Konkreter Fall
Ein Mitgliedsunternehmen (Unternehmerin) hatte vor dem AG Eilenburg gegen einen Unternehmer – zusätzlich zu einer Vergütung aus einem Dienstleistungsvertrag – als Nebenforderungen wegen Verzuges u. a. die Mahnpauschale in Höhe von 40,00 EUR gemäß § 288 Abs. 5 S. 1 BGB und vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 112,00 EUR geltend gemacht. Das Gericht kürzte die vorgerichtlichen Anwaltskosten von 112,00 EUR – unter Anrechnung der Mahnkostenpauschale – auf 72,00 EUR und sprach die Klageforderung im Übrigen zu.
Wegen der Frage, ob die Pauschale i.S.d. § 288 Abs. 5 S. 1 BGB nach § 288 Abs. 5 S. 3 BGB nur auf interne Kosten des Gläubigers oder auch auf externe Kosten (vorgerichtliche Anwalts- und Inkassokosten) anzurechnen ist, ließ das AG die Berufung zu. Das LG Leipzig bestätigte in der Berufung zwar die Ansicht des AG Eilenburg, ließ aber die Revision zu. Am 11.09.2017 wurde die Revisionsbegründung eingereicht, bereits am 18.01.2018 kam es zur Verhandlung vor dem BGH. Dieser setzte das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 18.01.2018, Az. III ZR 174/17 aus und legte dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:
“Ist Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. EU Nr. L 48 S. 1) dahin auszulegen, dass der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie genannte Pauschalbetrag von 40 Euro auf externe Rechtsverfolgungskosten anzurechnen ist, die infolge des Zahlungsverzugs des Schuldners durch die vorprozessuale Beauftragung eines Rechtsanwalts entstanden und daher nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie zu ersetzen sind ?”
Revisionsgrund
Bereits vor Inkrafttreten des § 288 Abs. 5 BGB hatten der DAV (Stellungnahme Nr. 19/2012) sowie der BDIU (Stellungnahme vom 19.05.2014) den Referentenentwurf des BMJ für ein Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr kritisiert und die Anrechnungsregelung als widersinnig bzw. mit der EU-Richtlinie (RL 2011/7/EU) unvereinbar angesehen. Der Gesetzgeber ging darüber hinweg. In der Gerichtspraxis war zu beobachten, dass zum Teil die Anrechnung vorgenommen wurde, zum Teil auch nicht, meist ohne Begründung, so dass nicht einmal klar ist, ob die Gerichte die Problematik der Anrechnungsregelung überhaupt gesehen haben. Viele Gerichte nahmen Hinweise zur EU-Richtlinie nicht zur Kenntnis, sondern argumentierten nur mit dem doch so klaren Wortlaut des Gesetzes (§ 288 Abs. 5 S. 3 BGB).
Das AG Aachen (Urteil vom 26.07.2016, Az. 113 C 8/16, NJW-Spezial 2016, 540) hat dann die Anrechnung auf externe Kosten wegen der Erwägungsgründe 19 und 20 der EU-Richtlinie mit kurzer aber deutlicher Begründung abgelehnt. In einem ausführlichen Aufsatz haben Stöber/Petanidis (AGS 2017, 1 ff.) die Entscheidung aufgegriffen und die Vorschrift des § 288 Abs. 5 S. 2 BGB vor dem Hintergrund der EU-Richtlinie, insbesondere auch der Fassung in anderen Amtssprachen, analysiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass § 288 Abs. 5 S. 3 BGB gegen die EU-Richtlinie verstößt.
Die im Verfahren LG Leipzig nachgewiesene uneinheitliche Rechtsprechung führte dann dazu, dass nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen wurde.
Laufende Verfahren
Bis zur Entscheidung des EuGH (bei Vorabentscheidungssachen war Informationen im Internet nach im Jahre 2016 mit 15 Monaten durchschnittlich zu rechnen) wird es nun sicherlich eine Vielzahl von Verfahren geben, in denen die Anrechnungs-Thematik des § 288 Abs. 5 S. 3 BGB eine Rolle spielt. Ob es auch zu einer Vielzahl von Berufungs- bzw. weiteren Revisionsverfahren bzw. Teilurteilen oder Aussetzungen von Verfahren kommen wird, bleibt abzuwarten. Bei dem Betrag von 40,00 EUR liegt eine wirtschaftliche Lösung nahe. Es kann erwartet werden, dass die Instanzgerichte bei dieser Nebenforderung dann die vergleichsweise Anrechnung zur Hälfte vorschlagen, was eine ökonomische Gesamterledigung des Rechtsstreits ermöglichen würde. Vielleicht setzt sich nun, nachdem der BGH den Weg über den “so klaren Wortlaut des Gesetzes” nicht bestätigt hat, auch bei einigen Gerichten langsam die Erkenntnis durch, dass die EU Richtlinie zur Bekämpfung des Zahlungsverzuges nicht bezweckt, den Gläubiger wirtschaftlich davon abzuhalten, vorgerichtlich einen Anwalt oder ein Inkassounternehmen zu beauftragen, weil bei Kleinstforderungen sonst durch Anrechnung mit der 40 EUR-Pauschale der gesamte Kostenerstattungsanspruch betreffend Anwalts- oder Inkassokosten entfällt (bei Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr ergibt eine dann verbleibende 0,65 Gebühr nach 2300 VV RVG auf der untersten Streitwertebene einen Betrag von 58,50 EUR, der dann um 40,00 EUR gemindert werden soll).
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