Ein Beitrag von Maike Koll, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Bell & Windirsch, Britschgi & Koll, Düsseldorf
Der Fünfte Senat hält an seiner im Urteil vom 22.02.2012 (Az. 5 AZR 249/11) vertretenen Auffassung, wonach sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts – sofern sie nicht aus anderen Gründen unwirksam ist – nicht hinwegsetzen darf, sondern entsprechend § 315 Abs. 3 Satz 3 BGB die Gerichte für Arbeitssachen anrufen muss, nicht mehr fest.
(Leitsatz des BAG, Beschl. vom 14.09.2017, Az. 5 AS 7/17
zitiert nach Pressemitteilung Nr. 37/17 vom 19.09.2017)
Bislang vertrag das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Auffassung, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers nicht einfach hinwegsetzen darf (BAG, Urt. v. 22.02.2012, Az. 5 AZR 249/11). Danach war der Arbeitnehmer zum einen gehalten, einer Weisung des Arbeitgebers Folge zu leisten, die die Interessen des Arbeitnehmers nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt hatte, die also nicht den Grundsätzen billigen Ermessens entsprach. Zum anderen war der Arbeitnehmer gezwungen, die ihm erteilte Weisung arbeitsgerichtlich überprüfen zu lassen. Erst wenn eine rechtskräftige Entscheidung vorlag, im Rahmen derer die Unbilligkeit und damit die Unverbindlichkeit der Weisung festgestellt worden war, durfte der Arbeitnehmer die entsprechend zu Unrecht erteilte Weisung verweigern. Ging ein Arbeitnehmer nicht entsprechend vor und kam er der ihm erteilten Weisung einfach nicht nach, setzte er sich dem Risiko einer Abmahnung und ggf. sogar einer Kündigung aus.
Entsprechend hatte sich zunächst das Arbeitsgericht Dortmund (ArbG Dortmund, Urteil vom 08.09.2015, Az. 7 Ca 1224/15 und anschließend das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm, Urteil vom 17.03.2016, Az. 17 Sa 1660/15) mit der Frage der Rechtmäßigkeit einer Abmahnung zu befassen. Hintergrund dieser Entscheidung war folgender: Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass sie ihn künftig in Berlin einsetzen wolle, da seine Weiterbeschäftigung in Dortmund nicht möglich sei. Der Kläger nahm seine Arbeit in Berlin nicht auf, worauf hin die Beklagte den Kläger zunächst mehrfach abmahnte und schließlich kündigte. Im Rahmen seiner Klage begehrte der Kläger u.a. die Feststellung, dass er nicht verpflichtet war, der Weisung der Beklagten „Arbeitsaufnahme in Berlin“ Folge zu leisten (die Kündigung war Gegenstand eines Parallelverfahrens). Sowohl das ArbG Dortmund als auch das LAG Hamm gaben der Klage statt. Das LAG Hamm begründete seine Entscheidung vor allem wie folgt: „Die Rechtsprechung führt zu nicht hinnehmbaren Konsequenzen für den Arbeitnehmer und zu einer untragbaren Risikoverlagerung. Wird die vorläufige Verbindlichkeit bejaht, würde in letzter Konsequenz ein Urteil erst im Nachhinein die Verbindlichkeit aufheben. Damit liegt eine abmahnfähige Pflichtverletzung vor, wenn der Arbeitnehmer den Weisungen des Arbeitgebers nicht nachkommt. Arbeitnehmer, die unbillige Weisungen des Arbeitgebers nicht beachten, laufen mithin Gefahr, wegen Arbeitsverweigerung gekündigt zu werden. Überdies gerät der Arbeitnehmer in Schuldner- und nicht der Arbeitgeber in Annahmeverzug mit der Folge, dass dem Arbeitnehmer keine Vergütungsansprüche zustehen, obwohl die Arbeitgeberweisung in Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen steht, die die Billigkeit voraussetzen.“
Da die Entscheidung des LAG Hamm damit die Abkehr von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung bedeutete, wurde die Revision zum BAG zugelassen. Der 10. Senat des BAG, der sich mit dem Fall zu befassen hatte, schloss sich der Ansicht der LAG Hamm an und fragte beim 5. Senat des BAG an, ob er weiterhin an seiner Rechtsprechung festhalten wolle. Die Antwort des 5. Senates ist dem obigen Leitsatz zu entnehmen: An seiner bisherigen Rechtsprechung hält das BAG nicht mehr fest.
Fazit:.
Die Frage, welchen Anweisungen der Arbeitnehmer zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen Folge zu leisten hatte, war im Rahmen der anwaltlichen Beratung angesichts der bisherigen Rechtsprechung selten verbindlich zu klären. Klar war bislang nur, dass Arbeitnehmer lediglich nichtigen Weisungen – also Weisungen, die unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder Regelungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder im Arbeitsvertrag erfolgten – nicht Folge leisten mussten. Hält sich die Weisung des Arbeitgebers jedoch innerhalb der gesetzlichen und vertraglichen Regelungen, dann muss sie zudem billigem Ermessen nach § 315 BGB entsprechen. Das bedeutet, dass die Weisung nicht willkürlich sein darf und die Interessen von Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer ausreichend gegeneinander abgewogen werden müssen. Stellte der Arbeitnehmer fest, dass die Weisung grob unbillig war, weil seine Interessen vom Arbeitgeber bspw. überhaupt nicht berücksichtigt worden waren, musste er die Weisung zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zunächst – also bis zum rechtskräftigen Abschluss eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens – befolgen. Dies ist nunmehr nicht mehr der Fall, denn die Entscheidung des BAG stellt eine erfreuliche Korrektur der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Weisungsrecht des Arbeitgebers dar.
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