Urlaubsabgeltung nach beendetem Arbeitsverhältnis – neues aus der Rechtsprechung

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Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen, im Interview mit Volker Dineiger, ebenfalls Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin und Essen.

Ein neues Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg – 07.05.2015, Az. 10 Sa 86/15 und 10 Sa 108/15 – dreht sich das Thema der Pflichten des Arbeitgebers im Rahmen der Urlaubsabgeltung.

Fachanwalt Bredereck: Wenn man die fachliche Diskussion zu dem Thema so verfolgt, hat das LAG Berlin-Brandenburg mit diesem neuen Urteil angeblich einen neuen Aspekt zum Thema der Urlaubsabgeltung geliefert. Dieses Rechtsgebiet ist ja ständig im Wandel, welchen neuen Beitrag hat denn nun das LAG geliefert?

Fachanwalt Dineiger: Nach eigener Darstellung hat das LAG mit seinem Urteil die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts präzisiert und ausgebaut. Zu einem gewissen Teil hat das Gericht dem BAG aber auch widersprochen. Auf der anderen Seite hat sich sehr klar auf die Linie der Rechtsprechung des EuGH im Urlaubsrecht begeben. Ohne sich dahingehend explizit zu äußern, scheint das LAG damit die Kritik am BAG zu teilen.

Fachanwalt Bredereck: Damit haben wir dann wohl die nächste Entscheidung aus der Reihe Chaos im Urlaubsrecht oder?

Fachanwalt Dineiger: Ja und nein. Das Problem ist ja folgendes: BAG und EuGH haben unterschiedliche Auffassungen zu den urlaubsrechtlichen Ansprüchen von Arbeitnehmern. Das hat für die Landesarbeitsgerichte zur Folge, dass sie eine Entscheidung treffen müssen, welches Rechtsverständnis sie anwenden wollen. Das bedeutet nicht, dass dabei eine der Auffassung falsch wäre. Allerdings resultieren aus dieser Rechtslage dann auseinanderfallende Urteile, was nicht dazu beiträgt, dass Rechtssicherheit einkehrt für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Insofern ist der Begriff Chaos tatsächlich durchaus zutreffend.

Fachanwalt Bredereck: Worum ging es denn jetzt genau? Die Parteien hatten in dem Fall ja neben anderen Ansprüchen über die Frage der Urlaubsabgeltung gestritten. Der Arbeitnehmer wollte nicht genutzten Urlaub nach Ende des Arbeitsverhältnisses „ausbezahlt“ haben, der Arbeitgeber war der Auffassung, dass dieser verfallen war und er den Urlaub deshalb nicht mehr abgelten müsste.

Fachanwalt Dineiger: So ist es. Streit um Urlaubsabgeltung tritt ja immer erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, durch Kündigung oder Renteneintritt, auf. Nur in diesem Fall kann Urlaubsabgeltung überhaupt entstehen, das regelt § 7 Abs. 4 BUrlG. Da ist das Verständnis zwischen EuGH und BAG übrigens identisch.

Fachanwalt Bredereck: Der Streit entzündet sich ja immer daran, ob der Urlaub in Verfall geraten ist oder ob er rechtzeitig beantragt worden ist und damit der Verfall aufgehalten wurde. Wie ist da die Linie des LAG Berlin-Brandenburg?

Fachanwalt Dineiger: Das LAG präzisiert hier die Rechtsprechung des BAG. An den Verfallfristen des § 7 Abs. 3 BUrlG will das LAG nicht rütteln. Die Ausnahmen für Langzeiterkrankte kamen im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Allerdings bereitet das LAG die Rechtsprechung des BAG auf, nach der der Urlaubsgewährungsanspruch sich in einen Schadensersatzanspruch auf Ersatzurlaub umwandelt, wenn der Arbeitgeber mit der Urlaubsgewährung im Verzug war. Bestand so ein Anspruch, dann entsteht beim Ende des Arbeitsverhältnisses auch ein Abgeltungsanspruch.

Fachanwalt Bredereck: Also kommt es wie üblich darauf an, dass der Arbeitnehmer Urlaub beantragt hat und dies auch nachweisen kann?

Fachanwalt Dineiger: Nach dem LAG Berlin-Brandenburg gerade nicht. Das ist das deutliche an dieser Entscheidung. Das LAG stellt sich auf den Standpunkt, dass die Vorschriften für den Mindesturlaub zu den arbeitsschutzrechtlichen Grundsatznormen im Arbeitsrecht gehören, so wie das der EuGH auch sagt. Wenn aber arbeitsschutzrechtliche Grundsatznormen betroffen sind, dann kommt es nach Auffassung des LAG nicht darauf an, ob sich der Arbeitnehmer darauf beruft, der Arbeitgeber muss von sich aus diese Grundsatznormen einhalten. Übertragen auf das Urlaubsrecht bedeutet das nach dem LAG also, dass der Arbeitgeber von sich aus – auch ohne entsprechenden Antrag – dem Arbeitnehmer Urlaub gewähren muss. Tut er das nicht, ist er im Verzug.

Fachanwalt Bredereck: Das klingt ein wenig nach Zwangsurlaub?

Fachanwalt Dineiger: Theoretisch ja, auch wenn das das LAG nicht so deutlich sagt. In einem Nebensatz taucht aber durchaus auf, dass der Arbeitgeber nach erfolgloser Nachfrage dem Arbeitnehmer einfach Urlaub zu gewähren hat. Das wäre dann eigentlich gegen dessen Willen.

Fachanwalt Bredereck: Und inwiefern widerspricht diese Entscheidung nun der Rechtsprechung des BAG?

Fachanwalt Dineiger: In der Entscheidung lässt das LAG eine Aufspaltung zwischen Mindesturlaub und übergesetzlichem Mehrurlaub zu. Mit dieser Aufspaltung sind unterschiedliche Verfallzeitpunkte verbunden. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG auch schon so. Allerdings hat das BAG in verschiedenen Urteilen zu diesem Thema immer verlangt, dass im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag dann deutlich zwischen Mindesturlaub und übergesetzlichem Mehrurlaub unterschieden wird, also die Urlaube entsprechend gekennzeichnet werden. Diese Unterscheidung vollzieht das LAG nicht nach. Es lässt aus einer einheitlichen Anzahl von Urlaubstagen, in der sowohl Mindesturlaub wie auch übergesetzlichen Mehrurlaub drin stecken, einen Teilverfall bezüglich des übergesetzlichen Mehrurlaubes zu. Das ist nicht auf der Linie des BAG.

Fachanwalt Bredereck: Da haben wir ein neues Konfliktfeld. Wir bleiben dran.

27.05.2016

Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.

Wer wir sind: Die Rechtsanwälte und Fachanwälte für Arbeitsrecht Volker Dineiger und Alexander Bredereck sind seit vielen Jahren schwerpunktmäßig im Bereich Kündigungsschutz tätig. Gemeinsam haben sie das Handbuchs Arbeitsrecht der Stiftung Warentest verfasst.

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