ARAG Experte Tobias Klingelhöfer über lebhafte Kinder und gestresste Nachbarn
Sind Kinder in der Nähe, wird es meist laut und lebhaft. Denn anders als Erwachsene bewegen sie sich gerne springend, hüpfend, trampelnd oder rennend fort. Dabei wird gelacht, gequiekt oder geschrien. Keine Frage – manchmal ist Kinderlärm eine Herausforderung für das erwachsene Ohr. Wie viel davon wer, wann und wie oft ertragen muss, weiß ARAG Rechtsexperte Tobias Klingelhöfer.
Was sagt das Gesetz zur Ruhestörung durch Kinder?
Tobias Klingelhöfer: In puncto Lärm ist die Gesetzeslage pro ruhebedürftiger Menschen. Wer wann wie laut sein darf, klären gleich mehrere Gesetze. Einmal das Bundesimmissionsschutzgesetz und Durchführungsverordnungen, dann gibt es auf Länderebene Landesimmissionsschutzgesetze und zu guter Letzt hat jede Kommune zusätzliche Verordnungen bezüglich Ruhestörung, die man kennen sollte. Denn wer absichtlich laut ist, handelt gesetzeswidrig. Dazu sagt das sogenannte Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), dass derjenige, der unzulässigen oder vermeidbaren Lärm verursacht und damit die Allgemeinheit oder Nachbarschaft belästigt oder gar die Gesundheit eines anderen durch Lärm schädigt, ordnungswidrig handelt.
Jetzt kommt allerdings das große Aber: Denn Kinderlärm ist laut Bundesimmissionsschutzgesetz in der Regel “keine schädliche Umwelteinwirkung”. Außerdem gibt es für sogenannten Nachbarschaftslärm – das können streitende Paare, bellende Hunde, schreiende Babys und spielende Kinder sein – keine gesetzlich geregelten Grenzwerte. Das heißt mit anderen Worten: Wer tagsüber zuhause ist und sich am Kinderlärm stört, sollte sich besser für ein anderes Wohnumfeld entscheiden. Da sind auch die Gerichte recht familienfreundlich eingestellt.
Heißt das, dass Kinder immer laut sein dürfen?
Tobias Klingelhöfer: Nein. Natürlich gelten Ruhezeiten grundsätzlich auch für Kinder. Eltern sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass auch die Kleinen sich daran halten. Und ein Urteil des Bundesgerichtshofes bestätigt, dass eine übermäßige Belastung u.a. durch Kinderlärm als Lärmbelästigung gelten kann, die sogar eine Mietminderung rechtfertigen kann (Az.: VIII 226/16). Aber je kleiner Kinder sind, desto mehr Krach dürfen sie machen.
Welche gesetzlichen Ruhezeiten gelten überhaupt?
Tobias Klingelhöfer: In Mehrfamilienhäusern und natürlich auch anderswo, wo Menschen nah beieinander leben, soll zwischen 22 Uhr und sechs Uhr und – je nach Hausordnung – mittags zwischen 13 und 15 Uhr Zimmerlautstärke herrschen. Das bedeutet, dass zu diesen Zeiten Geräusche außerhalb der Wohnung nicht mehr wahrnehmbar sein dürfen. Natürlich kann die Lautstärke je nach Wohnsituation, Bodenbelag oder Dämmung individuell variieren. Wo die Gerichte jedoch wirklich streng sind, ist z. B. bei Musik aus der Stereoanlage. Hier kann es schon heikel werden, wenn beim Nachbarn noch ein Geräuschpegel von etwa 35 Dezibel (db) zu hören ist – und das ist leiser als ein Gespräch in normaler Lautstärke.
Dann gibt es noch Vorschriften zur sogenannten Sonntagsruhe, die für den ganzen Tag gilt und in ihrer genauen Ausformulierung ebenfalls von Kommune zu Kommune abweichen kann. Grundsätzlich aber betrifft es alle Aktivitäten über Zimmerlautstärke, wie z. B. das Spielen von Instrumenten, das Staubsaugen oder eben auch das Toben von Kindern.
Was ist mit spielenden Kindern im Garten oder im Hof? Gibt es dafür Regeln?
Tobias Klingelhöfer: Wenn es der eigene Garten ist oder ein Hof, in dem es offiziell erlaubt ist, zu spielen, dürfen Kinder außerhalb der Ruhezeiten so viel Krach machen, wie sie mögen. Allerdings rate ich bei Gemeinschaftsflächen immer zu einem Blick in die Hausordnung, denn hier kann die Nutzung eingeschränkt oder verboten sein.
Dürfen Kinder sich auf Spiel- und Bolzplätzen austoben oder müssen sie auf Anwohner Rücksicht nehmen?
Tobias Klingelhöfer: Auch hier sind Betriebszeiten zu beachten. Allein, um die Nerven der Anwohner zu schonen. Die meisten Spielplätze dürfen von acht Uhr morgens bis abends um 20.00 Uhr bespielt werden. Und zwar durchgehend ohne Mittagsruhe. Wenn es keine entsprechende Einschränkung auf dem Hinweisschild des Spielplatzes gibt, dürfen Kinder sogar sonntags auf dem Spielplatz Krach machen. Ohnehin haben Anwohner beim Thema Lärm durch einen Spielplatz schlechte Karten. Selbst einen nachträglich gebauten Spielplatz müssen sie dulden (Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Az.: 1 C 11131/16.OVG).
Beim Thema Bolzplatz verhält es sich etwas anders. Solch eine Fläche darf nur mit einer Baugenehmigung nachträglich errichtet werden. Und dabei werden auch die Interessen der Anwohner berücksichtigt. Immissionsrichtwerte und Betriebszeiten legen dann fest, wie viel Lärm den Nachbarn durch die Anlage zugemutet werden kann. Und diese Richtwerte müssen eingehalten werden, ansonsten könnte Anwohnern ein Unterlassungsanspruch zustehen.
Die Regeln auf Sportplätzen bestimmt übrigens die Sportanlagenlärmschutzverordnung. Sie hält fest, an welche Immissionswerte und Ruhezeiten sich Sporttreibende halten müssen.
Was können Nachbarn tun, wenn der Kinderlärm unerträglich wird?
Tobias Klingelhöfer: Zunächst einmal würde ich versuchen, das ruhige, sachliche Gespräch mit den Eltern bzw. Betreibern von Spielflächen zu suchen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Dann könnte ein Lärmprotokoll helfen, die Lärmbelastung zu dokumentieren. Darin sollte man Häufigkeit, Dauer, Art und Intensität des Lärms notieren, möglichst mit Zeugen. Solch ein Lärmprotokoll kann auch bei einem Rechtsstreit als Beweismittel dienen. Es gibt zudem die Möglichkeit, die zuständige Behörde hinzuzuziehen und ein Lärmgutachten erstellen zu lassen. Das kann allerdings mit Kosten verbunden sein. Der letzte Schritt ist der Gang vor Gericht. Doch wie gesagt, ist die Rechtsprechung oft auf Kinderseite.
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