Wirtschaftsfaktor Wohnprojekte im ländlichen Raum
Privatleute verwandeln ein ehemaliges Hotel in ein mehrfach prämiertes Wohnprojekt. Das hat wirtschaftliche Auswirkungen im Dorf.
Im Beitrag berichten Initiatorin Regine Erhard, der anfängliche Projektbegleiter Alexander Grünenwald und Bürgermeisterin Petra Nych über die wirtschaftliche Komponente des ambitionierten Wohnprojekts in württembergischen Dorf Enzklösterle, einem idyllischen Luftkurort.
Am Anfang stand das Hotel garni, geführt von Mutter Renate Erhard und Tochter Regine Erhard. Beide wohnen heute, in getrennten Wohnungen, im Haus. Erbaut in den 1970er hatte das familiengeführte Hotel bis zu seiner Schließung 2009 das typische Schwarzwaldflair mit dunklem Gebälk und Geranien an den Balkonen. Vor allem Reisebusgäste genossen die großzügigen Zimmer mit Bad und Balkon nach Süden zum großen Garten, das kleine Hallenschwimmbad und den persönlichen Stil der Betreiberinnen des Hotels. Doch um die Jahrtausendwende zeigte sich eine deutliche Touristikflaute einhergehend mit einem Investitionsbedarf in die Ausstattung des Hotels. Nachdem Regine Erhard einen Fernsehbetrag zum Thema Gemeinschaftliches Wohnen sah, entschied sie “So geht es weiter!”. Immerhin musste sie für das Hotel und auch für sich und ihre Mutter Perspektiven entwickeln. Sie nahm Kontakt auf zum Gesprächspartner im Fernsehbeitrag, Alexander Grünenwald von der BauWohnberatung Karlsruhe. Der Architekt hatte mit seinem Team bereits erste Erfahrungen mit Wohnprojekten, bot einen Full-Service inklusive der Investorengewinnung an.
Vom gesamten Investitionsvolumen blieben rund 2,5 Mio. Euro am Ort oder in der nahen Umgebung.
Zunächst galt es, Expertisen zum Gebäude und der Umnutzung einzuholen. Seitens der Gemeinde gab es Grünes Licht für die Nutzungsänderung – aber keine finanzielle Unterstützung. Stattdessen kosten Baugutachten, Energie- und Finanzberater, Architektenentwürfe sowie die Projektberatung inklusive Juristen für die Vertragsgestaltung viel Geld.
Petra Nych: “Von Anfang an hat mich das Konzept überzeugt. Nicht nur, dass weiterer Hotelleerstand verhindert wurde, sondern wurde so auch dringend benötigter Wohnraum für neue Mitbürgerinnen und Mitbürger für Enzklösterle geschaffen. All das konnte auch noch in zentraler Lage im Ortszentrum von Enzklösterle verwirklicht werden. Damit wurde eine Zersiedelung verhindert.
Heute, im Jahr 2018, sehe ich das Wohnprojekt als Erfolg. Neue Einwohner für Enzklösterle konnten gewonnen werden. Diese bringen sich in das Ortsleben ein und sie bringen auch neue Ideen mit. Das Haus lebt. Dort finden Veranstaltungen statt, die für alle in Enzklösterle besonders sind. Viele der Bewohner engagieren sich im Ort. So waren sie auch beim Leitbildprozess für Enzklösterle eifrige Mitarbeiter. Somit profitieren nicht nur die Bewohner des Projektes sondern auch Enzklösterle.”
Alexander Grünenwald: “Entgegen dem allgemein zu vernehmenden Trend, dass gerade ältere Menschen in die Stadt ziehen, wo sie alles gut und im Idealfall fußläufig erreichbar um sich haben, machten wir zu dem Zeitpunkt die überraschende Feststellung, dass gleichzeitig ein gegenläufiger Trend festzustellen war: Es gab immer mehr Menschen, die gerade die Vorzüge des ländlichen Raums in der Nachberufsphase wieder mehr zu schätzen wussten. Weg vom Lärm, der belasteten Luft, den Zwängen, die durch Berufswelt und Familienphase (Nähe von Kinderbetreuungs- bzw. Schuleinrichtungen) einmal als richtige Entscheidung für die Standortwahl der eigenen Wohnung maßgebend waren. Natürlich spielten auch Faktoren wie teure Miet- und Kaufpreise, hervorgerufen durch Angebotsverknappung und steigende Bodenpreise hier eine Rolle. Enzklösterle konnte hier gleich mit mehreren Vorteilen aufwarten: Eine Immobilie, die trotz werthaltiger Substanz so gut wie keinen Marktwert mehr besaß, ein traumhaft schönes und weiträumiges Grundstück in Familienbesitz, eine gute Lage in einem Ferienort, der überdurchschnittliche Versorgungsangebote aufzuweisen hatte. Und nicht zuletzt: Zwei tüchtige Frauen, die viel Erfahrungen aus dem jahrelangen Hotelbetrieb mitbrachten und bereit waren, sich nochmal auf einen neuen Weg zu begeben. Dennoch war uns bewusst, dass wir in besonderer Weise Öffentlichkeitsarbeit für die Findung der geeigneten InteressentInnen betreiben werden müssen, was ja auch mit vielen Medienbeiträgen, mit Projektvorstellungen auf Tagungen und Kongressen, mit sehr vielen liebevoll geplanten Einladungen für Interessierte und vielen gut vorbereiteten Programmpunkten versucht wurde. Wir hatten dennoch unterschätzt, wie lange und wie aufwändig sich die Findung der geeigneten künftigen Bewohner und Bewohnerinnen für das besondere Wohnprojekt trotz lebendiger Resonanz und stets vollem Haus dennoch hinziehen würde.”
Ab 2009 ging es los mit der Vermarktung, erste Mitgesellschafter stiegen ein. Regine Erhard: “Im Ort wurde natürlich über das Vorhaben gesprochen, die Skepsis war groß, die Gerüchteküche köchelte. Das reichte von “mutig” bis “das klappt ja nie”.”
Doch erst 2012 war es soweit, dass genügend Eigenkapital zugesagt und die lokale Bank – damals die Raiffeisenbank Oberer Wald, heute Volksbank Nordschwarzwald – die restliche Finanzierung übernahm.
Engagiert wurde das Architektenteam Grünenwald + Heyl, Karlsruhe, und ein erfahrener Bauleiter und Architekt, Helmut Kalmbach, Freudenstadt. Für die Ausführung der umfangreichen Bauarbeiten wurden ausschließlich Handwerksbetriebe des Ortes und der näheren Umgebung beauftragt. Das war in der Summe ein kluger Schachzug, das dörfliche Netzwerk und die sichere Führung des Bauleiters harmonierten gut und effizient. Immerhin waren bis zu 120 Mitarbeiter zeitgleich auf der Baustelle. Das Mammut-Vorhaben wurde planmäßig, trotz eines strengen Winters und eines nassen Sommers, im Herbst 2013 bezugsfertig. “Sicher hat dazu beigetragen, dass im (mittlerweile verkauften) Nebenhaus Räume frei wurden, die wir als Aufenthaltsraum mit WC zur Verfügung stellen konnten. Außerdem gab es stets kostenlosen Kaffee und Getränke.” berichtet Regine Erhard.
Noch sind Instandhaltungsmaßnahmen nicht notwendig, aber Neuhinzuziehende beauftragen ebenfalls die lokalen Handwerke für die Anpassung der Räumlichkeiten an ihre Wünsche.
Ein Zugewinn von 20 Einwohnern konsolidiert die noch ziemlich intakte Daseinsvorsorge am Ort.
Schon während der Akquise- und Bauphase sprach sich das Projekt bundesweit herum, Journalisten, Neugierige und Interessenten besuchten den Ort, nicht nur zu den monatlichen von der Projektgruppe moderierten Interessententreffen. Erste Investoren zogen, nachdem sie ihre Immobilien rasch verkaufen konnten, bereits 2011 nach Enzklösterle. Gastronomen wie Hoteliers, die einen wichtigen Part im Luftkurort Enzklösterle spielen, profitierten davon.
Ein Preisgeld, dass die Projektgruppe gewann, wurde der Gründerin des örtlichen Landmarkts als Anschubdarlehen gewährt – ganz eigennützig, um die Versorgungslage in unmittelbarer Nähe aufrecht zu erhalten.
Seit dem Herbst 2013 wird das Wohngebäude von rund 20 Personen bewohnt, die die örtliche Infrastruktur durch ihre Einkäufe und gesellschaftliche Beteiligung unterstützen sowie Steuern an die Gemeinde zahlen. Ganz gezielt kaufen die Bewohner für ihren täglichen Bedarf im Ort ein, nutzen Bankfilialen und Post, engagieren sich in der Gemeinde, den Vereinen und Kirchengemeinden, besuchen die Gaststätten, denn sie wissen, dass nur durch die kontinuierlichen Nutzung die Versorgungsstruktur erhalten bleiben kann. Zahlreiche Besucher, Freunde und Verwandte der Bewohnergruppe bringen zusätzliche Umsätze im örtlichen Umfeld.
Zu den indirekten wirtschaftlichen Auswirkungen des Projekts zählt die Bürgermeisterin das ehrenamtliche Engagement der Bewohner für den Ort, womit Arbeit und Geld für die Gemeinde gespart wird. “Die Bewohner des Projektes bringen neue Ideen mit, von denen ganz Enzklösterle profitieren kann. Und die Bewohner leben das Projekt “Heidelbeerdorf”. Sie prägen damit bewusst das Profil der Gemeinde und stärken es.” Einen weiteren Nutzen sieht Petra Nych für Häusleseigentümer und Investoren “Außerdem wird mit dem Projekt selber die Möglichkeit klar dargestellt, wie man Leerstände ganz bewusst umwandeln und nutzbar machen kann.”
Privatwirtschaftliche Initiative schafft eine zusätzliche touristische Attraktion
Das 2014 gestartete gewerbliche Projekt einiger der Hausbewohner, das Heidelbeer-Haus, zählt mittlerweile zu den Attraktionen des Ortes. Kerngeschäft ist der Handel mit Produkten aus Heidelbeeren, vermarktet wird vor allem an Endverbraucher, Einheimische wie Touristen im Rahmen eines Verkaufspunktes im Wohnhaus, im Onlineshop und auf einigen regionalen Märkten. Noch ist das Geschäftsvolumen vergleichsweise gering, aber die Verantwortlichen werden 2018 im Ortszentrum einen Laden & Lounge eröffnen und erwarten eine deutliche Umsatzsteigerung. Davon wird auch die Gemeinde, die dann ein weiteres touristisches Highlight aufweisen kann, profitieren – nicht zuletzt von der Tourismusabgabe, die umsatz- und gewinnbezogen erhoben wird. Das Heidelbeer-Haus sponsert außerdem die bundesweit renommierten Tanzturniere in Enzklösterle und andere lokale Events.
Eckdaten des Projekts
Ursprungsgebäude Baujahr 1974 als Hotel
Kernsanierung 2012/2013 zum Wohnhaus mit 16 Wohneinheiten und Gemeinschaftsräumen
Bauvolumen ca. 3,5 Mio. EUR
Finanzierung Eigenkapital, Privat- und Bankdarlehen
Auszeichnungen
2013: “Menschen und Erfolge” Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
2012: “So wollen wir wohnen” Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg
Medien
Interview im SWR Expedition in die Heimat “Durch das Enztal bis Pforzheim” (12.5.2017)
Margaret Heckel (2012) “Die Midlife-Boomer: Warum es nie spannender war, älter zu werden”
Stern via! (2/2012) “Mutti zieht in die WG / Wohnst du schon oder suchst du noch?”
Internet www.am-lappach-wohnen.de, www.heidelbeer-haus.de
Eckdaten Enzklösterle
Ca. 1250 Einwohner
Infrastruktur mit mehreren Gaststätten und Hotels, Campingplatz, zahlreiche Vereine, mehrere Kirchengemeinden, Landmarkt, Apotheke, zwei Bankfilialen, Metzgerei, Bäckerei, Getränkehandel, Spezialitätenhandel, Poststelle
Luftkurort mit Wanderwegen, Kurpark, Waldklettergarten, Spielplatz, Adventure Golfpark, Skilift und Loipen
Touristische Positionierung als Heidelbeerdorf im Schwarzwald
Busverbindungen nach Bad Wildbad (ca. 15 km) und Freudenstadt (ca. 30 km)
Glasfasernetz 2018 geplant
www.enzkloesterle.de
Die Regine Erhard & Co. KG hat die Aufgabe, die Wohnungen des Wohnprojekts Am Lappach wohnen, Enzklösterle, zu verkaufen. Eine Maklerprovision fällt nicht an.
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