet, an wie vielen Tagen sie wöchentlich für ihren Betrieb arbeiten. Hat ein Arbeitnehmer seine Fünf-Tage-Woche also beispielsweise auf eine Drei-Tage-Woche reduziert, dann stehen ihm statt 20 Tagen nur noch 12 Tage Urlaub zu. Da er mit diesen 12 Urlaubstagen vier ganze Wochen Jahresurlaub nehmen kann, ist sein Mindestanspruch gedeckt.

Ein Teilzeitbeschäftigter, der an fünf Tagen zur Arbeit kommt, aber täglich weniger Arbeitsstunden leistet, bekommt genauso viel Urlaub zu wie seinen vollzeitbeschäftigten Kollegen. Um seinen Mindesturlaub von 4 Wochen im Jahr zu decken, stehen ihm 20 Urlaubstage zu.

Gewährt ein Arbeitgeber seinen Angestellten mehr Urlaubstage als das gesetzliche Minimum, dann lässt sich der Urlaubsanspruch für Teilzeitbeschäftigte mit einer einfachen Formel berechnen. Dazu teilt man die vertraglich vereinbarten Urlaubstage für Vollzeitbeschäftigte durch die unternehmensübliche Anzahl der wöchentlichen Werktage. Daraufhin multipliziert man das Ergebnis mit der Zahl seiner tatsächlichen Arbeitstage pro Woche, um auf den korrekten Urlaubsanspruch zu kommen. Als Beispiel: 30 Urlaubstage dividiert durch fünf Werktage pro Woche multipliziert mit vier Arbeitstagen pro Woche. Ergebnis: 24 Urlaubstage.

Wie sieht der Weg von Teil- zu Vollzeit aus?
Tobias Klingelhöfer: Auch dieser Weg ist durch das TzBfG geregelt (Paragraf 9). Danach müssen teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ihrem Chef schriftlich mitteilen, dass sie Vollzeit arbeiten möchten. Dann kann unter Umständen ein Anspruch auf Vollzeitbeschäftigung bestehen, wobei hier die einzelnen Voraussetzungen genau geprüft werden müssen.

Weitere interessante Informationen unter:
https://www.arag.de/service/infos-und-news/rechtstipps-und-gerichtsurteile/job-und-finanzen/

Die ARAG ist das größte Familienunternehmen in der deutschen Assekuranz und versteht sich als vielseitiger Qualitätsversicherer. Sie ist der weltweit größte Rechtsschutzversicherer. Aktiv in insgesamt 19 Ländern – inklusive den USA, Kanada und Australien – nimmt die ARAG über ihre internationalen Niederlassungen, Gesellschaften und Beteiligungen in vielen internationalen Märkten mit ihren Rechtsschutzversicherungen und Rechtsdienstleistungen eine führende Position ein. Ihren Kunden in Deutschland bietet die ARAG neben ihrem Schwerpunkt im Rechtsschutzgeschäft auch eigene einzigartige, bedarfsorientierte Produkte und Services in den Bereichen Komposit und Gesundheit. Mit rund 4.600 Mitarbeitenden erwirtschaftet der Konzern ein Umsatz- und Beitragsvolumen von 2,0 Milliarden Euro.

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