Es gibt viele Gründe, warum ein Arbeitnehmer nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr berufstätig sein kann. Burnout, Rückenleiden oder ein Unfall mit bleibenden Schäden können schwerwiegende Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit haben. Derzeit scheiden etwa 160.000 Berufstätige pro Jahr aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus. Tendenz steigend: So rechnen Statistiker, dass 43 Prozent der heute 20-jährigen Männer bei einem Rentenbeginn mit 65 bis dahin einmal berufsunfähig werden. Die häufigsten Gründe sind derzeit psychische Erkrankungen, dicht gefolgt von Muskel- und Skelettbeschwerden. Berufsunfähigkeit ist also ein nicht zu unterschätzendes Risiko für Arbeitnehmer. Dabei sind viele schon bei den Begrifflichkeiten unsicher: Was verbirgt sich eigentlich genau hinter der Bezeichnung „Berufsunfähigkeit“, was ist eine „Erwerbsunfähigkeit“? Tatjana Höchstödter, Vorsorgeexpertin von ERGO, gibt im aktuellen Expertengespräch Antworten und erklärt, wie sich Arbeitnehmer gegen beide Risiken absichern können.
Was versteht man unter Berufsunfähigkeit? Und worin liegt der Unterschied zur Erwerbsunfähigkeit?
Im Sprachgebrauch werden die beiden Begriffe oft verwechselt. Doch tatsächlich gibt es große Unterschiede zwischen einer Berufs- und einer Erwerbsunfähigkeit. Der Knackpunkt ist die Art der Tätigkeit, die ein Arbeitnehmer nicht mehr ausüben kann. Warum er nicht mehr arbeiten kann, spielt keine Rolle: Das kann in Folge einer Verletzung nach einem Unfall, einer Krankheit oder eines vorzeitigen Kräfteverfalls sein. Berufsunfähig im Sinne einer privaten Absicherung ist ein Arbeitnehmer dann, wenn er dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, zu 50 Prozent in seinem Beruf oder der zuletzt ausgeübten Tätigkeit zu arbeiten. Bei einer Erwerbsunfähigkeit hingegen ist ein Arbeitnehmer in seiner Arbeitsfähigkeit so eingeschränkt, dass er höchstens noch drei Stunden pro Tag arbeiten kann. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich bei der Arbeit um den erlernten Beruf handelt oder um irgendeine andere Tätigkeit.
Können sich berufs- oder erwerbsunfähige Arbeitnehmer auf staatliche Hilfen verlassen?
Der Staat zahlt eine Erwerbsminderungsrente. Ihr Umfang hängt davon ab, ob und wie viele Stunden pro Tag der Arbeitnehmer noch beruflich tätig sein kann. Dabei gilt: Wer mit einer Erkrankung oder nach einem Unfall noch irgendeiner beruflichen Tätigkeit nachgehen kann – und zwar drei bis sechs Stunden am Tag – erhält durch die gesetzliche Rentenversicherung die halbe Erwerbsminderungsrente. Einen vollen Rentenanspruch hat nur, wer höchstens drei Stunden pro Tag arbeiten kann – egal, in welchem Beruf. Der bisherige berufliche Status ist unwichtig: Im Fall der Erwerbsminderung müssen selbst ein Ingenieur oder ein Chirurg einfachste Tätigkeiten annehmen. Und auch dann liegt der durchschnittliche Leistungsumfang bei 650 Euro im Monat. Für alle anderen gilt: Wer sechs oder mehr Stunden täglich arbeiten kann – egal in welchem Beruf – geht bei der staatlichen Erwerbsminderungsrente in der Regel leer aus. Wichtig für Berufsanfänger: Sie müssen mindestens fünf Jahre versichert sein, also die sogenannte allgemeine Wartezeit erfüllen, um den staatlichen Schutz zu erhalten. Davon gibt es nur wenige Ausnahmen: So kann die allgemeine Wartezeit bei Jobneulingen vorzeitig erfüllt sein, die wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit, einer Wehrdienst oder Zivildienstbeschädigung oder wegen politischen Gewahrsams vermindert erwerbsfähig geworden sind.
Wie lässt sich der Verlust der eigenen Arbeitskraft bereits privat im Vorfeld absichern?
Beim Verlust der eigenen Arbeitskraft reichen die finanziellen Mittel selten aus, um das fehlende Einkommen aufzufangen. Wer seinen Lebensstandard trotzdem erhalten will, braucht daher eine private Absicherung. Eine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit kann die Grundlage der gesamten Existenz sichern. Doppelt wichtig ist eine Berufsunfähigkeitsversicherung für Hauptverdiener, von deren Arbeitskraft am Ende eine ganze Familie abhängt. Die private Versicherung springt in der Regel bereits ein, wenn der Versicherte zu mindestens 50 Prozent nicht mehr arbeiten kann – und zwar in seinem zuletzt ausgeübten Beruf. Die Höhe der Absicherung sollten Arbeitnehmer vom jeweiligen Einkommen und der Familiensituation abhängig machen. Ein grober Richtwert für die Rentensumme bei Verdienstwegfall liegt bei circa 60 Prozent des aktuellen Bruttoeinkommens. Der Vorteil für Arbeitnehmer: Eine Berufsunfähigkeitsversicherung gilt weltweit. Und selbst ein Berufswechsel ist versichert. Grundsätzlich gilt: Je jünger der Kunde, desto niedriger die Beiträge. Wer sich keine Berufsunfähigkeitsversicherung leisten kann oder aufgrund der Risikoeinstufung seines Berufes, des Alters oder seiner Vorerkrankungen keine Chance auf einen Vertrag hat, für den gibt es Alternativen: Eine private Erwerbsunfähigkeitsversicherung kostet weniger als eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Außerdem werden bei diesen Policen weniger strenge Maßstäbe an den Versicherten angelegt. So können zum Beispiel auch Risiko-Berufsgruppen, wie etwa Dachdecker, leichter eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung abschließen. Auch Studenten und Auszubildende sowie Hausfrauen und -männer können damit vorsorgen. Allerdings leistet sie erst, wenn die Erwerbsfähigkeit nur noch maximal 3 Stunden pro Tag beträgt. Übrigens: Sowohl eine Berufsunfähigkeits- als auch eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung können Kunden bei Abschluss einer Lebensversicherung auch als Zusatzversicherung wählen.
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