„Schaltet man die Modelleisenbahn an, schaltet man vom Alltag ab“

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Die Faszination von Modelleisenbahnen ist ungebrochen. Ein Wissenschaftler erklärt warum.

Seit Generationen faszinieren Modelleisenbahnen vor allem Männer. Und es hält sich das Gerücht, dass Väter ihren Kindern nur deshalb eine Bahn kaufen, um selbst damit zu spielen. Was ist nun an diesen Bahnen, dass sie diesen Zauber ausüben? Wir sprachen darüber mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo (http://www.sacha-szabo.de/) , der für das Institut für Theoriekultur (http://institut-theoriekultur.de/) Alltagskulturen, wie eben Modelleisenbahnen, untersucht.

Was fasziniert Männer so an Modelleisenbahnen?
Sacha Szabo: Natürlich sagt man so gemeinhin es weckt das Kind im Manne. Gut, die Aussage scheint banal. Aber hinter dieser Platitude steckt doch noch mehr. Spielen ist etwas, bei dem der Mensch den Alltag vergisst und sich einem außeralltäglichen Erlebnis hingibt. Beim Spiel herrschen andere Gesetze. Eine Stunde scheint wie eine Minute zu wirken. Vor allem aber erlebt der spielende Mensch die Gegenwart, ganz im Unterschied zum Alltag, wo die Zeitachsen von Vergangenheit und Zukunft dominieren. Mit diesen Zeiträumen gehen auch Gefühle einher. Angst vor der Unsicherheit der Zukunft, Schuld in der Vergangenheit die falschen Entscheidungen getroffen zu haben. Im Spiel wird dies alles vergessen. Dieser Zustand des Glücks gleicht der Phase der Kindheit, bevor das Kind ein Selbstbild entwickelt. Insofern ist das Spielen mit der Modelleisenbahn ein narzisstischer Regress in die Kindheit.

Wie spielt man denn mit einer Eisenbahn?
Sacha Szabo: Es gibt eigentlich drei Grundmotive die sich zugleich ergänzen. Das eine ist die technische Faszination des Spielzeugs. Eine riesige Maschine funktionsfähig im Miniaturmaßstab in den Händen zu halten. Ein zweites ist die gestalterische Durcharbeitung der Landschaft und das dritte ist das Gleissystem, also die logistische Herausforderung. Jede dieser Motivationen spricht etwas anderes an. So fordert die logistische Planung das logisch-mathematische Verständnis. Hier kommen ja inzwischen auch Computer zum Einsatz, wohingegen der Modellbau eher die künstlerische Seite fordert. Als letztes spricht die Maschine selbst die technische Seite des Menschen an. Nicht jeder Modelleisenbahner lebt alle drei Bereiche gleichmäßig aus. So gibt es Modelleisenbahner, die haben eine wunderbare Landschaft mit einer schlichten Streckenführung, oder es gibt nur ovale auf denen dann sorgfältig gepflegte Züge Probe gefahren werden und natürlich gibt es den Modellbau. Hier gibt es zwei Philosophien. Entweder die künstliche Alterung der Bausätze und Fahrzeuge, so dass diese realistisch wirken, oder die konsequente Schonung, so dass alles aussieht als ob es frisch aus der Packung genommen wurde.

Was sie zum Spielen gesagt haben trifft ja auf viele Spiele zu. Was macht nun die Modelleisenbahn besonders?
Sacha Szabo: Auffällig ist bei der Modelleisenbahn zuerst ihr Maßstab. Selbst wenn man die großen 0-Modelle betrachtet, so blickt der Betrachter doch auf diese herab. Er begibt sich in die Rolle eines Weltenschöpfers, er nimmt eine göttliche Perspektive ein. Unterstützt wird dies durch den dioramischen, fast panomaratischen Blick dem nichts auf der Landschaft verborgen bleibt. Allerdings ist auch der Blick komponiert, denn die schönste Bergwelt kann von hinten profanes Sperrholz mit Gipsresten zeigen. Grundsätzlich aber ist es ein Blick auf das Ganze. Dieser Blick transzendiert den alltäglichen Blick, der ja parallel zum Geschehen stattfindet. Er gleich eher dem Blick von einem Kirchturm oder einem Heißluftballon, oder eben einem Blick aus dem Himmel.

Was geschieht bei dieser Betrachtung?
Sacha Szabo: Es herrscht ein Gefühl der Ordnung, alles ist an seinem Platz. Dieses Gefühl ist ein beruhigendes. Schaltet man die Modelleisenbahn an, schaltet man vom Alltag ab. Es herrscht auf den paar Quadratmetern eine Ordnung, die unser komplexer unüberschaubarer Alltag nicht bereithält. Allerdings sind die wenigsten Bahnen jemals fertig. Sie werden ständig erweitert, verbessert und verfeinert. Es hat etwas von einer Sisyphusarbeit. Man weiß, dass man nie fertig wird, aber man ist glücklich bei seinem tun.

Zum Schluss eine persönliche Frage. Hatten sie als Kind auch eine Bahn?
Ich hatte eine Bahn und ich habe den Fehler gemacht sie zu Ende zu bauen. Danach verlor ich das Interesse und gab sie weg.

Das Institut für Theoriekultur ist einer von Deutschlands führenden Theoriedienstleistern.

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