“Zeitreisen sind ein soziales Problem”

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Von der Zukunft zur Erlebnisgegenwart. Welche Vorstellungen die Idee der Zeitreise bestimmen. Ein Gespräch mit einem Soziologen.

Die Idee der Zeitreise wurde spätestens mit H.G. Wells Zeitmaschine Ende des neunzehnten Jahrhunderts populär. Die Idee in die Vergangenheit zu reisen um die Gegenwart zu ändern, findet sich in populären Filmen von “Zurück in die Zukunft” bis hin zum “Terminator”. Zeitreisen stellt sich als physikalisches Problem dar, aber das ist nur die halbe Wahrheit behauptet der Freiburger Soziologe Sacha Szabo, (http://www.sacha-szabo.de/) der für das Institut für Theoriekultur (http://institut-theoriekultur.de/) Alltagsphänomene untersucht.

Warum beschäftigt sich ein Soziologe mit Zeitreisen, das ist doch eigentlich die Domäne für Physiker.
Sacha Szabo: Natürlich bin ich, was die physikalischen Voraussetzungen von Zeitreisen angeht, ein absoluter Laie. Insofern kann ich dazu auch gar nichts sagen. Aber Zeit ist eben nicht nur ein physikalisches, sondern auch eine soziale Größe.

Inwiefern?
Sacha Szabo: Zeit ist ein Mittel zur sozialen Synchronisation. Schon immer wurden bestimmte Intervalle dazu genutzt, dass sich Menschen mit anderen Menschen abstimmen können. Der Kalender machte eine Gemeinschaft oder eine Gesellschaft zukunftsfähig, indem bestimmte Ereignisse planbar wurden, wie etwa die Ernte. Große Bedeutung für unser gelebtes Zeitsystem hatte die Berechnung der Ostertage, da hier verschiedene Kalender, nämlich der Mond und der Sonnenkalender, zueinander in Beziehung gesetzt werden. Diese Art der Berechnung nannte man computare, Zeitrechnen. Aus diesem Wort entstand unser Begriff für den Computer. Vom Wort computare wurde auch conto, also unser Wort für Konto abgeleitet. Kurzgefasst kann man also sagen, Zeit ist Geld. Diese Frage kann auch nur ein Gesellschafts- oder Wirtschaftswissenschaftler beantworten.

Wie hängt das mit dem Zeitreisen zusammen?
Sacha Szabo: Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen. Er ist in der Lage, aufgrund seiner Distanz zu sich selbst, seiner exzentrischen Positionalität sich auf ein zukünftiges Ich hin zu entwerfen.

Geht es weniger Abstrakt bitte.
Sacha Szabo: Der Mensch hat eine Erinnerung an die Vergangenheit und er kann sich Zukunft vorstellen. Dies heißt aber auch, dass diese beiden Zeitachsen bewertet werden. Vergangenheit kann immer die Dimension der Schuld mit sich bringen. Habe ich die Entscheidung damals richtig getroffen, oder würde ich sie heute anders treffen. Diese Vorstellung ist natürlich trügerisch, weil man ja aktuell eine Entwicklung durchschritten hat und sich so die Situation heute mit der damals gar nicht vergleichen kann. Aber hier entsteht nun der Wunsch nochmals mit dem Wissen von Heute zurück in die Vergangenheit zu gehen und Entscheidungen, die sich als schlecht erwiesen haben, zu korrigieren. Dieser Wunsch also eine alternative Geschichte zu schreiben ist von diesem Wunsch bestimmt. Dabei kann die alternative Geschichte sowohl die eigene, wie auch die Weltgeschichte sein. Dies ist ja ein häufiger Topos in den verschiedenen filmischen Formaten.

Man kann aber auch in die Zukunft reisen.
Sacha Szabo: Ja, die Zukunft zeichnet sich nun dadurch aus, dass sie potentiell alle Möglichkeiten offen hat. Erst durch Entscheidungen die wir getroffen haben, werden bestimmte Möglichkeiten realisiert. Es ist aber die Offenheit der Zukunft die zugleich eine Art der Unsicherheit und Angst in uns aufkommen lässt. Was wird sein, wie wird es sein und was bedeutet das für mich. Um diese Unsicherheit zu beantworten entsteht nun der Wunsch in die Zukunft zu reisen. Kompliziert wird es, wenn man in die Zukunft reist um die Gegenwart, die ja dann Vergangenheit ist, zu manipulieren. Dies ist der Ausdruck eines Entscheidungsfindungsprozesses. Wenn ich nicht weiß, wie ich mich in einer Situation entscheiden soll, dann suche ich weitere Informationen um die Entscheidung zu treffen. Man merkt, Zeitreisen haben eine gewichtige soziale Dimension.

Sind nun Zeitreisen möglich?
Sacha Szabo: Nun, was man aus soziologischer Sicht sagen kann, jede Gesellschaft hatte ihr Zeitmodell. Und in jeder Gesellschaft hingen von diesem Zeitmodell auch die Umgangsweisen mit den Problemen ab, die sich jeder Mensch alltäglich stellt. Woher komme ich, wohin gehe ich. Es gab Modelle die waren zyklisch. Epochen, die sich wiederholten oder aufeinander aufbauten. Es gab lineare Modelle mit einem klaren Anfangs und einem klaren Endpunkt. Und jedes dieser Zeitmodelle fand seine Entsprechung in den jeweiligen religiösen Sinnsystemen. Das Rad der Wiedergeburt oder der Tag des Jüngsten Gerichts hängen genau von diesen Zeitmodellen ab. Heutzutage haben wir ein relatives Zeitsystem, dies entspricht auch einer Vorstellung, dass jeder sich seinen Lebensweg zurechtbasteln muss. Es sind nicht mehr die Turmuhren die die Gemeinschaft synchronisierten. Es gibt heutzutage andere Taktgeber. Synchronisiert werden all diese Einzelhandlungen nun über eine global einheitliche Zeit, deshalb ist die Präzision der Atomuhren so wichtig. Genau an diesem Punkt schließt sich nun die Gesellschaftswissenschaft an die Naturwissenschaft an. An der Frage: Wieviel Uhr haben wir im Moment?

Sie haben aber immer noch nicht die Frage beantwortet. Sind nun Zeitreisen möglich?
Sacha Szabo: Physikalisch kann ich das nicht beantworten. Sozial scheint dies eine Wunschvorstellung zu sein. Aber es gibt auch die Möglichkeit das Zeitproblem verschwinden zu lassen. Wenn man in eine Erlebnisgegenwart eintritt, dann wird die Distanz des Menschen zu sich selbst aufgehoben. Er vergisst sich selbst, man kann dies als Ekstase bezeichnen. Mit dem Verschwinden der Reflexivität lösen sich auch die Zeitachsen in die Zukunft und die Vergangenheit zugunsten eines totalen “Jetzt” auf. Der Mensch tritt in eine Erlebnisgegenwart ein. Diese Erfahrung ist eine, die seiner Naturhaftigkeit sehr nahe kommt. Der Mensch ist in diesen Momenten ganz Naturwesen, empfindet die Zeitachsen von Zukunft und Vergangenheit als Kulturwesen. Er braucht aber immer auch die Erfahrung als Naturwesen, denn dies ist erlebbare Wirklichkeit. Allerdings kann er diesen Zustand nicht beständig aushalten. Er ordnet dieses Erlebnis in eine symbolische Ordnung und schafft so ein Davor und ein Danach, also Zeit. Das Spannende ist nun, dass die Kultur Wurmlöcher für diese Erfahrung bereitstellt, wo also der Mensch in eine Erlebniswirklichkeit eintreten kann und das sind die unterschiedlichen Feste, wo sich der Mensch rauschhaft einer Erlebnisgegenwart hingibt. Andere Bezeichnungen dafür sind Jenseits oder Paradies.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Institut für Theoriekultur ist einer von Deutschlands führenden Theoriedienstleistern.

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