Ideen aus der Prävention und Gesundheitsförderung können die eigene Resilienz stärken:
„Psychische Erkrankungen lehnen wir deshalb so oft ab und verleugnen sie, weil wir der festen Überzeugung sind, dass sie Ausdruck von Schwachheit seien!“ – Diese Feststellung trifft der Leiter der bundesweit aktiven Selbsthilfeinitiative zu Zwängen, Phobien und Depressionen, Dennis Riehle (Konstanz), und erklärt hierzu: „Solch einen Glaubenssatz zu überwinden, kann erheblich dazu beitragen, dass wir eine seelische Störung als einen Teil von uns selbst annehmen und respektieren. Wir akzeptieren damit nicht, uns passiv mit ihr abfinden zu müssen. Aber wir können ausprobieren, die Chance und Sinnhaftigkeit hinter der Erkrankung zu verstehen und daraus zweckmäßige Glaubenssätze zu formulieren, die uns anspornen, eine proaktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung vorzunehmen – und im besten Falle dann sogar an ihr wachsen zu können. Zudem gibt es auch zahlreiche Ansätze aus der Beratung, Prävention und Gesundheitsförderung, die uns dabei unterstützen, in seelischer Dysbalance wieder neuen Halt zu gewinnen“, so der 38-Jährige vom Bodensee in einer aktuellen Stellungnahme. Riehle ist Coach, aber selbst seit 25 Jahren psychisch erkrankt und hat 2005 bis 2015 eine Selbsthilfegruppe zu Zwängen, Phobien und Depressionen geleitet und diese nach Auflösung durch das ehrenamtliche Angebot zur Mailberatung für Betroffene und Angehörige ersetzt. Er weiß deshalb gut, welchen Stellenwert die Selbsthilfe hat. „Was kann mir in Zeiten psychischer Not helfen? Gibt es ein Buch, das mich aufbaut? Musik, die mich erheitert? Einen Glücksbringer, der mich begleitet? Fotos, die mich an gute Zeiten erinnern? – Jeder von uns kann seine persönliche Box zusammenstellen, die man aus der Ecke holen kann, wenn die Gedanken wieder einmal einseitig werden und sich die Stimmung drückt. In solchen Augenblicken hilft es ungemein, wenn man sich auf intime und gleichsam stets verlässliche Dinge rückbesinnen kann, mit denen man Halt, Geborgenheit und Standfestigkeit verbindet. Emotionalität spielt bei psychischen Erkrankungen eine enorm bedeutsame Rolle, weshalb es durchaus ratsam sein kann, sich mithilfe von Erinnerungen und angenehmen Gefühlen und Empfindungen Stabilität in wackeligen Momenten zu erzeugen. Wir selbst wissen am besten, mit welchen Katalysatoren aus unserem Alltag das am ehesten gelingt“, erklärt der Psychologische Berater einige Möglichkeiten, Krankheit besser zu verstehen.
„Wenn eine seelische Erkrankung unser Leben beeinflusst, verändert sich automatisch auch das Spielfeld unseres Daseins. Zweifelsohne bringt Krankheit nicht selten Einschränkung mit sich. Natürlich sollte es stets unser Ziel und Ansinnen sein, diese Beengung wieder loszuwerden und die Weite zurückzugewinnen, die wir vor Eintritt der Erkrankung genießen konnten. Dennoch hat es wenig Sinn, wenn wir versuchen, die Ursprünglichkeit mit Gewalt wiederherstellen zu wollen. Manches Mal ist es notwendig, Gegebenheiten anzunehmen und zu versuchen, in diesen neu gesteckten Grenzen das Beste aus unserem Leben zu machen. Dazu braucht es eine gewisse Bereitschaft zur Veränderung und die Erkenntnis, dass Menschen diversen unveränderlichen Schicksalen ausgesetzt sind. Da bleibt oftmals nur die Gelassenheit, sich im veränderten Rahmen auszubreiten und die noch zur Verfügung stehende Fläche vollends auszukosten. Hoffnungen und Wünsche sind wichtig. Wir sollten aber vermeiden, krampfhaft gegen ‚Ist-Zustände‘ anzutreten, denn der Einsatz dafür raubt uns Energie für Schönes, das auch mit Erkrankung weiter erfahrbar bleibt“, befindet Dennis Riehle – und ergänzt: Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Stress und psychischer Erkrankung ist vielfach belegt. Deshalb gebietet es sich nahezu bei jeder Form von seelischem Leiden, Augenblicke zum Durchatmen, zum Abstandnehmen, zum Innehalten in den Alltag einzubauen. Mithilfe von Entspannungstechniken kann dies gut gelingen, ebenso mit bewussten Auszeiten, in denen wir uns das gönnen, was sonst zu kurz kommt. Ob es nun das Lesen eines langersehnten Buches, ein ausgedehntes Bad, ein leckeres Essen, eine halbe Stunde Mittagsschlaf oder ein Spaziergang in der Natur ist: Das explizite Inanspruchnehmen von stressreduzierenden Maßnahmen senkt das Level von Angespanntheit ab und vermindert damit auch die Aktivität der psychiatrischen Symptomatik. Entscheidend ist, dass wir möglichst viele Sinne beteiligen, denn durch sie lässt sich das negative Wirkungsniveau von Stressoren regulieren“, sagt der Sozialberater, der bereits mehrere tausend Betroffene begleitet hat.
„Auch wenn wir in heutiger Zeit dazu neigen, die meisten Probleme mit uns selbst ausmachen zu wollen, weil wir Andere damit nicht belasten möchten, ist es ungemein hilfreich, wenn wir im Falle einer seelischen Erkrankung ein klar definiertes und von uns ausgewähltes Umfeld in die Diagnose, die Symptomatik, die Behandlung und die Konsequenzen der Erkrankung einbeziehen. Jeder von uns sollte dabei ganz individuell entscheiden, wer aus dem familiären, freundschaftlichen und beruflichen Umkreis ins Vertrauen gezogen wird. Nicht nur das Teilen der Nachricht über die eigene Betroffenheit lässt Last von uns fallen. Auch kann es den Menschen in unserer Umgebung erleichtert werden, unser Verhalten und Denken besser zu verstehen, wenn bekannt ist, dass wir unter einer bestimmten Krankheit leiden. Auch deren neutrale und außenstehende Haltung trägt wesentlich dazu bei, andere Perspektiven einzunehmen und manche subjektive Realität zu einer objektiven Wahrheit umformulieren zu können. Ihr kritischer Blick auf unsere Person ist ein wichtiger Spiegel, der uns im Zurechtrücken mancher Einfältigkeit sehr wertvoll sein kann“, erläutert Dennis Riehle. Seine Tipps sind daher: „Verschiedene Anbieter von Coaching bis Volkshochschule offerieren mittlerweile regelmäßige Kurse, um die eigene Persönlichkeit zu trainieren. Ziel dabei ist es vor allem, das Selbstbewusstsein zu kräftigen und somit Zweifel an der eigenen Resilienz zu zerstreuen. Mit Techniken zur Stimulierung des Selbstwertes kann erreicht werden, dass ein Erkrankungsbild weniger stark an uns heranrückt. Wir können uns mit einer gefestigten Persönlichkeitsstruktur deutlich von unserer Erkrankung abgrenzen, die zwar einerseits synton zu uns gehört. Letztlich ist sie aber inkongruent und passt nicht mit unserer eigenen Vorstellung von Gesundheit und Abschirmkraft zusammen. Daher hilft ein entsprechendes Üben frischer und überarbeiteter Wertzuschreibungen an unsere eigene Person, beispielsweise in Form einer überdachten Liste an Eigenschaften, die uns auch in Krisen der Vergangenheit wetterfest machten“, beschreibt der in Seelsorge und mentalem Training ausgebildete Dennis Riehle seine Haltung abschließend.
Die Psychosoziale Beratung der Selbsthilfeinitiative ist kostenlos über www.selbsthilfe-riehle.de erreichbar.