Aufrechterhaltung der gingivalen Gesundheit durch effektive individuelle Plaquekontrolle
Parodontitis ist eine chronische, nicht übertragbare Erkrankung, die eine Belastung für das öffentliche Gesundheitswesen darstellt. An ihrer schweren Form leiden weltweit über 11 Prozent der Erwachsenen. Sie gilt als Hauptursache für Zahnverlust mit negativen Auswirkungen auf die Kaufunktion, Sprache, Ästhetik, Lebensqualität sowie das Selbstwertgefühl und ist mit mehreren systemischen chronisch-entzündlichen Erkrankungen unabhängig assoziiert. Für die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) sowie die europäische Gesellschaft für Parodontologie (European Federation of Periodontology, EFP) ist diese Problematik von hohem wissenschaftlichem Interesse. “Wirksame Prävention von parodontalen und periimplantären Erkrankungen” war etwa Gegenstand des 11. European Workshop of Periodontology. Eine von vier Arbeitsgruppen konzentrierte sich dabei auf Primärprävention. Die Wissenschaftler bewerteten die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Plaque- und Gingivitisreduktion im Rahmen parodontaler Präventionsprogramme. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden inzwischen von der EFP und DG PARO für unterschiedliche Zielgruppen – Zahnärzte, Fachpersonal und auch für Patienten – aufbereitet und stehen für den Praxiseinsatz als Leitfäden zur Verfügung.
Obwohl nicht alle Patienten mit Gingivitis an einer Parodontitis erkranken werden, ist die konsequente Behandlung der Gingivitis die wichtigste Maßnahme der Primärprävention von Parodontitis, aber auch der Sekundärprävention, um einem Rezidiv der Erkrankung bei erfolgreich therapierten Patienten vorzubeugen. Die Plaqueentfernung und -kontrolle ist daher eine Schlüsselkomponente bei parodontalen Präventionsprogrammen. Ein weiterer veränderbarer Risikofaktor, der die Ausprägung von Parodontitis beeinflusst, ist das Rauchen. Deshalb ist es wichtig, durch Verhaltensänderungen hohe Standards bei der täglichen Plaqueentfernung lebenslang aufrechtzuerhalten und Risikofaktoren des Lebensstils zu reduzieren bzw. möglichst zu eliminieren.
Prävention der Parodontitis durch Prävention einer Gingivitis
Der zweite EFP Präventions-Workshop unter Leitung von Prof. Iain Chapple fokussierte sich auf das Thema Primärprävention von Parodontitis durch Management der Gingivitis. Ziel der Arbeitsgruppe war die Bewertung der Wirksamkeit von vier unterschiedlichen Maßnahmen: Zähneputzen, Interdentalraumreinigung, chemische Plaquekontrolle sowie die lokale oder systemische Gabe von antiinflammatorischen Substanzen (NSAIDs). Die kritische Überprüfung vorliegender Daten hat ergeben, dass die individuell durchgeführte mechanische Zahnreinigung Plaque signifikant verringert und den Entzündungsgrad der Gingiva verbessert. Dabei zeigen wiederaufladbare, elektrische Zahnbürsten Vorteile gegenüber Handzahnbürsten. Für die Reinigung der Zahnzwischenräume sind Interdentalraumbürsten das Mittel der Wahl. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die professionelle Remotivation einen zusätzlichen Nutzen für die individuelle Mundhygiene bringt. Die verfügbare wissenschaftliche Evidenz reicht nicht aus, um die Anwendung entzündungshemmender Substanzen zur Behandlung von Gingivitis zu empfehlen.
Optimale Plaquekontrolle setzt professionelle Mundhygieneinstruktion voraus
Die tägliche mechanische Entfernung von Plaque ist eine Grundlage der Behandlung von Gingivitis und der Vermeidung eines parodontalen Rezidivs nach erfolgreicher Parodontalbehandlung. Wenn sie korrekt durchgeführt wird, ist sie effektiv in der Reduktion von Plaque und Gingivitis. Die professionelle Mundhygieneinstruktion (MHI), die individuell den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Patienten angepasst wird, ist unerlässlich, um den Patienten die Chance zu geben, das für ihn notwendige Niveau an Zahnreinigung erreichen zu können. Geeignete Mundhygienetechniken sollten mithilfe entsprechender Hilfsmittel am besten direkt im Mund des Patienten demonstriert und die Umsetzung vor dem Verlassen der Praxis kontrolliert werden. Zahnärztinnen und Zahnärzte sollten dieser entscheidenden Phase der Prävention ausreichend Zeit einräumen und Patienten davon abhalten, eine Eigenbehandlung mit oralen Pflegeprodukten ohne Diagnose und fachliche Beratung durchzuführen. Patienten sollten verstehen, dass parodontale Prävention einen lebenslangen Einsatz erfordert und dass der Weg zum Erfolg in der Zusammenarbeit mit dem zahnärztlichen Team liegt.
Manuell oder elektrisch: Regelmäßige Zahnreinigung ist entscheidend
Für die Reduktion von Plaque und Gingivitis sind sowohl Handzahnbürsten als auch elektrische Zahnbürsten effektiv. Gegenüber Handzahnbürsten können wiederaufladbare elektrische Zahnbürsten Plaque noch wirksamer reduzieren. Bei der Gestaltung der Bürstenköpfe gibt es jedoch momentan keine ausreichende Evidenz für die Überlegenheit eines bestimmten Bürstendesigns. Textur und Anordnung der Borsten sollten künftig systematisch bewertet werden, um ihre Wirkung, aber auch mögliche negative Effekte zu beleuchten. Auch das Risiko gingivaler Rezessionen im Zusammenhang mit Zähneputzen muss weiter untersucht werden. Empfehlungen an Patienten sollten finanzielle Aspekte, aber auch ihre Geschicklichkeit und ihre individuellen Bedürfnisse berücksichtigen. Bezüglich der Dauer unterstützen die Experten die allgemein gültige Empfehlung, die Zähne zweimal täglich für je zwei Minuten mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta zu putzen. Diese Maßnahme gilt in der Primärprävention von Parodontitis bei Patienten mit niedrigem Risiko als wirksam, für Patienten mit einem hohen Risiko oder in der Sekundärprävention reicht diese Zeit meist nicht aus.
Interdentalraumbürsten sind bei der Zahnzwischenraumpflege Mittel der Wahl
Die tägliche Reinigung der Zahnzwischenräume ist unerlässlich für die Gesunderhaltung der interdentalen Gingiva. Sie kann mit verschiedenen Hilfsmitteln vorgenommen werden. Es gibt nur wenig Evidenz, um die Anwendung von Zahnseide zur Reinigung der Interdentalräume zu empfehlen. Ihr Gebrauch sollte daher auf Stellen beschränkt bleiben, an denen Hilfsmittel nicht eingesetzt werden können. Interdentalraumbürsten sind wesentlich effektiver und an Stellen, die eine atraumatische Verwendung zulassen, derzeit das Mittel der Wahl. An gesunden Stellen ohne Attachmentverlust ist beim Gebrauch von Interdentalraumbürsten allerdings Vorsicht geboten. Um einen optimalen Effekt zu erzielen und eine Verletzung zu vermeiden, muss die Anwendung von Hilfsmitteln zur Reinigung der Zahnzwischenräume vorab professionell und auf die individuelle Situation des Patienten angepasst demonstriert und mit dem Patienten geübt werden.
Chemische Hilfsmittel unterstützen die mechanische Plaqueentfernung
Mit der ergänzenden Anwendung von chemischen Antiplaque-Wirkstoffen in einer Mundspüllösung oder als Zusatz in fluoridierter Zahnpasta erzielt man zusätzlich zur mechanischen Plaqueentfernung eine kurzzeitige Verbesserung bei der Behandlung von Gingivitis und bei der Prävention von Plaque. Allerdings sollten die Kosten, Umweltaspekte, mögliche Nebenwirkungen und der zusätzliche Aufwand für den Patienten bei der Anwendung einer Mundspüllösung bei solchen Empfehlungen nicht außer Acht gelassen werden.
Mangelnde Evidenz für die Wirkung antientzündlicher Mittel auf Gingivitis
Hinsichtlich einer möglichen positiven Wirkung systemisch verabreichter nichtsteroidaler Entzündungshemmer (NSAIDs) auf Gingivitis liegt nur schwache Evidenz vor. Für einen positiven Einfluss lokal applizierter NSAIDs gibt es keine Nachweise. Aufgrund dieser Ergebnisse und den mit ihrer Einnahme verbundenen Nebenwirkungen kann aus Sicht der Experten der Einsatz sowohl systemisch als auch lokal wirksamer NSAIDs zur Kontrolle gingivaler Entzündungen derzeit nicht empfohlen werden.
Die EFP Workshop-Arbeitsgruppe um Prof. Iain Chapple hat eine Reihe von Empfehlungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Expertenmeinung der Arbeitsgruppenteilnehmer entwickelt. Mundgesundheitsexperten und Vertreter des Gesundheitswesens sollten diese auf individueller und Bevölkerungsebene umsetzen.
Die daraus abgeleiteten Leitfäden findet man auf der Website der DG PARO.
Leitfaden für die wirksame Prävention von Parodontalerkrankungen – Allgemeine Empfehlungen
http://mitglieder.dgparo.de/media/download-5697ba3029b6d
Leitfaden für die wirksame Prävention von Parodontalerkrankungen – Empfehlungen für Zahnärztinnen/Zahnärzte
http://mitglieder.dgparo.de/media/download-5697ba30a55e2
Leitfaden für die wirksame Prävention von Parodontalerkrankungen – Empfehlungen für Dentalhygienikerinnen/Dentalhygieniker
http://mitglieder.dgparo.de/media/download-5697ba3135415
Leitfaden für die wirksame Prävention von Parodontalerkrankungen – Empfehlungen für Patienten/die Öffentlichkeit
http://mitglieder.dgparo.de/media/download-5697ba31b6265
Quelle:
Chapple ILC et al.: Primary prevention of periodontitis: managing gingivitis. J Clin Periodontol 2015; 42 (Suppl. 16): S71-S76. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jcpe.12366/full
Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e.V. (DG PARO) nimmt wissenschaftliche und fachliche Aufgaben auf dem Gebiet der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, insbesondere der Parodontologie wahr. Für ihre über 4.800 Mitglieder sowie zahnärztliche Organisationen ist sie seit über 90 Jahren beratend und unterstützend in parodontologischen Fragen tätig. Zu den Aufgaben der DG PARO gehört u.a. die Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Parodontologie sowie die Auswertung, Verbreitung und Vertretung der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wesentliche Tätigkeitsschwerpunkte neben der Durchführung von wissenschaftlichen Tagungen, sind die Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Parodontologie sowie die Ausrichtung entsprechender Veranstaltungen. Zudem vergibt die Gesellschaft jährlich Wissenschaftspreise wie den Eugen-Fröhlich-Preis. Die DG PARO arbeitet, auch interdisziplinär, intensiv mit wissenschaftlichen Gesellschaften, Arbeitsgemeinschaften und Institutionen des In- und Auslandes zusammen. Sie verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke.
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