Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo über Selfies und die Selbstdarstellung junger Frauen in populären Fernsehformaten.
Immer mehr junge Frauen orientieren sich an dem scheinbar leichten Erfolg den Schönheit in bestimmten TV-Formaten verspricht. Diese Form der Selbstdarstellung ist auch ein Grund für den aktuellen Trend der Selfies. Also Aufnahmen, die man von sich selbst schießt und ins Internet stellt. Warum geschieht das? Wir sprachen darüber mit dem Soziologen Sacha Szabo (http://www.sacha-szabo.de/) vom Freiburger Institut für Theoriekultur (http://institut-theoriekultur.de/) .
Warum sind Selfies gerade so aktuell?
Sacha Szabo: Es ist eine sehr schnelle und unkomplizierte Art der Selbstdarstellung. Erving Goffman stellte ja bezüglich der Rollen fest, dass wir alle immerzu und überall Theater spielen, natürlich in unterschiedlichen Rollen. Bei sozialen Netzwerken scheint es nun so zu sein, dass dort die Rollen, analog zu den Celebs, zu den Promis inszeniert werden. Lange stand ja der Vorwurf im Raum man würde intimes in diesen Netzwerken preisgeben und jeder Personaler würde zuerst einmal den Bewerber googeln. Nun reagieren die User darauf und optimieren ihre Selbstdarstellung. Selbstverständlich kann jede Form der Exposition peinlich sein, aber solange man selbst die aktive ist, oder den Glauben hat der oder die aktive zu sein, tritt die Pein zurück und man empfindet sich als Handelnde, also keineswegs als ohnmächtig. Das ist zeitgemäße Medienkompetenz. Auch kommt hinzu, dass die Funktion dieser Bilder in den Netzwerken, neben den Texten, eine symbolische Ordnung ist. Es ist die Geschichte meines Lebens, die ich schreibe. Nicht von ungefähr wurde ja auch Facebook vor einiger Zeit überarbeitet, so dass jetzt eine fortlaufende Autobiographie entsteht.
Aber warum sind die jungen Frauen jetzt so gestylt? Spielen dort die Fernsehformate, wie Germanys Next Topmodel eine Rolle?
Sacha Szabo: In der Soziologie spricht man ja von unterschiedlichen Kapitalarten. Bourdieu nennt ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital. Aus diesen Formen kann man noch das symbolische Kapital, also etwa Schönheit und Aufmerksamkeit, was ein informelles Kapital ist, ableiten. Schönheit war ein verhältnismäßig machtloses Kapital, das dem weiblichen zugeordnet war. Noch vor wenigen Jahren zeigen Zeitungsannoncen, dass eine Frau schön zu sein hatte, aber bitteschön den Mund halten solle. Der Wandel, weg von diesem Frauenbild, scheint durch diese Glamourfotos zurückgedreht zu werden, eine Art präemanzipatorische Romantik. Insofern akkumulieren hier Nutzerinnen dieses symbolische Kapital Schönheit, indem sie sich von ihren Freunden und Freundinnen bewerten lassen. Was oft auch zuckersüß geschieht. Aber so einfach ist das nicht. Die Schönheit wird durch die Klicks und Likes in Aufmerksamkeit transformiert. Man kann es auf die Formel bringen, Aufmerksamkeit ist Kapital. Insofern bewirtschaften die jungen Frauen das Kapital, das Ihnen zur Verfügung steht. Sie handeln wie Markteilnehmerinnen und bemühen sich den Ertrag zu optimieren und eventuell Gewinn daraus zu ziehen. Abwertend werden diese Akteurinnen als „Attention Whores“ bezeichnet. Der Gegenspieler, den man dabei nicht außer Acht lassen darf, sind die Betreiber der Netzwerke, die die Aufmerksamkeit nun in ökonomisches Kapital verwandeln.
Was aber ist nun konkret mit den angesprochenen Fernsehformaten? Haben diese eine Vorbildfunktion?
Sacha Szabo: Massenmedien, dazu gehört nun einmal das Fernsehen, aber auch das Internet, gehören zu unserer alltäglichen Umwelt und diese Umwelt wirkt prägend, als das wir uns in dieser Umwelt zu verorten suchen. Der Zynismus dieser Medien besteht ja nun darin, alles und jeden zur Ware zu machen. Die Verlockungsprämie dabei ist die Aufmerksamkeit die man bekommt, aber auch die Aufmerksamkeit die man beispielsweise in eine Suchanfrage investiert. Die Aktivistinnen von Femen haben ja bei ihrer Aktion auf die menschenverachtende Inszenierung von GNTM hingewiesen, wobei Frauen in dieser Sendung nicht nur als sexy Objekt, ein Begriff der in dieser Sendung geradezu inflationär gebraucht wird, sondern richtiggehend als Ware mit dem entsprechenden Abnehmermarkt konfektioniert wird. Dass die Teilnehmerinnen sich für diesen Markt entsprechend optimieren ist allerdings kein singuläres Phänomen, sondern gilt gleichermaßen für Studierende, die im Rahmen des Bologna-Prozesses glauben sich für den Markt fit zu machen. Das irritierende ist nun, dass diese Optimierung scheinbar selbstbestimmt stattfindet und von den Akteuren auch noch bejaht wird. Das neoliberale Subjekt reiht sich selbst im Verwertungsprozess ein. Aber der Trug ist eben, dass dieses Subjekt noch glaubt die Spielregeln mitbestimmen zu können. Tatsächlich ist der Kapitalismus ein Moloch, ein Leviathan, der so unfassbar riesig ist, dass er jedes Vorstellungsvermögen sprengt und nun diese Subjekte so als Masse verwertet wie ein Blauwal Plankton in riesigen Mengen in sich hineinsaugt.
Eine sehr negative Einschätzung.
Sacha Szabo: Wir erleben wie bestimmte menschliche Qualitäten abgebaut werden, wie vor hundert Jahren Steinkohle. Es ist das symbolische und das kulturelle Kapital, das eine postindustrielle Gesellschaft abbaut und verwertet. Selbst Kritik, das ist ja eine der Folgerungen von Herbert Marcuse, ist Teil des Systems und ist für den Selbsterhalt des Systems notwendig. Insofern kann auch eine sehr sublime List in der Selbstinszenierung liegen. Dass nämlich Subversion in Form von Affirmation betrieben wird.
Vielen Dank für das Gespräch
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